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Ausgabe:

April/2003

Spalte:

420–423

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

4) Savonarola, Girolamo

Titel/Untertitel:

1) I processi di Girolamo Savonarola (1498). A cura di I. G. Rao, P. Viti e R. M. Zaccaria.

2) Girolamo Savonarola da Ferrara all'Europa. A cura di G. Fragnito e M. Miegge.

3) Una città e il suo profeta. Firenze di fronte al Savonarola. A cura di G. C. Garfagnini.

4) Il Quadresimale del 1491. La certezza profetica di un mondo nuovo. Testo latino secondo l'autografo con traduzione italiana a fronte. A cura di A. F. Verde e E. Giaconi.

Verlag:

1) Firenze: Sismel 2001. CXX, 211 S. m. 4 Abb. 8 = Savonarola e la Toscana, Atti e Documenti, 13. Kart. ¬ 41,32. ISBN 88-8450-092-3.

2) Firenze: Sismel 2001. XX, 553 S. m. 27 Abb. 8 = Savonarola e la Toscana, Atti e Documenti, 14. Kart. ¬ 62,00. ISBN 88-87027-79-X.

3) Firenze: Sismel 2001. XVI, 575 S. m. 67 Abb. 8 = Savonarola e la Toscana, Atti e Documenti, 15. Kart. ¬ 62,00. ISBN 88-8450-027-3.

4) Firenze: Sismel 2001. LIV, 392 S. 8 = Savonarola e la Toscana, Atti e Documenti, 16. Kart. ¬ 62,00. ISBN 88-8450-026-5.

Rezensent:

Joachim Weinhardt

Das 500. Todesjahr Girolamo Savonarolas (S.) 1498 wurde in Italien mit zahlreichen wissenschaftlichen Kongressen und Ausstellungen begangen (seit 1995). In der Reihe Savonarola e la Toscana liegen die meisten der entsprechenden Tagungsbände und darüber hinaus auch breit gefächerte Texteditionen vor.

Eine der Perlen der Reihe ist Bd. 16, Verdes Edition der Predigtentwürfe für den Fastenpredigtzyklus von 1491 (von der Mitherausgeberin stammt die ital. Übersetzung). S. pflegte sich zur Vorbereitung seiner Predigten einen stichwortartigen Entwurf zu notieren, den er dann gelegentlich nach gehaltener Predigt um Bemerkungen über die Durchführung ergänzte. Verde hat schon zahlreiche solcher Predigt- und Vorlesungsskizzen für die Jahre 1486-1492 ediert und mustergültig kommentiert. Diese Texte sind wichtig für die Rekonstruktion von S.s theologischer Entwicklung. Denn erst seit 1494 sammelten und veröffentlichten seine Zuhörer seine Predigten, als nämlich der französische König nach Italien zog, um Neapel zu erobern und dabei die Herrschaft der Medici in Florenz zum Kollaps brachte. S. besetzte die Rolle des Propheten, der diesen Kriegszug vorhergesagt hatte, und wurde ein Protagonist der neuen republikanischen Verfassung. Nun hat Donald Weinstein in seinem Werk über S. and Florence (1970) die These entwickelt, dass der Feldzug von 1494 S.s theologische Vorstellungen vollständig umgekrempelt hätte. Aus den wenigen bekannten Texten von vor 1494 ergebe sich, dass S. ein apokalyptischer Bußprediger gewesen sei, der das Jüngste Gericht ankündigt, während er nach 1494 die Erneuerung der Kirche und den Chiliasmus predige. So erscheint bei Weinstein bzw. bei seinen Nachfolgern S.s Entwicklung als in hohem Maße durch äußere Ereignisse bestimmt und seine Profetie als politisches Kalkül (vgl. a. a. O., XXXVIII).

