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Ausgabe:

März/2003

Spalte:

329–332

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

1) Müller, Gerhard Ludwig, u. Massimo Serretti [Hrsg] 2) Merrigan, Terrence, and Jacques Haers [Eds.]

Titel/Untertitel:

1) Einzigkeit und Universalität Jesu Christi im Dialog mit den Religionen.

2) The Myriad Christ. Plurality and the Quest for Unity in Contemporary Christology.

Verlag:

1) Freiburg: Johannes Verlag Einsiedeln 2001. 294 S. 8 = Sammlung Horizonte, NF 35. Geb. ¬ 20,00. ISBN: 3-89411-368-5.

2) Leuven-Paris-Sterling, Virginia: Peeters 2000. XIII, 605 S. gr.8 = Bibliotheca Ephemeridum Lovaniensium, 152. Kart. ¬ 75,00. ISBN 90-429-0900-5.

Rezensent:

Reinhold Bernhardt

Thematisch sind die beiden in römisch-katholischer Herausgeberschaft zusammengestellten Aufsatzsammlungen eng miteinander verwandt. Ihre Beiträge befassen sich mit dem Verständnis Jesu Christi angesichts der Herausforderung, die vor allem durch die Ansätze der Pluralistischen Religionstheologie gestellt wurde. Doch schon in der Auffassung der Fragestellung gehen die Wege auseinander. Steht bei Müller/Serretti die für "Dominus Iesus" zentrale Bekräftigung der sowohl einzigen als auch universalen Heilsmittlerschaft Christi im Vordergrund (was schon in der Übereinstimmung zwischen dem Titel des von Müller/Serretti herausgegebenen Bandes und dem Untertitel von "Dominus Iesus" zum Ausdruck kommt), so bietet der von Merrigan und Haers herausgegebene Band eine thematisch breit angelegte Debatte über Einheit und Vielfalt gegenwärtiger Christologien. Gegenüber einer unmittelbar positionell-konfessorischen Entfaltung der Bedeutsamkeit Jesu Christi erhält hier die methodische Reflexion auf die durch kontextualisierungstheologische, religionstheologische und exegetisch-historische Diskurse aufgeworfenen Fragen nach den systematischen Konstitutionsbedingungen christologischer Konzepte ein stärkeres Gewicht.

Bei den von Müller und Serretti edierten Texten handelt es sich mit einer Ausnahme nicht um Erstveröffentlichungen, sondern um bereits publizierte Artikel, denen eine gegenüber den Pluralistischen Religionstheologien kritische, teilweise polemische Tendenz und die Treue zu lehramtlichen Äußerungen gemeinsam ist. In einigen Beiträgen (etwa bei Müller) wird dabei auf die Texte der angegriffenen religionstheologischen Entwürfe kaum oder gar nicht im Wortlaut und unter Hinweis auf die genaue Belegstelle Bezug genommen. Vielmehr rekonstruieren die Vff. deren Position - wiederum ganz im Stil der Dekretionsrhetorik von "Dominus Iesus" - in anonymer, der Überprüfbarkeit entzogener, damit aber auch ihres Anspruchs auf Wissenschaftlichkeit entledigter Allgemeinheit. Die von Müller ausgewiesenen "Aporien der postchristlichen Pluralistischen Religionstheologie" (32 ff.) lassen sich denn auch nur als tendenziöse Verzeichnungen der Intention von Hick, Knitter, Schmidt-Leukel u. a. beurteilen. Noch weiter in der Polemik geht Serretti, der wie Scola und Bordoni an der Päpstlichen Lateranuniversität lehrt. Nach seiner Analyse besteht "das Vorhaben von Hick und Knitter darin, eine urtümliche Theologie zu formulieren, die von der Metaphysik und der Offenbarung, von der Anthropologie und der Schöpfung absieht" (74).

