Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2003

Spalte:

458 f

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Winter, Jörg

Titel/Untertitel:

Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung mit kirchenrechtlichen Exkursen.

Verlag:

Neuwied-Kriftel: Luchterhand 2001. IV, 223 S. 8. Kart. ¬ 17,40. ISBN 3-472-04328-8.

Rezensent:

Helmut Goerlich

Die Arbeit des protestantischen Kirchenjuristen, der die einschlägigen Rechtsgebiete in Heidelberg und Freiburg lehrt, ist in der Tat eine Einführung. Indes ist sie so wohlproportioniert, ausgereift und zugänglich gestaltet, dass sie in jeder Hinsicht empfohlen werden kann. Dabei verbirgt der Vf. nicht, dass er in der Sache engagiert für die Kirchen, insbesondere die evangelischen, eintritt. Dies macht es aber umso angenehmer, das Buch zu lesen. Denn damit verbrämt es seinen Ausgangspunkt nicht mit einer Staffage von Gelehrsamkeit.

Die Gliederung des Werkes ist einfach und einleuchtend gehalten: Sie setzt in einem ersten Teil ein bei Begriff und Rechtsquellen des Staatskirchenrechts, kommt zur Geschichte des Verhältnisses von Staat und Kirche, dann zu den Lehren über dieses Verhältnis und im Sinne seiner eigenen Konzeption zu den Grundlagen des evangelischen Kirchenrechts insbesondere. Der zweite Teil befasst sich dann mit den verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen, etwa zu Neutralität, Toleranz und Parität; darauf folgt die "allgemeine" Religionsfreiheit, wobei die feinen Differenzierungen des Grundgesetzes selbst in Art. 4 Abs.1 und 2 GG zusammengefasst erscheinen. Die Grenzen der Religionsfreiheit erörtert das Buch anschließend unter dem Aspekt der vorbehaltlos gewährten Grundrechte des Art. 4 GG sowie schließlich unter dem Stichwort einer Grenzziehung aus allgemeinen Staatsgesetzen, eine etwas zugänglichere Formulierung als diejenige von dem für alle geltenden Gesetz, das die Selbstverwaltungsrechte der Religionsgesellschaften begrenzt. Auch ist die Formulierung vom allgemeinen Gesetz viel fassbarer als diejenige des heute auf Grund von Art. 140 Grundgesetz fortgeltenden Art. 136 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung (WRV). Gemeint ist letztlich das Phänomen, dass ein Freiheitsrecht einer Verfassung diese nicht sprengen kann, mithin in deren Ordnung gewährleistet ist, die damit zugleich seine Grenzen umschreibt.

Darauf schließt eine Darstellung von gemeinsamen Angelegenheiten des Staates und der Religionsgesellschaften an, zunächst zum Religionsunterricht und dann zu den theologischen Fakultäten. Erst dann kommt das Werk zu weiteren Gewährleistungen des Art. 137 WRV, vom Verbot der Staatskirche über die religiöse Vereinigungsfreiheit bis hin zum Selbstbestimmungs- und -verwaltungsrecht der Kirchen. Diese Freiheiten führen alsdann wiederum zu ihren Bindungen: an Grundrechte der Staatsverfassung, zu dem Konzept innerkirchlicher Grundrechte sowie zu Lehren von Grundrechten in den beiden großen Kirchen. Darauf folgt eine Darstellung der kirchlichen Gerichtsbarkeiten, die mit einer Bestimmung ihres Ortes im Verhältnis zur staatlichen Gerichtsbarkeit eröffnet wird.

Zurück zu Art. 137 WRV: Der Vf. verhandelt den geregelten Erwerb der Rechtsfähigkeit, die Alternativen zum Körperschaftsstatus von Religionsgesellschaften und schließlich zum System der Kirchensteuer. Das veranlasst einen Annex zur Kirchenmitgliedschaft. Nach einem letzten Abschnitt zu Weltanschauungsgemeinschaften führt ein Exkurs ins kirchliche Verfassungsrecht der beiden Großkirchen, zu den kirchlichen Zusammenschlüssen im evangelischen Bereich sowie zu internationalen nicht gouvernementalen Organisationen der Kirchen und schließlich innerstaatlich in die Verfassung der Diakonie auf der evangelischen Seite.

Dann runden kürzere Abschnitte die Schrift ab, insbesondere zum Schutz kirchlichen Vermögens gemäß Art. 138 WRV, zum Sonn- und Feiertagsschutz nach Art. 139 WRV, zur Anstaltsseelsorge nach Art. 141 WRV sowie - sehr knapp - zum Vertragsstaatskirchenrecht und zum Verhältnis von Staat und Kirche im europäischen Kontext. Nach einer Schlussbetrachtung finden sich im Anhang noch Textauszüge aus dem Grundgesetz und der baden-württembergischen Verfassung, dem genius loci der Entstehung des Werkes gemäß.

Vergleicht man die drei heute verfügbaren Lehrbücher, also neben dem hier angezeigten dasjenige von v. Campenhausen und von Jeand'Heur/Korioth miteinander, so kann das des Vf.s als die beste erste Einführung gelten - verbunden mit dem Spezifikum der kirchenrechtlichen Exkurse -, während die beiden anderen entweder einen tiefer gehenden Anspruch erheben oder in stärkerem Maße fallorientiert ausgerichtet sind und damit juristischen Ansprüchen der Ausbildung noch stärker genügen: insgesamt also eine Bereicherung, gerade für den ersten Zugriff sehr zu empfehlen.