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Ausgabe:

März/2003

Spalte:

332–334

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Preß, Michael

Titel/Untertitel:

Jesus und der Geist. Grundlagen einer Geist-Christologie.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2001. IX, 326 S. 8. Kart. ¬ 39,90. ISBN 3-7887-1880-3.

Rezensent:

Markus Buntfuß

Zeichnet sich die gegenwärtige dogmatische Arbeit durch eine auffallende Zurückhaltung in Bezug auf das Herzstück der christlichen Glaubenslehre aus, so darf die in Heidelberg vorgelegte Dissertation des Vfs. zur Geist-Christologie verstärktes Interesse auf sich ziehen, zumal die gewählte Perspektive auch in der Sache weiterzuführen verspricht.

Der Vf. definiert sein Verständnis von Geist-Christologie als "diejenige Ausgestaltung der Christologie, welche von der Erfahrung des gegenwärtigen Christus im Geist ihren Ausgang nimmt und die Person Jesus [sic!] Christi in dieser Perspektive sieht" (1). Vor diesem Hintergrund eröffnet er seine Studie mit einer typologischen Analyse neuerer Entwürfe, die in inspiratorische (G. W. H. Lampe, P. W. Newman, H. Berkhof) und trinitarische (B. Bobrinskoy, D. Staniloe, H. U. v. Balthasar, P. Schoonenberg, J. Moltmann) Geist-Christologien unterschieden werden.

Dabei verfallen die in Abgrenzung zur dogmatischen Christologie entstandenen Inspirationschristologien der Kritik, weil sie sich in der Tradition der liberalen Theologie auf eine Modell-funktion Christi für die Gläubigen (Vorbild-Christologie) beschränken, die der Einzigartigkeit des Erlösers nicht ausreichend Rechnung trage. Dies führe zu einer defizitären Soteriologie, die keine echte Neuschöpfung aussagen könne: "Ist Jesus nur Beispiel des Geistwirkens, so bleibt die Erlösung Illusion" (51). Zudem drohe eine pneumatologische Verwechslung des Hl. Geistes mit dem menschlichen Geist. Demgegenüber seien die genannten trinitarischen Geist-Christologien zwar in der Lage, den Neueinsatz Gottes in Jesus Christus zum Ausdruck zu bringen, scheiterten aber zumeist an den Aporien der altkirchlichen Logos-Christologie, die das Menschsein Jesu nicht in der Weise darzustellen vermochte, wie es in den Evangelien geschieht.

Aus diesem Grund wendet sich der Vf. im 3. Kap. einer eingehenden Untersuchung der geist-christologischen Ansätze der neutestamentlichen Schriftsteller Paulus, Lukas und Johannes zu, um von daher ein kritisches Korrektiv für eine biblisch begründete Geist-Christologie zu gewinnen. Wende sich Paulus mit seiner Betonung der Kreuzestheologie gegen ein enthusiastisches Missverständnis, so betone Lukas gerade die Gegenwart des Erlösers im Hl. Geist. Johannes schließlich verbinde den lukanischen Ansatz der Gegenwart Gottes in Jesus mit der paulinischen Konzentration auf den auferweckten und erhöhten Christus. Er erreiche damit eine neue Selbständigkeit des Geistes sowie eine neue Einheit zwischen Vater und Sohn.

Das gemeinsame Gundmotiv dieser neutestamentlichen Geist-Christologien bestimmt der Vf. als die Vermittlung der Gemeinschaft mit Gott durch den im Hl. Geist auferweckten Jesus Christus. Der Ausgangspunkt für eine Geist-Christologie im Anschluss an das NT liege demnach in der Gegenwart des auferstandenen Christus. Damit werde der Versuch einer ontologischen Vermittlung zwischen Gott und Mensch durch eine zeitliche Orientierung ersetzt.

