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Ausgabe:

März/2003

Spalte:

319–321

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Müller, Klaus

Titel/Untertitel:

Gottes Dasein denken. Eine philosophische Gotteslehre für heute.

Verlag:

Regensburg: Pustet 2001. 181 S. 8. Kart. ¬ 19,90. ISBN 3-7917-1741-3.

Rezensent:

Heimo Hofmeister

Der Autor will, im Anschluss an Dieter Henrichs Thesen zu "einer philosophischen Begründung für die Rede von Gott in der Moderne", als Philosoph von Gott sprechen. Hierbei steckt er die Grenzen eines philosophischen Gottesgedankens ab und hält fest, dass die Philosophie niemals über die Realität des Gedachten zu befinden habe (19). Ausdrücklich distanziert sich Müller von den Überlegungen Robert Spaemanns zum Seinsverhältnis von Unvollkommenem und Vollkommenem, und wirft ihm vor, die philosophischen Möglichkeiten der Gottesfrage zu überziehen: Wer meint, dass ein "Jemand" und nicht ein "Etwas" der Grund der Welt sei, setzt voraus, dass das Vollkommene dem Unvollkommenen seinsmäßig überlegen ist. Für M. selbst hat Feuerbach eine Grenze jedes Redens von Gott gesetzt und es ist das Interesse des Autors zu zeigen, wie sich nach Feuerbach "noch mehr als genug ... über Gott philosophisch sagen läßt" (19). Sein Versuch, Gottes Dasein philosophisch zu denken, erschöpft sich allerdings in den Gottesbeweisen, und sie bilden das Zentrum seiner Überlegungen, wenn er versucht, unter Inanspruchnahme eines zeitgenössischen philosophischen Instrumentariums, diese alten Beweise neu zu formulieren.

Bevor es aber zu dieser Reformulierung kommt, werden - nicht zuletzt um das eigene Vorgehen zu legitimieren - die biblischen Spuren der natürlichen Theologie aufgedeckt und es wird im Alten Testament, vor allem beim Weisheitsbuch, eingesetzt. Der Verweis auf eine zweite biblische Schlüsselstelle, nämlich eine im Neuen Testament, ist äußerst kurz geraten. Sie ist inklusive der Stellenangabe bei Paulus nur zehn Zeilen lang. Neben diesem Rückbezug auf die Heilige Schrift zitiert M. noch das kirchliche Lehramt und findet seine Einschätzung - besser gesagt seine Behandlung - der philosophischen Gottesfrage durch dieses vollauf bestätigt. Seine These ist es, "daß das kirchliche Lehramt von Anfang an [auf die Philosophie] und dann in einer vorher nie dagewesenen Intensität auf die ... nachhegelsche philosophische Diskussionslage reagiert, die es nachgerade zu einem Anwalt der Vernunft gegen deren Verächter" gemacht hat (26). Die Mitte des ganzen Buches bildet das vierte Kapitel, nicht allein quantitativ, sondern auch inhaltlich: "Geschichtliche und zeitgenössische Längsschnitte zur philosophischen Gottesfrage". Den wesentlichen Inhalt der Gottesfrage macht für M. aus, dass die "Gottesbeweise" "eine durch ihren spezifischen Sachbereich strukturierte Argumentationsform" und "wie alle anderen Beweise auch ihre Voraussetzungen" haben (45). In seinen Erörterungen geht es also nicht um die Aufdeckung von etwas völlig Neuem oder die Widerlegung jemandes, der die Gottesbeweise bestreitet, vielmehr sieht M. in den Gottesbeweisen die schlussfolgernde Form, "Gründe für das Recht und die Vernunftgemäßheit der Annahme einer Existenz Gottes" zu benennen (46). Die Gottesbeweise machen nur eine bereits gegebene Gottesgewissheit ausdrücklich und durch die Angabe von Erkenntnisgründen plausibel. Die klassischen Gottesbeweise inklusive der fünf Wege des Thomas von Aquin werden dargestellt, wobei dem ontologischen Argument eine besondere Bedeutung zugemessen wird. Hier stehen die ursprüngliche Anselmsche Version und die Descartes' im Mittelpunkt der Ausführungen und werden mit der Kantischen Kritik und dessen eigener Weise des Redens von Gott konfrontiert. Über die Diskussion des moralischen Arguments bei Kant kommt M. zu der Frage des hermeneutischen Zirkels in Kants Gottesgedanken. M. verteidigt Kant gegen den Vorwurf Weischedels und betont ausdrücklich, dass es sich bei Kants Argumentation um keinen circulus vitiosus handelt, "weil Kant nicht moralisches Fragen oder Denken voraussetzt, um die Existenz von Moral zu beweisen" (101). In Kants Überlegungen sieht er die Funktion einer philosophischen Vergewisserung über die Vernunftgemäßheit des Gottesglaubens, bemerkt aber, dass in Weischedels Kritik ein wahres Moment steckt. In Kants Neubegründung der philosophischen Gotteslehre "in Gestalt einer Moraltheologie steht ja eine brisante Verknüpfung: Das Dasein Gottes wird notwendige Annahme, aufgrund dessen, dass der Mensch moralisches Subjekt ist" (101). M.s Vorwurf lautet nun, dass diese "Verfügung von Notwendigkeit und Subjektivität" gesetzt wird, ohne dass diese Beziehung weiter aufgeklärt wird (101). Eine Vertiefung des Gottesgedankens sieht M. hingegen in der Prozessphilosophie und der Prozesstheologie, wobei er den Schwerpunkt seiner Analysen auf die Metaphysik von Whitehead legt. Doch die Kritik auch an Whitehead bleibt nicht aus (118).