Die Editionen der frühen Predigtskizzen revidieren diese Sicht. Verde zeigt, dass gerade 1491 bei S. das neue Thema der Erneuerung der Kirche in den Vordergrund tritt, die Bekehrung der Juden und Muslime, die Ersetzung des verdorbenen, simonistischen Klerus (vgl. a. a. O., XXV.126.128.152.162). Und ebenfalls schon in dieser Zeit fühlt sich S. von Gott gedrungen, bestimmte Inhalte zu predigen, bzw. erkennt in zufälligen Ereignissen Gottes Fingerzeig für seine Verkündigung - das prophetische Selbstbewusstsein ist im Werden und muss sich gelegentlich noch erst über sich selbst klar werden (vgl. a. a. O., 46.122.160.198.212). Damit behält Weinstein zwar darin Recht, dass S. eine Wandlung vom Apokalyptiker zum Chiliasten durchgemacht hat. Aber diese Entwicklung ist nicht so sehr durch äußere Faktoren erzwungen, sondern das Ergebnis einer innerlichen religiösen Bewusstseinsdynamik. Dass die prophetischen Erwartungen von 1491 sich dann so gut mit den Ereignissen von 1494 zusammenschauen ließen, brachte S. sein Ansehen bei den Florentiner Bürgern ein. Dass schon wenige Jahre später die Wirklichkeit und die Prophetie auseinander klafften, führte 1498 zu seinem Sturz.

In Bd. 13 sind die Protokolle von S.s Verhören zu lesen. Die vorliegende Edition geht durchgängig von der handschriftlichen Überlieferung aus, ohne Abweichungen von den frühen (Teil)-Drucken zu verzeichnen. Die Herausgeber sehen den innovativsten Aspekt ihrer Arbeit darin, dass sie in den Anmerkungen zum Text reichhaltige Informationen zu Personen und Vorgängen bieten, die mit S. in Zusammenhang standen (a. a. O., 47.49).

Die kritische Forschung ging bisher davon aus, dass die Verhörprotokolle gefälscht worden seien, um das Todesurteil gegen S. zu rechtfertigen. Sie akzeptierte die Tradition seiner ersten Anhänger, es habe ein Autograph gegeben, in dem sich S. gegen die Vorwürfe gegen ihn verteidigte. Dieses sei von dem Notar Francesco Baroni manipuliert worden. Die neuen Editoren lehnen diese Tradition ab, weil sich das Autograph nirgends finde und weil die alten Berichterstatter unzuverlässig seien (LXXIX- CIII). Nun mag jene Überlieferung legendenhaft überwuchert sein - doch auch die Herausgeber des vorliegenden Bandes kommen nicht darüber hinweg, dass S. am Ende des zweiten Verhörs mit der Bemerkung unterschrieb, dass wahr sei, was "auf diesem Blatt und den anderen vorbemerkten Schriften von meiner Hand enthalten ist, obwohl an einigen Stellen einige Zusätze (postille) von der Hand Ser Francescos" stünden (31). Wenn diese Bemerkung in der s.feindlichen Überlieferung erhalten geblieben ist, muss es einen Text gegeben haben, in dem sowohl Niederschriften von S. als auch Zusätze des Notars zu lesen waren. Nun könnte S. in dieser eigenhändigen Niederschrift durchaus auch Verfehlungen, Betrug, Verrat usw. zugegeben haben, denn er wurde wiederholt gefoltert (was in den Protokollen gleichfalls vermerkt ist, vgl. 4.39.41 f.). Die neuen Herausgeber anerkennen diese Tatsache (LVIII f.), machen aber gleichwohl Gebrauch von den Verhörprotokollen, um das politische Denken S.s zu analysieren. Auf diese Weise erscheint der Dominikaner an einer Stelle z. B. als Zyniker der Macht (LXXII) - hier liegt eine deutliche methodisch bedingte Fehlinterpretation vor.

