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Ausgabe:

April/2003

Spalte:

406–409

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Titel/Untertitel:

Jahrbuch für Antike und Christentum.

1) Jahrgang 42, 1999.

2) Jahrgang 43, 2000.

Im Auftrag der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften hrsg. im Franz Joseph Dölger-Institut zur Erforschung der Spätantike der Universität Bonn v. E. Dassmann, K. Thraede u. J. Engemann.

Verlag:

1) Münster: Aschendorff 1999. 232 S. m. 29 Taf. im Anhang. 4. Lw. ¬ 69,60. ISBN 3-402-08133-4.

2) Münster: Aschendorff 2000. 255 S. m. 3 Taf. im Anhang. 4. Lw. ¬ 60,40. ISBN 3-402-08134-2.

Rezensent:

Wolfram Kinzig

Band 42 des "Jahrbuchs für Antike und Christentum" wird eingeleitet von Heinz Robert Schlette mit einem Vortrag zu einem in diesem Rahmen ungewöhnlichen rezeptionsgeschichtlichen Thema: "Rejoindre les Grecs. Griechen und Christen bei Albert Camus" (5-19). Schlette geht dabei von der Diplomarbeit des Philosophen aus dem Jahre 1936 zum Thema "Christliche Metaphysik und Neuplatonismus" aus, die er "als eine Art Identitätsfindungsschrift" (9) bezeichnet. Entgegen Deutungen von Camus als eines Atheisten oder aber als eines antireligiösen Kryptotheologen (so etwa I. Di Méglio) betont Schlette, die durchaus vorhandene Religiosität des Philosophen sei entscheidend durch die griechischen Mythen und Tragödien sowie durch einige Vorsokratiker geprägt worden.

Katharina Schneider beleuchtet "Die Stellung der Juden und Christen in der Welt nach dem Diognetbrief" (20-41) und führt einen Indizienbeweis für eine Frühdatierung des anonymen Textes in die erste Hälfte des 2. Jh.s.

Auch der nächste Beitrag bleibt beim Thema der altkirchlichen Apologetik, wenn Alfons Fürst den "Philosophiegeschichtlichen Ort von Minucius Felix' Dialog Octavius" zu ermitteln sucht (42-49). Die "zeitgenössischen Bezugsgrößen seines Denkens" seien Pyrrhonismus, Platonismus und Christentum, die Minucius "werbewirksam und für gebildete Heiden gewiß attraktiv" in eine "gerade Linie vom Skeptizismus über den Platonismus in das Christentum" anordne (49).

Andrzej Wypustek macht in einem Aufsatz wahrscheinlich, dass es sich bei dem von den Heiden gegenüber den Christen erhobenen Vorwurf der Zauberei insbesondere um sexuelle Magie gehandelt habe ("Un aspect ignoré des persécutions des chrétiens dans l'antiquité", 50-71).

Umfangreich sind die archäologischen Beiträge in diesem Band: Einen Überblick über die bemerkenswerten "Spätantik-frühislamischen Textilien in der Studiensammlung des F. J. Dölger-Instituts" mit vorzüglichen Photographien geben Sabine Schrenk und weitere Autorinnen und Autoren in Katalogform (72-115).

Iris Stollmayer diskutiert, ob den zahlreichen spätantiken Trikonchoskirchen ein einheitliches Baukonzept zu Grunde liegt, wie dies in der Literatur immer wieder behauptet wird ("Spätantike Trikonchoskirchen - ein Baukonzept?", 116-157). Sie kommt nach einer ausführlichen Diskussion der archäologischen Quellen zu dem Ergebnis, dass dem nicht so sei: "Die aufgeführten Bauten sind weder durch eine einheitliche Form, noch nachweislich durch eine Funktion oder Symbolik miteinander verbunden, auch kann kein gemeinsamer Ursprung und keine Genese ausgemacht werden" (141). Nicht nur ist der Beitrag mit verschiedenen Grundrissen wichtiger Kirchen illustriert; angefügt ist zudem eine nützliche Zusammenstellung aller bekannten Kirchenbauten dieses Typs.

Mitherausgeber Josef Engemann erneuert in einem knappen Beitrag die ältere, von A. Cameron unlängst bestrittene These R. Delbruecks, dass das Halberstädter Consulardiptychon unter die westlichen Diptychen des 5. Jh.s zu rechnen sei ("Das spätantike Consulardiptychon in Halberstadt: westlich oder östlich?", 158-168).

