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Ausgabe:

April/2003

Spalte:

391–393

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bovon, François

Titel/Untertitel:

Das Evangelium nach Lukas. 3. Teilband: Lk 15,1-19,27.

Verlag:

Düsseldorf-Zürich-Neukirchen-Vluyn: Benziger Verlag/Neukirchener Verlag 2001. VIII, 304 S. gr.8 = Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament, III/3. Kart. ¬ 59,00. ISBN (Benziger) 3-545-23133-X; (Neukirchener) 3-7887-1810-2.

Rezensent:

Christfried Böttrich

F. Bovons Kommentar zum Lukasevangelium, der seit den ersten beiden Bänden 1989 und 1996 bereits zu einem Standardwerk geworden ist (ThLZ 115 [1990], 591-593 und ThLZ 125 [2000], 153-154), steht im Begriff, ähnlich Matthäus im EKK den Umfang von vier Bänden zu erreichen. In dem mittlerweile vorliegenden dritten Band wird die Auslegung bis zum Beginn des Jerusalemteiles fortgeführt, um schließlich dem vierten und letzten Band Passionsgeschichte und Ostertag zu überlassen.

Die exegetische Entscheidung über die Abrenzung des sog. "Reiseberichtes" bzw. der "central section" ist bereits in Bd. I getroffen und begründet worden. Die Arbeit R. von Bendemanns (Zwischen DOXA und STAUROS, Berlin-New York 2001, ThLZ 127 [2002], 171-173), mit der die Diskussion um die Existenz eines solchen Mittelteiles grundlegend neu angestoßen wurde, findet sich im Vorwort noch erwähnt. B. lässt den Jerusalemteil mit dem Einzug Jesu ab 19,28 beginnen. Der Einsatz des dritten Bandes bei 15,1 hat indessen wohl eher pragmatische Gründe - die in Bd. I vorgeschlagene Detailgliederung (z. B. 13,22-17,10 als formale Mitte des Evangeliums) kommt damit nicht zur Deckung.

Durchgängig handelt es sich bei den Perikopen dieses Bandes um solche, die als die bekanntesten, in Predigt und Unterricht bevorzugten Texte des Lukasevangeliums gelten - deren Interpretation also auch ein besonderes Interesse erwarten kann. Den weitaus größten Teil stellen Texte des lkn Sondergutes dar. Gleichniserzählungen bilden einen deutlichen Schwerpunkt. Größere literarische Einheiten dominieren kleinteiligere Kompositionen. Die vorangestellten bibliographischen Angaben rücken die breit gefächerte Diskussion in den Blick, ohne gerade in diesem Teil Vollständigkeit erreichen zu können. Die Auslegung folgt dem bewährten Schema von Einleitung, Analyse (synchron/diachron), Erklärung, Wirkungsgeschichte, Zusammenfassung, wobei das Gewicht der Wirkungsgeschichte deutlicher als in den vorausgegangenen Bänden hervortritt. Exkurse fehlen diesmal ganz, obgleich sie gerade für eine Reihe von Themen, die von den Perikopen dieses Bandes angeschnitten werden, sicher hilfreich wären.

Im Folgenden kann es nur darum gehen, einige markante Positionen des Kommentares exemplarisch vorzustellen. Die drei Gleichnisse in Kap. 15 werden unter das Leitmotiv des "Erbarmens" gestellt. Dabei rückt der Gedanke der Sammlung des Gottesvolkes als einer Ganzheit, die keinen Verlust hinnehmen kann, in den Hintergrund. Das Logion EvTh 107 vom verlorenen Schaf betrachtet B. nicht als gnostische Variante, sondern als alte, eigenständige Version. Den redaktionell etablierten Bogen von 15,1-12 zu 16,14-15 relativiert B. durch die eigenständige Behandlung von 16,1-9 und 16,10-18: Namentlich die beiden Logien 16,10-12.13 rücken damit als Kommentare weiter ab von der Parabel in 16,1-8 und werden Bestandteil eines nur schwer zu profilierenden Zwischenstü-ckes. In Lk 16,8 sieht B. im Kyrios den Herrn der Parabel und setzt den Beginn der folgenden Kommentarworte bei 8b an. 16,19- 31 beleuchtet die breite Diskussion um literarische Vorbilder der Erzählung, betont hinsichtlich der Einheitlichkeit die schrittweise Aktualisierung einer ursprünglich einfacheren Überlieferung und mündet in das Fazit: "Es gibt keine billige Gnade!" (130) In der Erzählung vom dankbaren Samariter 17,11-19 geht der Rekurs auf geschichtliche Hintergründe nicht über die Bemerkungen in Bd. II (zu 9,51- 56 und 10,25- 37) hinaus: "Samaria erscheint wie das Emblem jener Nationen, die fortan den Zugang zum Heil haben ..." (157); die umfassende Analyse von Martina Böhm (Samarien und die Samaritai bei Lukas, Tübingen 1999) konnte nicht mehr mit einbezogen werden. Die sog. kleine Endzeitrede umfasst den Abschnitt 17,20-37; die viel diskutierte Wendung von der Gottesherrschaft "entos hymon" (17,21) wird als "das Reich Gottes in dem Raum, der der Eure ist" wiedergegeben. Die Parabel vom ungerechten Richter und der hartnäckigen Witwe rückt dann durch die Interpretation näher mit der Parabel von Pharisäer und Zöllner zusammen. Dabei findet auch die Anstößigkeit Beachtung, die sich bei einer Betonung der Gebetsparänese in 18,1-8 ergibt (steht der gottlose Richter für Gott?).