Bd. 14 bietet einen Teil der Vorträge der Tagung G. S.: da Ferrara a Europa (Ferrara 1998). Die erste Hälfte behandelt die politischen, kulturellen und religiösen Rahmenbedingungen im Herzogtum Ferrara zur Zeit Savonarolas (S. wuchs in Ferrara auf), die zweite Hälfte ist religiösen Führern in Stadtrepubliken und Reichsstädten gewidmet. Eine vollständige Übersicht über die Beiträge ist hier nicht möglich. Die folgende Auswahl berücksichtigt vorwiegend theologische Aspekte. Gabriella Zarri (Lucia Narni e il movimento femminile savonaroliano, 99- 116) macht deutlich, dass S. die Mystikerinnen des Dominikanerordens noch viel stärker beeinflusste, als dies bisher allgemein bekannt war. Giuliano Tamani (La cultura ebraica a Ferrara, 171-193) listet die bekannten Inkunabeln und Manuskripte auf, die aus der jüdischen Gemeinde Ferrara stammen, und kommt zu dem Schluss, dass der Geist der Lehrer an der jüdischen, von Bankiers finanzierten Schule in Ferrara eine rationalistische Tendenz hatte (dasselbe gilt übrigens auch für S.s Theologie). Edoardo Barbieris Beitrag (Episodi della fortuna editoriale di G. S., 195-237) geht von der Beobachtung aus, dass S. der meistgedruckte Autor des italienischen Quattrocento war. Bei der quantitativen Analyse des Druckereiwesens in Florenz kommt er zu dem Ergebnis, dass das Ausmaß von S.s Druckmedienpräsenz nicht als eine frühe Erscheinung von Propaganda, wohl aber von Massenmedialität anzusprechen sei. Ugo Rozzo (S. nell'indice dei libri proibiti, 239-268) schildert die Geschichte der Indizierung einiger Teile von S.s Werk im 16. Jh. Die Hauptgründe für ein Misslingen der Rehabilitierung des von Alexander VI. als Häretiker Exkommunizierten waren die protestantische Inanspruchnahme S.s als eines Vorläufers der Reformation und die absolutistischen Bestrebungen der Päpste, die nicht einmal einen Widerspruch gegen einen Papst wie den Borgia hinnehmen konnten.

Die Essays über Zwingli, Bullinger, Calvin und Beza setzen die Reformatoren leider nicht in Beziehung zu S. Dagegen vergleicht Berndt Hamm (Tra severità e misericordia. Tre tipi di prediche riformatrici nelle città prima della Riforma: S. - Geiler - Staupitz) S. als Prediger des strengen Gottes mit Müntzer, Geiler als Prediger von Gottes Barmherzigkeit mit Luther und Agricola mit Staupitz als vermittelnden Typ mit Zwingli, Blarer, Bucer und Calvin. Die Reformatoren verlassen das Koordinatensystem ihrer spätmittelalterlichen Vorgänger, indem sie ein menschliches Verdienst aus dem Rechtfertigungsgeschehen ausklammern (a. a. O., 380 f.).

Die Beiträge des 15. Bandes (Florentiner Tagung 1998) konzentrieren sich auf zwei Schwerpunkte: Die materiellen Spuren S.s in Florenz (Reliquien, Denkmäler, Bilder) und seine Rolle als Liederdichter. Auf allgemeineres Interesse rechnen dürfen Cesare Vasolis Schilderung der Forschungsgeschichte zwischen 1898 und 1998 (Da un centenario all'altro, a. a. O., 3-35; es wird die große Rolle deutscher Savonarola-Forschung in der ersten Hälfte dieses Zeitraums deutlich); ferner Garfagninis Vortrag über S.s Profetie (Alle origini dell'impegno politico savonaroliano: la profezia, a. a. O., 97-107) - darin zeigt sich eine Ambivalenz, die für nicht wenige S.forscher charakteristisch ist: einerseits wird die Schlüsselfunktion von S.s Prophetie herausgestellt, andererseits wird diese Prophetie spiritualisiert, ja pragmatisiert: Sie erscheint als eine Art von biblisch begründeter politischer und sozialer Handlungskompetenz. S. als Visionär, als Ekstatiker bleibt hier, anders als bei Verde, außerhalb des Gesichtsfeldes. Paolo Viti bringt einen alten s.kritischen Gesichtspunkt neu zur Geltung (S. e i liberi, a. a. O., 159-182), nämlich die Ablehnung sämtlicher paganer Bildung seitens des Dominikaners. Adriana Valerio (La predica sopra Ruth, la donna, la riforma dei semplici, a. a. O., 249-261) kommt zu dem Ergebnis, dass S. zwar weitgehend einem traditionellen Frauenbild verhaftet sei, dass aber dessen negativste Klischees vermieden seien und sogar gelegentlich eine positive Rolle der Frauen vorgesehen werde, da S. ihnen und den Kindern eine tragende Rolle bei den sozial-religiösen Reformen der Florentiner Gesellschaft zugedacht habe.