Demgegenüber führt Serretti einen neoscholastischen Transzendentalienrealismus ins Feld. Scola und Bordoni entfalten ihre religionstheologischen Überlegungen weitgehend aus der Rezeption lehramtlicher Verlautbarungen. Scolas einleitender Artikel stellt eine Auslegung des nachsynodalen Apostolischen Schreibens "Ecclesia in Asia" dar, Bordoni stellt das von ihm sog. metaphysische Wirklichkeitsverständnis im Rahmen einer eher kontemplativen als argumentativen Theologie dar. Michael Schulz stützt sich in seiner Auseinandersetzung mit der Pluralistischen Religionstheologie auf einen einzigen Artikel von Perry Schmidt-Leukel. Dessen Plädoyer für eine offenbarungstheologische und soteriologische Wertschätzung der traditionsreichen nichtchristlichen Religionen hält er die Auffassung entgegen, in diesen Religionen drücke sich lediglich "die Suche des Menschen nach Gott aus sowie eine vorläufige Wahrnehmung und Anerkenntnis der göttlichen Macht" (147; ähnlich Müller, 43). Ein ekklesiozentrischer Inklusivismus ist hier mit einem christologischen Exklusivismus verbunden. Wie sehr auch bei ihm der Wissenschaftscharakter der Theologie zur Disposition gestellt wird, zeigt sich in seiner unmittelbaren Übertragung des unbedingten Verpflichtungsanspruchs, wie er dem Glauben eigen ist, auf die theologische Reflexion. Daraus ergibt sich für ihn die Unmöglichkeit, Verifikations- bzw. Falsifikationsbedingungen für Glaubensaussagen zu formulieren, denn das "überprüfende Subjekt wäre bereits im Nichts versunken, bevor es die Unwahrheit des Glaubens an das ewige Leben feststellen könnte" (148). Deutlich über Schulz hinaus geht Bruno Forte, wenn er die Religionen nicht nur als "Ausdruck der Selbsttranszendenz des Menschen im Hinblick auf das heilige Geheimnis [ansieht], sondern auch als Ort der göttlichen Selbstmitteilung" (276). In Aufnahme der Texte des Vaticanum II und der Enzyklika "Redemptoris Missio" hält er an einem offenen Inklusivismus fest.

Horst Bürkle verwahrt sich in seinem Beitrag gegen eine Unterbestimmung der Differenzen zwischen der in Christus geoffenbarten Wahrheit und den asiatischen Religionen - besonders dem Buddhismus, weil dadurch die Einzigartigkeit und Einmaligkeit des Christusereignisses im Sinne des asiatischen Religionsverständnisses relativiert werden würde. In ähnlicher Weise begegnet das Bekenntnis zur Einzigkeit der Christusoffenbarung und des kirchlichen Heilsweges auch in anderen Beiträgen als vorausgesetztes Postulat, aus dem dann Ableitungen vorgenommen werden (und nicht umgekehrt als Zielpunkt der Argumentation, der etwa durch religionsvergleichende Betrachtungen zu erreichen wäre). So argumentiert Walter Kasper, das für die Pluralistischen Religionstheologien charakteristische humanistische Wahrheitskriterium sei nicht ausreichend, weil man mit ihm nicht "die Einzigartigkeit einer bestimmten, konkret: der christlichen Religion" (163) erweisen könne. In hermeneutischer Zirkularität entfaltet auch Karl-Heinz Menke die Voraus-Setzung von der einmaligen Selbstoffenbarung Gottes in Christus - besonders in seinem Kreuzestod. Er wirft den Vertretern der Pluralistischen Religionstheologie eine mangelnde Unterscheidung zwischen Wort und Geist und damit eine Verkürzung der Trinitätslehre vor und stellt dem - besonders im Dialog mit von Balthasar und Verweyen - eine Entfaltung der Implikationen des Inkarnationsgeschehens, d. h. der Selbstvergegenwärtigung des Absoluten im Endlichen gegenüber.

