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Ausgabe:

April/2003

Spalte:

402–406

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Grote, Andreas E. J.

Titel/Untertitel:

Anachorese und Zönobium. Der Rekurs des frühen westlichen Mönchtums auf monastische Konzepte des Ostens.

Verlag:

Stuttgart: Thorbecke 2001. 380 S. gr.8 = Historische Forschungen, 23. Kart. ¬ 49,00. ISBN 3-7995-0472-9.

Rezensent:

Katharina Greschat

Die vorliegende Studie entstand im Rahmen des seit 1990 bestehenden und von der DFG geförderten Graduiertenkollegs: "Vergangenheitsbezug antiker Gegenwarten" des Seminars für Alte Geschichte an der Albrecht-Ludwigs-Universität Freiburg unter der Federführung von Prof. Dr. H. J. Gehrke. Das Kolleg fragt nach unterschiedlichen Strukturen und Typen im Umgang mit Vergangenheit, derer man sich innerhalb der griechisch-römischen Antike bediente, um die eigene Gegenwart zu deuten und zu legitimieren. Ausgehend von diesem Konzept macht G. deutlich, dass er sich, im Unterschied zu weiten Teilen der Forschung, die er nur sehr knapp referiert (13 f.), dem Problem der Adaption und Auseinandersetzung des westlichen vorbenediktinischen Mönchtums mit den Traditionen des Ostens auf nicht ausschließlich theologiegeschichtlichem Wege nähern will.

Um die vollkommen verschiedene westliche Rezeption des östlichen Mönchtums hervortreten zu lassen, widmet G. den ersten Teil seiner Untersuchung den Mönchslandschaften des Westens in ihrem Bezug auf das östliche Mönchtum ("Mönchslandschaften des Westens und das östliche Mönchtum", 17-191). G. geht es dabei aber offenbar weniger um Mönchslandschaften im eigentlichen Sinne, denn das Mönchtum in Italien und Spanien findet keine Erwähnung, als vielmehr um ausgewählte Modelle für die westliche Übernahme östlicher Traditionen. Allerdings bleibt er dem Leser eine Erklärung dafür schuldig, warum er sich ausschließlich auf Augustin, das Martins- mönchtum und das Mönchtum von Lerinum konzentriert, und nicht etwa auch die interessanten Adaptionsversuche eines Hieronymus oder Rufin in seine Untersuchung mit einbezieht. Lediglich zu behaupten, "... die monastischen Phänomene Nordafrikas [...] und Galliens [...] [hätten] im Westen die größte Bedeutung ..." erlangt (15), reicht als Begründung für die getroffene Auswahl allein nicht aus.

Der recht kurze Abschnitt über das Mönchtum Augustins (17-41) interpretiert die auffallend wenigen Bezugnahmen auf das östliche Mönchtum in De moribus ecclesiae catholicae et de moribus Manichaeorum, den Confessiones und einigen Briefen. G. beschreibt, wie das östliche Mönchtum für Augustin zunächst noch die Rolle eines Vorbildes für das gemeinschaftliche, asketische Leben spielen konnte; später jedoch, als Augustin sich darum bemühte, das Mönchtum stärker in die Ekklesiologie einzubinden, diese Vorbildfunktion einbüßte. Monastische Gruppen in Nordafrika, die sich auf östliche Vorbilder beriefen, hätten Augustin schließlich davon abgehalten, in seinen späteren Schriften und Regeln überhaupt noch auf das östliche Mönchtum einzugehen. Seine ekklesiologisch fundierte Synthese von mönchischem Leben und kirchlichem Dienst habe Augustin in einen für den Westen singulären Gegensatz zu den monastischen Konzeptionen des Ostens gebracht (40 f.).