Rotraut Wisskirchen versucht schließlich die seit längerem diskutierte Frage einer Lösung zuzuführen, ob Papst Sergius I. (687-701) als Auftraggeber für das Mosaik der Apsisstirnwand von SS. Cosma e Damiano in Rom anzusehen ist, was die Vfn. nachdrücklich bejaht ("Zur Apsisstirnwand von SS. Cosma e Damiano/Rom", 169-183).

Ein hochaktuelles Thema erörtert Alfons Fürst in dem den Jahrgang 43 einleitenden Beitrag: "Der Einfluß des Christentums auf die Entwicklung der kulturellen Identität Europas in der Spätantike" (5-24). Der Vf. behandelt verschiedene Felder, auf denen das Christentum die spätantike Kultur in entscheidender Weise transformiert habe, und verschweigt dabei - im Unterschied zu älteren Arbeiten zum Thema - auch die Ambivalenzen dieser Beeinflussung nicht. Besonders eindrücklich gelingt ihm dies beim Thema Wahrheitsanspruch und (In-)Toleranz. Gleichwohl finden sich auch bei ihm gewisse Schematisierungen, die diskussionsbedürftig sind.

Auch wenn man zustimmen wird, dass im Unterschied zu Judentum und Christentum "von seiten der heidnischen Religiosität [...] kein Weg zu einer sozialen Praxis" führte (wie ist das mit der heidnischen Philosophie?), so ist mir doch fraglich, ob der "streng ritualisierte und formalisierte Kult" im griechisch-römischen Bereich tatsächlich "ohne innere Anteilnahme der Kultteilnehmer und sogar der Kultdiener" "funktionierte" (11). Ebenso ist die Vorstellung, zur "Mentalität der Antike" (was wäre das genau?) habe ein "beträchtliches konservatives Beharrungsvermögen" gehört, mindestens ergänzungsbedürftig (12; vgl. dazu meine Studie "Novitas Christiana. Die Idee des Fortschritts in der Alten Kirche bis Eusebius", Göttingen 1994 [FKDG 58], 56 ff. [dort der Verweis v. a. auf die Arbeiten von L. Edelstein, E. R. Dodds, K. Thraede, Ch. Meier u. a. zum Thema] sowie den Aufsatz: Die Kategorie des Neuen in alter Literatur. Anmerkungen zur literaturästhetischen Verwendung des Neuheitsbegriffes in der lateinischen Antike, arcadia 25 [1990], 113-126).

Richtig ist die Beobachtung, dass auch der Wille zur sozialen Reform innerhalb des Christentums eng begrenzt war und die altkirchliche Diakonie keine weitergehenden strukturellen Analysen hinsichtlich der Ursache sozialen Unrechts anstellte. Aber ob sich dies mit der "Weltfremdheit" des Christentums erklären lässt (13)?

Clemens Scholten erörtert eine in der antiken Philosophie und Theologie viel traktierte Frage: "Verändert sich Gott, wenn er die Welt erschafft? Die Auseinandersetzung der Kirchenväter mit einem philosophischen Dogma" (25-43). Ausführlich werden die Lösungsversuche der altkirchlichen Autoren für die Schwierigkeit, wie Veränderlichkeit der Welt und Ewigkeit Gottes zusammengedacht werden können, vorgestellt (Tertullian, Origenes, Methodius, die Väter des 4. Jh.s, Aeneas von Gaza, Zacharias Rhetor). Man habe - so Scholten - eine Veränderung Gottes bei der Weltschöpfung von den Christen zwar i. a. verneint; aber erst Johannes Philoponus habe mit seinen Überlegungen über Potenz und Akt einen Weg gefunden, diese Antwort zu begründen.

Ein Thema der praktischen Ethik diskutiert Maria Becker: "Klugheit (phronesis) im Argumentationszusammenhang der Stromateis des Clemens Alexandrinus" (44-54). Dabei weist die Vfn. einmal mehr den eklektischen Charakter der philosophischen Bildung des Clemens nach. Positiv ausgedrückt könnte man auch sagen, dass Clemens "auf eigenständige und souveräne Weise die Tugend in den Dienst der christlichen Lehre" stellt (53).

Allerdings wird die deutsche Wiedergabe des griechischen Begriffes mit "Klugheit" von der Vfn. nicht weiter problematisiert; auch benutzt sie "Klugheit" verwirrenderweise ebenso als Übersetzung von synesis wie aisthesis (wobei die Identifikation von aisthesis und phronesis in str. 6,154,4 gerade auf die Problematik der deutschen Übersetzung hinweist, vgl. 50 f.).