Dieser zeittheologischen Näherbestimmung geht der Vf. im 4. Kap. nach, um daran Grundlagen und Kriterien einer aktuellen Geist-Christologie zu entwickeln. Er orientiert sich dabei am trinitarischen Reden von Gott und handelt in drei Abschnitten von Jesus Christus in der Perspektive des Hl. Geistes, vom Hl. Geist in der Perspektive der Christologie und von Gott in einer trinitarischen Geist-Christologie. Sofern dabei von Zeitbestimmungen die Rede ist, wird die nicht eben überraschende eschatologische Ausrichtung der Geist-Christologie auf das Kommen des Reiches Gottes hervorgehoben. "In der zeitlichen Perspektive, die uns der Hl. Geist eröffnet, umgreift Gottes Wirken die Zeit. Er hat als Schöpfer den Anfang der Zeit gesetzt und setzt den Endpunkt und das Ziel aller Zeit. Er ist der Versöhner, indem er im Kommen Jesu Christi den trennenden Abgrund überbrückt, den die Menschen aufgerissen haben. Er ist der eschatologische Geist, welcher der ganzen Schöpfung die Möglichkeiten eines Lebens in Gemeinschaft mit Gott eröffnet." (286) Fazit: "Kein anderer Geist als der Geist Jesu Christi führt in das mit ihm ankommende Reich Gottes." (288)

Sätze wie diese und das sich darin ausdrückende Theologieverständnis fordern nun aber doch zu einigen kritischen Nachfragen heraus. Vermutlich geschieht es nur noch selten, dass sich ein jüngerer Theologe so vollständig in eine bestimmte dogmatische Denk- und Sprechweise hineinarbeitet, dass daraus ein Buch entsteht, das auf 300 Seiten überwiegend Sätze folgender Art aufweist: "Der Hl. Geist ist die Kraft des erhöhten Christus. Er legt den Sohn aus und vollendet sein stellvertretendes Werk. Er adoptiert die Christen in die Beziehung des Vaters zum Sohn, so dass die Glaubenden nicht nur Kinder Gottes, sondern Geschwister Jesu Christi werden. Die Beziehung der Christen zu Gott ist eine Beziehung durch den Sohn zum Vater, die in der Beziehung des Vaters zum Sohn gründet." (277).

Man muss kein vom Vf. wenig geschätzter Neuprotestant sein oder den Königsweg der theologischen Vernunft nur noch in der gelebten Religion sehen, um zu fragen, wie solche Sätze zu verstehen sind bzw. auf welche Phänomene und Probleme sie antworten. Leider lässt der Vf. keine nennenswerte Hermeneutik erkennen, mit deren Hilfe er die gegenständliche Redeweise von Gott, Sohn, Geist etc. auf einen gegenwartstauglichen Verstehenshorizont hin interpretiert.

So geht der Vf. beispielsweise nur en passant auf den bildhaften und metaphorischen Charakter religiöser und dogmatischer Sprache ein, ohne dessen Tragweite zu erkennen, obwohl er für sein Thema essentiell ist. Denn die metaphorische Wechselwirkung zwischen dem Christus- und dem Geistkonzept ließe sich mit Hilfe einer leistungsfähigen Metaphorologie durchaus produktiv aufschließen und für eine sprachtheoretisch reflektierte Christologie fruchtbar machen.

Auch die das Buch durchziehende These, die Gegenwart des auferstandenen Christus im Geist sei "weniger definitorisch als doxologisch zu verstehen" (V) und ziele eher auf liturgische Feier als auf dogmatische Lehrbildung, veranlasst die Rückfrage, ob hier die Liturgie noch in ihrer eigentümlichen Funktion und Leistung gesehen, oder nicht vielmehr dogmatisch überformt wird, um so auf anderem Wege zu erreichen, was die Lehre nicht mehr leisten kann.

Wenn jedenfalls Feindifferenzierungen der dogmatischen Lehrbildung referiert werden, als sei mit dem damit verbundenen Geltungsanspruch auch schon über dessen Plausibilität entschieden, bleiben modernitätstheologische Grundlagenfragen weitgehend ausgeblendet. Von einem nachhaltigen Formwandel des Christentums in der Neuzeit gibt sich diese Art von Theologie anscheinend unbeeindruckt. Darin besteht m. E. das hermeneutische Manko dieser dogmengeschichtlich äußerst fundierten und dogmatisch sachkundigen Studie.