Gänzlich anders als in Nordafrika sei nach G. dagegen die Entwicklung in Gallien verlaufen, deren Deutung das Schwergewicht des ersten Teils der vorliegenden Untersuchung ausmacht (41-191). Hier kam es nach G.s Verständnis mit dem aquitanischen Martinsmönchtum und dem südgallischen Klostermönchtum von Lerinum zu zwei geradezu gegensätzlichen Bezugnahmen auf die östliche Tradition. Sein Kapitel über Martin von Tours ("Der Agon mit dem Osten - Das Mönchtum des Martin von Tours") zeichnet G. nach den Martinsschriften des Sulpicius Severus, die sich an ein gebildetes Publikum richten und Martins Lebensführung als eines streng asketisch lebenden Bischofs sowohl gegenüber Angriffen von Seiten des gallischen Episkopats in Schutz nehmen als auch als nachahmenswertes Modell propagieren wollen (43). Ausgangspunkt für G.s These, dass Sulpicius Severus den Mönchsbischof Martin in klarer Überbietung der anachoretischen Mönche des Ostens darstellen wollte (G. richtet sich nicht nur an dieser Stelle gegen F. Prinz: Frühes Mönchtum im Frankenreich. Kultur und Gesellschaft in Gallien, den Rheinlanden und Bayern am Beispiel der monastischen Entwicklung (4.-8. Jahrhundert), München-Wien 1965, dessen Ergebnisse durch die neuere Forschung bereits modifiziert worden sind), ist die Beobachtung, dass Postumianus Dialogi I,3-22 von den bewundernswerten Leistungen der ägyptischen Mönche berichtet. Sulpicius sucht Martin als diesen Mönchen überlegen zu erweisen, weil er seine Großtaten nicht in der vergleichsweise einfachen Wüste, sondern als Bischof und damit unter viel schwierigeren Umständen vollbracht habe (Dialogi I,24-26). Dieselbe Absicht unterlegt G. auch seiner Interpretation der Vita Martini. Martin soll seiner Ansicht nach nicht, wie häufig angenommen wird, als ein zweiter Antonius und vir Dei geschildert, sondern in Überbietung der Mönchsviten des Hieronymus und der einflussreichen Vita Antonii als ein fast allmächtiger "Über-Heiliger" (75) dargestellt werden, der seine Leistungen als Bischof inmitten der Welt und nicht in der Abgeschiedenheit der Wüste und auf dem Wege der Selbstheiligung erreichte. "Diese Konzeption asketischen Lebens zu verbreiten und ein Gegengewicht zu der Dominanz des östlichen Paradigmas zu schaffen, ist das Anliegen der Martinsschriften des Sulpicius - sie sind als klare Konkurrenzschriften zu verstehen" (73).

Auf Martins bischöfliches Wirken und seinen Konflikt mit dem vom Adel geprägten gallischen Episkopat nebst dessen Askeseverständnis wird dagegen nur recht kurz eingegangen. G. geht zwar darauf ein, dass Martin mit Hieronymus traditionelle westliche Elemente von Askese kritisierte und dass ihm der in adligen Kreisen geübte secessus in villam nicht genügte (92 ff.), doch interessieren ihn an Martins Konflikt mit dem gallischen Klerus in erster Linie die Probleme, die sich für Martin hinsichtlich seiner Intervention für Priscillian ergaben, und er vermutet, dass Sulpicius die Rechtgläubigkeit Martins so nachdrücklich betont habe, weil wegen der Priscillian-Affäre auch in Gallien streng asketisch lebende Mönche mit heterodoxen Mönchen verwechselt werden konnten.

