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Ausgabe:

März/2003

Spalte:

334–336

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Schwanz, Peter

Titel/Untertitel:

Unterwegs zu einer anderen Theologie. Zur Weiterentwicklung genuin christlichen Denkens im Anschluß an Paul Tillichs philosophische Theologie. Aufsätze.

Verlag:

Münster-Hamburg-London: LIT 2002. 251 S. gr.8 = Theologie, 36. Geb. ¬ 25,90. ISBN 3-8258-5311-X.

Rezensent:

Gunther Wenz

1980 legte der Vf. unter dem Titel "Analogia Imaginis" Beiträge zur kritischen Auseinandersetzung mit der philosophischen Theologie Paul Tillichs vor, die zugleich als Versuch einer Hinführung zu einem eigenen Systemansatz intendiert waren. Die Arbeit trug entsprechend nur zu Beginn Züge einer Tillichmonographie, um bald den Rahmen einer streng monographischen Untersuchung zu sprengen und zum Schluss, wie es in einer Vorbemerkung heißt, über Tillich hinaus zum Ansatz eines neuen System-Entwurfs zu gelangen. Inhaltlich waren die Aufsätze, die unbeschadet ihrer relativen Selbständigkeit auf einen integralen Systemzusammenhang hin konzipiert wurden, um die Sachthemen "Das Subjekt-Objekt-Schema und seine Überwindung", "Inhalt und Form", "Relation und Substanz" sowie "Funktion und Sein in ihrer unlösbaren Zusammengehörigkeit" gruppiert. Grundzüge eines eigenen Modellentwurfs menschlicher Existenz hat der Vf. dabei namentlich im Schlussteil unter Bezug auf Tillichs Konzeption einer Selbst-Welt-Korrelation und den problematischen Begriff des Sein-Selbst skizziert, wobei er in Abhebung von einer attestierten Veruneigentlichung des Seins-Begriffs im Emanationsdenken Tillichscher Prägung die Unumgänglichkeit einer dualistischen Wirklichkeitssicht aufzuweisen suchte: "1) Das Sein kann seine Struktur als nicht destruierte nur von einem Zentrum her bauen, das hinsichtlich des von uns demonstrierbaren Seins radikal andersartig sein muß, also nicht im Sein als solchem, sondern der Grund des Seins ist, in Anbetracht seiner Funktion aber als Zentrum des Seins bezeichnet werden muß. 2) Während der zweiten Phase des einen, einheitlichen personalen Aktes tritt so anstelle des natürlichen Zentrums der ersten Phase, des sich der Welt als konkretisierender Beziehungspunkt gegenüberstellenden natürlichen Selbst, eine gegenüber Welt und Selbst radikal andersartige Größe. 3) Denn nur von einer derartigen Größe als der neuen Mitte her kann eine Ganzheit entstehen, die ihrer Struktur gegenüber genügend Distanz besitzt. 4) So daß Selbst und Welt unvertauscht zu ihrem vollen Recht kommen können, also eine durch konkrete Elemente des Welthaften, die sich selbst zum Mittelpunkt der Struktur machen und von diesem ihrem Mittelpunkt-Dasein alle anderen Momente der Wirklichkeit in eine nicht strukturgemäße Ordnung zwingen, nicht mehr bedrohte, sondern vielmehr nun wirklich existenzgemäße Struktur des Ganzen bilden." (159)

Auch die Beiträge des hier anzuzeigenden Sammelbandes bewegen sich auf dieser Argumentationslinie und stimmen in Inhalt und Form mit den Texten von 1980 im Wesentlichen überein. Dargeboten werden sieben z. T. noch unveröffentlichte, z. T. bereits anderwärts publizierte Texte. Der erste setzt Tillichs Denken in strukturelle Beziehung mit demjenigen von Clemens von Alexandrien, dessen Gottähnlichkeitslehre im Vergleich zur Eikon-Vorstellung (bei Paulus, Johannes, den apostolischen Vätern und frühchristlichen Apologeten sowie bei Irenäus), der die Leipziger Dissertation des Vf.s von 1965 gewidmet war (publiziert 1970 unter dem Titel: Imago Dei als christologisch-anthropologisches Problem in der Geschichte der Alten Kirche von Paulus bis Clemens von Alexandrien). Platonisch-plotinische Strukturen in Tillichs philosophischer Theologie erhebt ein zweiter Beitrag, der mit dem ersten unter der Wendung zusammengefasst ist: "Philosophisches Substanz-Denken oder biblischer Relationismus?"

