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Ausgabe:

April/2003

Spalte:

389–391

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Beutler, Johannes [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Der neue Mensch in Christus. Hellenistische Anthropologie und Ethik im Neuen Testament.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2001. 202 S. m. 4 Abb. 8 = Quaestiones disputatae, 190. Kart. ¬ 24,50. ISBN 3-451-02190-0.

Rezensent:

Nikolaus Walter

"Hellenistische Anthropologie und Ethik im Neuen Testament": Gibt es das? Darf es das geben? Vor 50 oder 30 Jahren hätten vielleicht nicht wenige Fachgenossen aufgeschrien - das ist heute wohl kaum noch so. Johannes Beutler hat ein gehaltvolles Bändchen mit Vorträgen von einer Tagung der Arbeitsgemeinschaft Deutschsprachiger Katholischer Neutestamentler herausgegeben, die um das Thema "Anthropologie und Ethik" kreisen, also um ein Thema, das in den neutestamentlichen Texten meist nur indirekt zu Worte kommt, das aber ohne gründliches Eingehen auf das Denken in der hellenistischen Umwelt nicht bearbeitet werden kann.

Aus Raumgründen können leider die einzelnen, durchweg lesenswerten Aufsätze meist nicht näher dargestellt, sondern nur aufgelistet werden (s. unten). Nach einer kurzen Skizzierung des Inhalts der genannten Tagung durch den Herausgeber (7-10) wird der Aufsatzteil eröffnet durch einen instruktiven Überblick von W. Speyer über die "hellenistisch-römischen Voraussetzungen der Verbreitung des Christentums". Er macht deutlich, dass die Welt-Anschauung in der paganen spätantiken Umwelt von der Welt-Sicht des Judentums (und damit auch der des anfänglichen Urchristentums) durchaus zu unterscheiden ist. Pauschal gesagt: Blicken hellenistische Denker in ihrem Geschichtsbegriff und damit auch in der Anthropologie eher statisch nach rückwärts zu den heilen Anfängen der Menschheit hin (die Gottheiten sind Teile des Kosmos, oder gar: Zeus ist der Kosmos), so schauen das Juden- und Urchristentum nach vorn, in die Zukunft, auf die Heilsfülle des Eschaton voraus; der Eine Gott wird hier als der ganz Andere erfahren; die Anthropologie hat daher bei der Frage des Gegenüber-Seins zu Gott eine Zukunftsperspektive. Aber auch das Judentum der neutestamentlichen Zeit hat bereits mancherlei Hellenistisches in sich aufgenommen, und für das Urchristentum ist das noch deutlicher. Der Überblick ist eine dankenswerte Hilfe des Altphilologen für die Bibelwissenschaftler.

Insgesamt zeigt sich in den Aufsätzen, dass das theologische Denken der neutestamentlichen Autoren, insbesondere im Blick auf die anthropologischen Aussagen, sich nicht nur aus "biblischen Traditionen" speist, also solchen, die durch das AT vorgegeben waren; schon das Judentum der neutestamentlichen Zeit ist ja ohne seine Kontakte zur hellenistischen Welt gar nicht erfassbar. Erst recht gilt das dann für das Christentum, die "Tochter" des Judentums, die den Überschritt in die "heidnische" Umwelt - zumindest in der paulinischen Linie - geradezu zum Programm machte. So wird, und zwar spätestens seit Paulus, immer auch die Kultur und das Denken der spätantiken griechisch-römischen Welt - in Aufnahme und Widerspruch - von den neutestamentlichen Autoren rezipiert. Dabei sollte man freilich, wie etwa auch D. Zeller deutlich macht, nicht von einer fachlich kompetenten Aufnahme und Diskussion hellenistischer Philosophumena bei Paulus und seinen Nachfolgern ausgehen, wohl aber doch davon, dass die Aufnahme bestimmter Begriffe (etwa das Neuverständnis von "Freiheit"; vgl. den Beitrag von G. Dautzenberg) und Denkweisen ganz unumgänglich war und dass ohne solche geistige Arbeit die missionarische Predigt bis in die Zentren der späthellenistischen Welt, über Kleinasien und Griechenland bis Rom, undenkbar wäre. - Ein anderes, gegenwärtig diskutiertes Thema ist die Frage, ob Jesus wesentlich (oder gar ausschließlich) als Weisheitslehrer eingeordnet werden kann, was M. Ebner in seinem Beitrag auf dem Hintergrund einer Analyse des Sirachbuches mit Recht deutlich einschränkt. Dass Jesus in einzelnen, durch bestimmte Situationen vorgegebenen Fällen "in der Linie eines Weisheitslehrers" agiert (117), ist natürlich anzuerkennen; aber insgesamt sind solche weisheitlichen Züge innerhalb der Rolle Jesu als eschatologischer Prophet nur als beigeordnet zu bestimmen.

Hier nun die Liste der einzelnen Aufsätze: W. Speyer, Hellenistisch-römische Voraussetzungen der Verbreitung des Christentums (11-38); H. D. Betz, Der Mensch in seinen Antagonismen aus der Sicht des Paulus (39-56); G. Dautzenberg, Freiheit im hellenistischen Kontext (57-81); D. Zeller, Konkrete Ethik im hellenistischen Kontext (82-98); M. Ebner, "Weisheitslehrer" - eine Kategorie für Jesus? Eine Spurensuche bei Jesus Sirach (99- 119); Th. Schmeller, Neutestamentliches Gruppenethos (120- 134); L. Oberlinner, Öffnung zur Welt oder Verrat am Glauben? Hellenismus in den Pastoralbriefen (135-163); R. Hoppe, Der Jakobusbrief als briefliches Zeugnis hellenistisch und hellenistisch-jüdisch geprägter Religiosität (164-189); G. Daltrop, Das Ethos des Verlierers. Gedanken zur Laokoongruppe (190-202).