Als einen dezidierten Gegensatz zum Martinsmönchtum versteht G. das zönobitische Mönchtum des zweiten monastischen Zentrums in Gallien auf der Insel Lerinum (123 f.). Nicht nur die Regeln, auch das übrige Schrifttum der Leriner zeige sich deutlich vom ägyptischen Mönchtum beeinflusst. Gegenüber C. M. Kasper (Theologie und Askese. Die Spiritualität des Inselmönchtums von Lérins im 5. Jahrhundert, Beiträge zur Geschichte des Alten Mönchtums und des Benediktinertums 40, Münster 1991) kann G. überzeugend glaubhaft machen, dass es in Lerinum vermutlich keine Anfangsphase eines charismatischen Eremitentums gegeben hat, die dann in eine zönobitische Lebensform überführt wurde. Die für Lerinum bezeugten Einzelzellen verweisen vielmehr auf die Übernahme der ägyptischen Tradition, wonach sich fortgeschrittene Mönche um der eigenen Vervollkommnung willen von der Gemeinschaft absonderten (132 ff.). Die Bezugnahme des Inselmönchtums von Lerinum auf das ägyptische Mönchtum, die sich mit dem späteren Schrifttum noch verstärkt, lässt es für G. undenkbar erscheinen, dass sich die häufig gebildeten Leriner nicht mit Martin von Tours und seinem Rückgriff auf die östliche Tradition auseinander gesetzt haben. Da aber die erhaltenen Quellen aus Lerinum an keiner Stelle explizit auf das Martinsmönchtum eingehen, setzt G. hier ohne Angabe von Gründen ein "beredtes Schweigen" des Hilarius von Arles in seiner Vita Honorati voraus und behauptet, Hilarius müsse die Martinsschriften des Sulpicius intensiv studiert haben (143), um das Leben des Honoratus in bewusster Abgrenzung zu Martin zu gestalten. Durch diesen Kunstgriff kann er nun sowohl des Honoratus gutes Einvernehmen mit dem gallischen Klerus als auch seine Zurückhaltung gegenüber Wundertaten und seinen Wunsch, die Wüste zu sehen, im Sinne einer Auseinandersetzung mit dem Martinsmönchtum interpretieren: "In der Schlusswürdigung der Vita kulminiert schließlich die Abgrenzung vom Martinsmönchtum: Zunächst summiert Hilarius das Wirken seines Protagonisten in dem Diktum, dass das größte Zeichen seiner virtus gerade im Vermeiden von Wundertaten und -zeichen bestanden habe, deutlicher konnte das von Sulpicius vermittelte asketische Modell Martins ohne Namensnennung kaum verworfen werden" (148).

Diese reichlich hypothetische Auseinandersetzung des Hilarius von Arles mit dem fast gleichzeitigen Martinsmönchtum ist jedoch für G. zugleich die Grundlage für seinen Versuch zu erklären, weshalb sich das Klostermönchtum von Lerinum mit seiner Art des Rückgriffs auf die Tradition des Ostens als Gegenbewegung zum Martinsmönchtum durchsetzen konnte (151). Nur so lässt sich seiner Ansicht nach gegenüber Prinz das Problem zufrieden stellend lösen, dass in Gallien zwei derart unterschiedliche Mönchslandschaften entstanden, die sich beide in ganz unterschiedlicher Weise auf die östlichen Traditionen bezogen, ohne sich jedoch wechselseitig zu erwähnen. In der Priscillian-Affäre, die Ende des 4./Anfang des 5. Jh.s auch Südgallien erschütterte, findet G. den passenden Schlüssel, der dieses Dilemma nicht nur von theologischer, sondern auch von historischer Seite auf befriedigende Weise aufzuschließen vermag. Die Hinrichtung Priscillians und das askesefeindliche Klima in Gallien sind dafür verantwortlich, dass "... sich der Gründer der Gemeinschaft von Lérins unter keinen Umständen an Martin und dessen asketischer Lebensform orientieren [konnte]. Dessen Form anachoretisch-eremitischen Lebens war durch die Priscillian-Affäre in derartigen Verruf geraten, daß sich Honoratus allein schon aus diesem Grunde an einem anderen östlichen monastischen Konzept orientieren und jeden Anschein einer Verbindung zu Martin meiden mußte. Er entschied sich daher für das ägyptische Zönobitentum, das für erfahrene Mönche die Möglichkeit der teilweisen Separation vom Kloster bot" (188). Diese zunächst einmal sehr interessant klingende These hält jedoch einer kritischen Überprüfung nicht stand. Man stößt sofort auf die Schwierigkeit, dass die Mönche von Lerinum, sowenig wie sie Martin nennen, an den Auseinandersetzung um den Priscillianismus offenbar ebenfalls kein großes Interesse zeigen.