In dem Kapitel "Gott, Atome, Gene und Computer" wird der Umgang mit dem Gottesbegriff in den Naturwissenschaften behandelt. Es verwundert nicht, dass die philosophierenden oder theologisierenden Naturwissenschaftler nicht gut wegkommen (127). Das siebente und vorletzte Kapitel, "Inversionsgestalten philosophischen Gottdenkens", stellt Auseinandersetzungen mit Reformulierungen der Gottesbeweise bei Charles Hartshorne und anderen dar. Die Darlegung der unterschiedlichen Versuche eines Gottesbeweises fasst M. wie folgt zusammen: "In ausnahmslos allen Gottesbeweis-Projekten geht es der Sache nach um den Nachweis der Rationalität des Glaubens an einen Gott. Ausnahmslos alle Gottesbeweise, die bekannt sind, lassen sich, sofern sie als zwingende Argumente verstanden werden, auf irgendeine Weise widerlegen, oder - im Fall von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen - auf starke Weise strittig machen. Daraus lassen sich nur zwei alternative Konsequenzen ziehen: (a) Entweder wird der Rationalitätsanspruch für den Glauben an einen Gott aufgegeben oder (b) der Begriff der Rationalität wird von demjenigen der Beweisbarkeit abgekoppelt" (152). Wenn die klassischen Gottesbeweise nicht gangbar sind, sieht M. nur den Ausweg, "von dem menschlich so elementaren wie rätselhaften Phänomen des Selbstbewußtseins" auszugehen (161). Über diesen selbstbewusstseinstheoretischen Zugriff auf das Phänomen der Religion erweist sich für M. Religiöses "als solches von prinzipieller und originärer Vernünftigkeit" (166). Zur eigentlichen Aufgabe des Denkens wird es nun, "das um Selbsterhaltung besorgte Selbstbewußtsein so zu denken, daß es nicht aus sich ist, was es ist, und doch den ihm unverfüglichen Grund als ihm ureigenes Wesensmoment zu begreifen" imstande ist (170). Es ist der Versuch, das Gottesverständnis aus dem menschlichen Selbstbewusstsein heraus zu verstehen. M. hebt hervor, dass dem Subjekt eine sprachanalytisch ausweisbare Autonomie eignet, die gegenüber dem Absoluten durch nichts auflösbar ist (176). Der Gottesgedanke wird so zur Bedingung der Möglichkeit des menschlichen Grundvollzuges von Selbstbewusstsein: "So gewiß ich weiß, daß ich mich meine, wenn ich ich sage, so gewiß weiß ich auch, daß ich das Aufkommen dieses Wissens nicht in meiner Hand habe" (177).

Die Analysen M.s sind klar dargelegt und die Strukturen der einzelnen Gottesbeweise auch für den mit diesen Beweisformen wenig vertrauten Leser nachvollziehbar. Eine andere Frage ist es, ob man bereit ist, den grundsätzlichen Ansatz mit dem Autor zu teilen. In der mangelnden Begründung dieses Ansatzes liegt die Schwäche dieser Arbeit. Dies gilt nicht nur der Position Spaemanns gegenüber. Hier fehlen einige erklärende Sätze. Gravierender scheint mir das Fehlen einer Auseinandersetzung mit der ontologischen Beweisführung Hegels. Hegel hat im Zuge äußerst diffiziler Überlegungen zum Verhältnis zwischen Subjektivität und Objektivität die Logik als den ausgeführten ontologischen Gottesbeweis bezeichnet, diesen Beweis also als in jedem Gedankenschritt implizit verstanden. Man muss diesen Beweisgang nicht für gelungen halten, aber ihn in einem Buch über Gottesbeweise nicht zu nennen und nicht zu sagen, warum er nicht erwähnenswert sein soll, ist eine Frage des qualitativen Stellenwertes einer solchen Untersuchung. Oder steht M., wie man meinen könnte, nicht Kant, sondern den Positivisten nahe?