Zu kurz kommt m. E. jedoch die Auseinandersetzung mit jener verhängnisvollen Wirkungsgeschichte, die gerade 18,9-14 für das Bild des Pharisäers hervorgebracht hat; dass die Gebetsparodie im Munde des Pharisäers überraschen musste und auf einem grundsätzlich positiven Vorurteil aufbaut, hat Chr. Kähler (Jesu Gleichnisse als Poesie und Therapie, Tübingen 1995) in die Diskussion eingebracht. Für die Perikope von Jesus und den Kindern 18,15-17 weist B. einen Bezug zur Säuglingstaufe mit guten Gründen ab. Die Forderung nach radikalem Besitzverzicht in 18,18-30 erhält im lkn Gesamtkonzept vom Umgang mit materiellen Gütern eine spannungsvolle Charakteristik - auf der einen Seite steht die Forderung des göttlichen Gesetzes, auf der anderen Seite steht das Wissen um den Geschenkcharakter des Heils: "Der Perikope gelingt es nicht, das Paradoxon dieser beiden logischerweise unvereinbaren Positionen aufzuheben." (242) Sorgfältig wird die letzte Leidensankündigung 18,31-34 ausgeleuchtet - ihre tragende Funktion für das theologische Konzept des "Erinnerns" wird dann in der Auslegung von Passion und Auferstehung vollends deutlich werden. Zur Perikope vom Besuch bei Zachäus erhellt eine graphische Darstellung die Erzählstruktur; stärker als eine paränetische Intention wertet B. die Absicht des Erzählers, die Verkündigung des Heils mit einer Apologie der Erlösung zu verbinden. Die abschließende Parabel von den Minen 19,11-27 steht bereits im Horizont des folgenden Jerusalemteiles (die Problematik der Zinsfrage, die das Verhalten des Königs nicht weniger anstößig macht als das des Verwalters in Lk 16, wird nicht eigens thematisiert) - am Schluss des "Reiseberichtes" verleiht ihr Lukas eine hermeneutische Funktion: "Er unterstreicht die christologische Komponente und drückt auf agressive Weise seine Enttäuschung über das Judentum aus, das den Führungsanspruch Jesu nicht akzeptiert hat." (304)

Im Vorwort hatte B. auf die neuen Einsichten verwiesen, die sich bei der Ausarbeitung ergaben - so auch die, "daß Lukas trotz seines guten Willens und seines ehrlichen Glaubens allerlei Ballast seiner Zeit und seines Charakters mitgeschleppt hat. Ohne es zu wollen und wahrscheinlich ohne es zu merken, zeigt er mehr als andere, aber wie viele, sein eigenes Gespaltensein zwischen Kerygma und Welt, Ethik und Ethos, Liebe und Gewalt, Gott und den Menschen." (VII) Was das bedeutet, wird dann die noch ausstehende Interpretation der letzten Kapitel, namentlich aber des für die lkn Theologie so entscheidenden Kapitels 24 sichtbar machen. Nach dem Studium dieses Bandes ist man inzwischen durch zahlreiche Anregungen, Entdeckungen sowie zuverlässige Informationen in Zuspruch und Widerspruch reich belehrt und sieht dem abschließenden letzten Band mit Spannung entgegen.