Nur beiläufig wird der Priscillianums als Häresie bezeichnet (Vinzenz von Lerinum, Comm. 24,10 und 25,3) und im Gegensatz zu dem von G. zum Vergleich herangezogenen Hieronymus sehen die Leriner Mönche eben keine Notwendigkeit, sich von Priscillian abzugrenzen, um die eigene Position zu stärken (182). Für dieses merkwürdige Schweigen bzw. Desinteresse auf Seiten der Leriner kann G. keine plausible Erklärung geben, sondern nur feststellen, dass auch Hieronymus nur selten auf Martin Bezug nimmt (186 f.). G. hält das Thema Priscillian und damit auch das Thema Martin - obwohl er nirgends nachweist, dass Hieronymus überhaupt eine Verbindung zwischen Martin und Priscillian sah - für so heikel, dass man besser daran tat, es gar nicht erst zu erwähnen. Es ist aber nicht recht nachvollziehbar, wie Schadensbegrenzung betrieben werden kann, ohne den Schaden überhaupt anzusprechen (189).

Den zweiten Teil seiner Studie widmet G. Cassian als einem Exempel der Vermittlung zwischen Ost und West (Johannes Cassian - Pachomius - Basilius: Ein Exempel für die Adaption, 193-329). Hier geht es G. um einen Vergleich der ersten vier Kapitel der Schrift De institutis coenobiorum mit der Pachomiusregel und dem Großen Asceticon des Basilius, die er im Unterschied zu den lateinischen Übersetzungen als weitgehend authentische Zeugnisse des östlichen Mönchtums ansieht. In nunmehr bekannter Manier wird die Ablehnung von Wundererzählungen als Ablehnung und Abgrenzung zum Martinsmönchtum gedeutet (198), obwohl doch Cassian selbst sagt, dass Wunder nicht zur Unterweisung im Hinblick auf das vollkommene Leben taugen (inst. praef. 7/con. XVIII,1,3). Gleichfalls erscheint es G. selbstverständlich, dass mit den getadelten Mönchsgemeinschaften im Westen Galliens (inst. praef. 8) die Martinsmönche gemeint sein müssen (198 f.). Ähnlich wie die Lériner versteht auch Cassian die Anachorese als eine Weiterentwicklung des Zönobium. Sorgfältig und gründlich stellt G. die relevanten Texte nebeneinander und kann auf diese Weise den Vorbildcharakter des Ostens, insbesondere des ägyptischen Mönchtums, für Cassians De institutis coenobiorum bestätigen. Allerdings fehlt diesem Teil der Studie noch etwas die Synthese (auch auf die neuere Veröffentlichung von C. Stewart: Cassian the monk, Oxford Studies in historical Theology, Oxford 1998, geht G. nicht ein); die abschließende Zusammenfassung deutet die vielfältigen Probleme einer Übertragung der zönobitischen Konzepte des Ostens auf die Vorstellungen, Werte und Traditionen der römischen Kultur im Westen nur sehr skizzenhaft an. Hierbei handelt es sich offenbar um eine vorläufige Fassung seiner Dissertation, die G. derzeit bei Prof. Dr. J. Martin (Freiburg) unter dem Titel: "Johannes Cassianus und der Einfluss des östlichen auf das westliche Mönchtum" erarbeitet und auf die der Leser gespannt sein darf. Dass es zu dieser interessanten Fragestellung durchaus noch Forschungsbedarf gibt, zeigt auch die jüngst erschienene Arbeit von St. D. Driver: John Cassian and the Reading of Egyptian Monastic Culture, New York 2002.