"Anmerkungen zu philologischen und archäologischen Studien über spätantike Magie" notiert Josef Engemann (55-70). Anlass ist die Edition der sog. Lamella Bernensis, eines spätantiken Goldamuletts, durch Th. Gelzer, M. Lurje und Ch. Schäublin, die der Vf. ausführlich bespricht, um dann bedauernd zu konstatieren, "dass im Kommentar dieser unter philologischen Gesichtspunkten so vorzüglichen Arbeit nicht ausreichend auf archäologische Vergleichbeispiele und entsprechende neuere Forschungsliteratur" eingegangen wird" (62), was er für symptomatisch für neueste Publikationen zum Thema hält. Geschähe dies, so würde deutlich, dass die magische Abwehr von Übeln weder eine Angelegenheit des einfachen Volkes noch auch des individuellen privaten Lebens gewesen sei, sondern "dass auch offizielle Vertreter der spätantik/frühmittelalterlichen Kirche an magischer Übelabwehr beteiligt waren" (63).

"Die Absetzung des Bischofs Meletius von Antiochien 361 nC" ist Thema eines Aufsatzes von Franz Dünzl (71-93). Der Vf. analysiert insbesondere den dogmatischen Gehalt der bei Epiphanius erhaltenen Homilie des Bischofs zu Prov 8,22, die dieser um die Jahreswende 360/61 in Gegenwart des Kaisers gehalten haben soll. Sie soll nach Ansicht mancher Forscher auf Grund der darin vertretenen nizänischen bzw. homöusianischen Position für die Absetzung ausschlaggebend gewesen sein. Dünzl stellt demgegenüber fest: "Die Predigt des Meletius erweist sich in ihren Grundzügen als gut homöisch. Sie läßt sich nicht altnizänisch deuten [...], sie ist unmißverständlich anti-marcellianisch und dezidiert auch anti-arianisch angelegt" (91). Damit habe sie aber kaiserlicher Religionspolitik entsprochen und könne nicht der Grund für die Absetzung gewesen sein, für die vielmehr die umstrittenen personalpolitischen Entscheidungen des Meletius verantwortlich zu machen seien.

Eine materialreiche kritische Biographie des Orosius hat Josep Vilella zusammengestellt ("Biografía crítica de Orosio", 94-121).

Von Markus Stein stammen knappe "Bemerkungen zu Iulianus von Aeclanum", die zeigen, dass die Sammlungen der Fragmente des berühmten Augustingegners durch A. Bruckner und L. De Coninck/M. J. D'Hont in mancher Hinsicht revisionsbedürftig sind (122-125).

Thomas Gärtner bietet in seinem Aufsatz "Zur Bibeldichtung De spiritalis historiae gestis des Alcimus Avitus" (126-186) eine eingehende philologische und literaturhistorische Untersuchung des besagten Epos' und weist nach, dass die literaturgeschichtliche Einordnung des Werkes bisweilen sogar zur Lösung von textkritischen Schwierigkeiten beiträgt.

Zwei archäologische Beiträge schließen sich an: Gerhard Steigerwald legt eine Neuinterpretation der "Darstellung Jesu im Tempel auf dem Triumphbogenmosaik von S. Maria Maggiore in Rom (432-440)" vor (187-199). Das Mosaik sei "keine narrative Schilderung der diesbezüglichen biblischen Erzählung"; vielmehr diene die biblische Geschichte "gleichsam als Folie" für die theologische Deutung des Jesuskindes als des Gottessohnes und des neuen Hohepriesters des Volkes Gottes, mit dessen Kommen "der Tempel von Jerusalem, seine Priesterschaft und sein Opferkult ihr Ende gefunden" hätten (199).

Guido Devoto und Luigi Pedrono bieten eine Beschreibung des Nike-Engels auf einer Gemme und einem Silberplättchen aus einer Privatsammlung ("La Nike di Teodosio II su due oggetti preziosi da collezione privata", 200-204). Der terminus post quem für die spezifische Form der Darstellung mit einem langen Kreuzzepter lässt sich anhand von numismatischen Befunden ziemlich genau mit 420 n. Chr. angeben. Die Verfasser möchten den neuartigen Bildtypus auf Grund der Angaben bei Socr., h.e. 7,2,3 und Suida 2, 694/5 (Adler) auf Theodosius II. selbst zurückführen.

In beiden Bänden bestätigt der ausführliche Rezensionsteil einmal mehr, dass eingehende, auch Details kritisch prüfende Besprechungen dem wissenschaftlichen Gespräch nur förderlich sind.