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Ausgabe:

April/2003

Spalte:

454 f

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Hoffmann, Andreas

Titel/Untertitel:

Kirchliche Strukturen und Römisches Recht bei Cyprian von Karthago.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2000. 345 S. gr.8 = Rechts- und staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, N.F. 92. Kart. ¬ 54,00. ISBN 3-506-73393-1.

Rezensent:

Ralph Hennings

Das Buch beginnt mit einem kurzen Forschungsüberblick. Anschließend wird das Ziel der Arbeit formuliert. Der Vf. will mit seiner Untersuchung eine Gegenüberstellung "durch die Aufarbeitung der Cyprianischen Quellen und den Vergleich mit den Rechtsquellen geben" (33). Diesem Ziel nähert er sich durch die detaillierte Untersuchung von Wortfeldern an. Dabei betrachtet er im ersten Teil die Wortfelder, die sich um die "rechtlichen Grundlagen der christlichen und staatlichen Gemeinschaft" gruppieren, während im zweiten Teil die semantischen Felder betrachtet werden, die eine "hierarchische Zweiteilung der Gesellschaft" - und zwar sowohl kirchlich wie staatlich - ausdrücken. Da H. immer zuerst einen Quellenbereich komplett darstellt, also zuerst Cyprians Schriften, dann die römischen Rechtsquellen, ist es für den Leser teilweise schwierig, den Überblick zu behalten. Zwar gibt H. bei Wortfeldern aus den römischen Rechtsquellen immer wieder Vergleiche zu Cyprian, dennoch wäre es günstiger gewesen, diese systematischer in die einzelnen Abschnitte der Wortfelduntersuchungen einzubauen. So bleibt der Leser oft im Detail stecken oder muss zur Schlusszusammenfassung vorblättern, um zu verstehen, wozu die eine oder andere Information dienen soll.

Der erste Teil widmet sich vor allem den Wortfeldern "Recht" (ius) und "Gesetz" (lex). Durch die ausführlichen Untersuchungen zu einzelnen Wörtern gewinnt H. am Ende eine vertiefte Einsicht in Cyprians starke Gebundenheit an die Bibel als Quelle der für Christen geltenden Gesetze: Bei Cyprian "ist mit Rechtmäßigkeit die Übereinstimmung mit dem göttlichen Gesetz gemeint, das in den Heiligen Schriften niedergelegt ist" (197). Damit nähert sich H. insgesamt dem Urteil Albrecht Dihles an, der in seinem Artikel "Gerechtigkeit" in RAC 10,334 bereits 1978 festgestellt hatte, dass Cyprians Gerechtigkeitsverständnis "insgesamt weniger philosophisch-naturalistisch und juristisch als biblisch-theologisch geprägt sei". Der biblische Hintergrund dominiert selbst das im Entstehen begriffene kirchliche Recht, das sich zunächst in Synodalentscheidungen artikuliert. H. fasst zusammen: "Die Forderungen der Heiligen Schrift erscheinen auch hier als die eigentlichen, bindenden Grundlagen, auf denen die synodalen Beschlüsse beruhen und von denen sie letztlich ihre verpflichtende Kraft erhalten" (298). Der zweite Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der hierarchischen Zweiteilung der Gemeinschaft. In der Kirche ist das die Überordnung des Klerus über die Laien (151-204), im staatlichen Bereich geht es um die Unterschiede zwischen Beamten und Volk (205-295). Hier sieht H. starke praktische Gemeinsamkeiten zwischen Kirche und römischem Staat bei völlig unterschiedlichen Begründungen. Den Effekt der sattsam bekannten Hierarchisierung durch die Ausbildungen des monarchischen Episkopats und des ihm untergeordneten Klerus beschreibt H. folgendermaßen: "Das Gemeindevolk [ist ...] Objekt der Maßnahmen, Entscheidungen, Sorge und Bemühungen anderer. Dieser Rolle der Laien entspricht die Haltung des Gehorsams gegenüber den Anweisungen und Maßnahmen des Klerus" (202). Damit haben die Professionalisierung der Schriftauslegungskompetenz und der Ausbau der klerikalen Machtstruktur eine Ausweitung erfahren, die für die gesamte weitere Kirchengeschichte Folgen zeitigt. H. urteilt zutreffend: "Die Lehrkompetenz des Bischofs tritt so zwischen die Schrift und die Gemeinde" (202). Die Mittlerstellung des Bischofs wird dadurch nahezu unangreifbar gemacht, dass die Gehorsamsforderung gegenüber den Weisungen der Bibel auf den Gehorsam gegenüber dem Klerus ausgeweitet wird. Durch die dominierende Stellung, die der Bischof im kirchlichen Bußwesen einnimmt, ist eine weitere Immunisierung gegenüber Kritik möglich. H. resümiert: "Letztlich kann hiermit jeder Widerspruch gegen bischöfliche Weisungen und deren Missachtung verurteilt werden" (203). Diese Machtfülle des Bischofs korrespondiert der Machtfülle, die in der Kaiserzeit auf einzelne Personen im römischen Staat übertragen wurde.

Obwohl in der Theorie das Volk (populus) ein wesentlicher Machtfaktor blieb, entwickelte sich mit dem Prinzipat eine Herrschaftsform, die einen Großteil der Macht in der Hand eines Einzelnen versammelte (291). Auffällig ist, dass der Begriff des praepositus, den Cyprian zur Charakterisierung der Stellung des Klerus gegenüber dem Kirchenvolk benutzt (173 f.182 f.), nur im militärischen Bereich ähnlich verwendet wird (261). Am Ende seines Buches gibt H. eine Auswertung seiner Gegenüberstellung von Cyprians Schriften und den römischen Rechtsquellen. Zurückhaltend beurteilt er die Übereinstimmungen im ersten Teil.

Es gibt Gemeinsamkeiten in der Terminologie, aber die Begründungen des Rechtes sind sehr verschieden. Dennoch zeigt sich, dass Cyprian mit den römischen Rechtskategorien seiner Zeit vertraut ist. Es kann aber keine Rede davon sein, dass Cyprian sie unreflektiert auf die Kirche überträgt. Hier bleibt die Bibel die alleinige Richtschnur der Christen. In der Schlussbetrachtung sieht H. noch "Übereinstimmungen in Ordnungs- und Strukturprinzipien". Diese sind zum einen die Überzeugung, dass die Kirche ebenso wie der Staat auf einer - wenn auch anders legitimierten - Rechtsordnung beruht, und zum anderen die Feststellung, dass "die Gesamtheit aller Vollmitglieder der jeweiligen Gemeinschaft grob zweigeteilt ist. Auf der einen Seite steht die Gruppe der Funktions- und Entscheidungsträger [...] Ihr steht die große Mehrheit einfachen Volkes gegenüber" (305). Die kirchengeschichtliche Folge aus diesen Gemeinsamkeiten zwischen Cyprians Texten und den römischen Rechtsquellen ist vor allem eine Stärkung der beherrschenden Stellung des Bischofs in der Kirche. Durch sie wird die Trennung zwischen Klerus und Laien zementiert und erst in der Reformation durch die Konzeption eines biblisch begründeten "allgemeinen Priestertums" wieder verändert.