Zur Charakterisierung der gnostizistisch-idealistischen Theologie Tillichs als des näheren plotinisch-platonischer Prägung". Zu vergleichen ist hierzu fernerhin der Beitrag: Plotin und Tillich. Zur Kennzeichnung der Position Tillichs als der bisher letzten Ausprägung des von der ursprünglichen Gnosis sich über den Idealismus der verschiedensten Art fortführenden Gnostizismus von 1972 (Analogia Imaginis, 121 ff.). Ein in VF 24, 1979, 55-86 erstveröffentlichter Beitrag zur neueren deutschsprachigen Literatur über Paul Tillich wird erneut abgedruckt unter der Überschrift: "Selbstverwirklichung oder Aufnahme konkreter Zueignung? - Dem gnostizistischen Substanz-Denken gemäßes Fehlen eigentlicher Christologie als Grund des Ausfallens echter Vermittlung". Zwei Aufsätze zu den, wie es heißt, aus dem dialektischen Charakter des Selbst resultierenden wesentlichen theologischen Konsequenzen sowie zu den Konsequenzen, die aus Erwägungen zu einer paradoxen Identität von Christentum und Atheismus zu ziehen sind, bilden ein drittes Kapitel, das überschrieben ist: "Unverfälschte Funktionalität oder alles vereinnahmender Funktionalismus? - Das mit Christus kompatible Leere selbst nicht als bloßes Zentrum, sondern als Mitte total neuen, auch andere einbeziehenden Menschseins". Zwei weitere Fragen suchen die beiden letzten Beiträge zu beantworten: "Das andere Leben des neuen Menschen - Ziel auch der lutherischen Rechtfertigungslehre?" sowie "Christsein als simul iustus et peccator oder als der neue Mensch?" Die Texte schließen inhaltlich an die Neuinterpretation an, die der Vf. der Rechtfertigungslehre in seinem Buch "Der neue Mensch" von 1998 zuteil werden ließ und sind unter die Kapitelüberschrift subsumiert: "Vorfindlichkeit Neuen Seins oder Forderung nach dem völlig Neuen Menschen?" - Statt unkontrollierbarer Teilhabe am Christus die durch Christus selber im neuen Selbst begründete Forderung radikal anderen Lebens".

Charakteristisch ist in diesem Zusammenhang die Bemerkung, es brauche "nur wenig Scharfsinn, um nachzuweisen, wie sich lutherische Theologie aufs neue an den alten Menschen verliert" (22). Entsprechend harsch fällt die Kritik am sog. lutherischen Dilemma aus. Nach meinem Urteil steht die Art und Weise, in der sie vorgetragen wird, in einem eklatanten Missverhältnis zum konstruktiven Gehalt der in preziösem Stil entwickelten Argumentationen des Vf.s. Doch mag dieses Urteil voreingenommen sein, da der Rez. von der Luthertumsschelte selbst nicht unbetroffen blieb. Der Leser möge daher selbst entscheiden, ob bzw. wie weit er Peter Schwanz auf seinem Weg zu einer anderen Theologie im Ausgang von Paul Tillich und über diesen hinaus zu folgen bereit ist. Zur Beförderung der Urteilsbildung sei die Lektüre insbesondere der Seiten 229-245 sowie der Summaries empfohlen, in welchen der Vf. seine Ergebnisse in dankenswerter Kürze zusammenfasst.