Der von Merrigan und Haers herausgegebene Band geht auf eine internationale Tagung an der Theologischen Fakultät der Katholischen Universität Leuven im Jahre 1997 zurück. Die damit begründete Tagungsreihe wurde seither in einem zweijährigen Rhythmus zu zentralen Themen der Dogmatik fortgesetzt. Die 32 Beiträge des Bandes sind in vier nicht trennscharfen Sektionen angeordnet: Die in Teil I zusammengestellten Texte gehen der Ausgangsfrage nach einer theologischen Norm sowohl für die Christologie in pluralistisch verfassten Kulturen, als auch für die Vielfalt christologischer Ansätze nach. Im Anschluss an S. J. Duffys Plädoyer für eine weniger apriorische und mehr religionsvergleichend aposteriorische Theologie der Religionen skizziert R. Haight die Pluralismusbetroffenheit der Christologie in ihren unterschiedlichen Aspekten. S. Kealy und T. Merrigan wenden sich der religionstheologischen Relevanz der historischen Jesus-Forschung zu. J. Dupuis und B. Forte votieren für eine trinitätstheologisch konzipierte Christologie, auf die in der Tendenz auch der Vorschlag W. G. B. M. Valkenbergs hinausläuft, die Religionstheologie auf einer ausbalancierten Polarität von Christozentrik und pneumatologischem Universalismus zu gründen. In Teil II finden sich neutestamentliche (A. Denaux, R. Bieringer, B. Lataire) und patristische (F. Young, J. Leemans) Untersuchungen zu religionstheologisch sich nahelegenden Aspekten der Christologie. Die Beiträge des dritten Teils zeichnen Porträts der Person und der Bedeutsamkeit Jesu aus der Perspektive nichtwestlicher Kulturen und nichtchristlicher Religionen: M. Amaladoss aus Sicht des nach Einheit strebenden und Ausschließlichkeiten zu überwinden trachtenden indischen Denkens; K. Ward mit seinem Vorschlag eines aus christlichen und hinduistischen Quellen geschöpften "Christian Vedanta"; C. Cornille im Licht buddhistischer Titel (Jesus als Buddha, als Amida, als Bodhisattva); W. Logister und H. Suermann in Relation zur islamischen Betonung der Einheit und Einzigkeit Gottes; D. Stinton und A. Peelman in Rezeption christologischer Entwürfe aus Afrika und von den Nachkommen nordamerikanischer Ureinwohner. Unter dem Titel "The Myriad Christ in Theological Reflection" finden sich im vierten Teil Studien zu christologischen Ansätzen der westlichen Theologie in Vergangenheit und Gegenwart (H. J. M. Schoot zu Thomas von Aquin, P. De Mey zu Ernst Troeltsch, J. Pawlikowski und M. Baird zur Christologie nach dem Holocaust, B. Körner zu Hans Urs von Balthasar, J. Farmer und D. Marmion zu Karl Rahner) zusammen mit Aufarbeitungen befreiungstheologischer (G. De Schrijver), pluralistisch-religionstheologischer (Ch. Gillis und A. Pragasam) Konzepte, einer an die Arbeiten Girards angelehnten Kritik an der Opferdeutung des Todes Jesu (N. Schreurs), einer Reflexion auf die christologischen Implikationen der "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" (M. E. Brinkman) und einem Versuch, das Christusbekenntnis auf der Grundlage postmoderner Philosophien als "open narrative" zu rekontextualisieren (L. Boeve).

Manche der genannten Aufsätze sind den Pluralistischen Religionstheologien gegenüber nicht weniger kritisch als die von Müller und Serretti zusammengestellten. Doch unterscheiden sie sich von der Mehrzahl der dort zur Sprache kommenden Autoren dadurch, dass sie die Auseinandersetzung in der Regel aus einer profunden Kenntnis der Quellentexte und in der kreativen Aufnahme der Herausforderungen führen, die den Anstoß zur Entwicklung der Pluralistischen Religionstheologien gegeben haben. Theologisch-systematisch besteht die zentrale Herausforderung darin, die (biblisch begründete) Überzeugung von der universalen, seine geschichtlichen Repräsentationen transzendierenden, heilschaffenden Präsenz Gottes religionstheologisch zur Geltung zu bringen. Religionsphänomenologisch liegt sie zum einen in der bei interreligiösen Begegnungen sich aufdrängenden Einsicht in die Anerkennungswürdigkeit der spirituellen, ethischen und philosophischen Hervorbringungen der nichtchristlichen Religionen, andererseits im Eingeständnis der Verwerfungen in der Christentumsgeschichte. Eine Theologie der Religionen, die solche Realitätswahrnehmungen nicht aufnimmt, die sich nicht mit den Lehr- und Praxisformen der Religionen auseinander- und diese in Beziehung zu christlichen Überzeugungen und Gestaltungen setzt, sondern sich apriorisch aus der theologischen Tradition im Allgemeinen und den lehramtlichen Erklärungen im Besonderen ableitet und dabei auf die restriktive Wahrung einer an den dort vorgenommenen Sprachregelungen orientierten theological correctness bedacht ist, wird um ihre Deutekraft besorgt sein müssen.