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Ausgabe:

März/2003

Spalte:

315–317

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Brokoff, Jürgen

Titel/Untertitel:

Die Apokalypse in der Weimarer Republik.

Verlag:

München: Fink 2001. 188 S. Kart. ¬ 30,60. ISBN 3-7705-3603-7.

Rezensent:

Bernhard Wunder

Die Rhetorik des Neuen in Zeiten der Verunsicherung: Wer wissen will, was sich in der Rhetorik des Neuen alles einnisten kann, und wodurch sie gesellschaftlich wirksam wird, bekommt in dieser vorgelegten Arbeit eine Ahnung auch für die Rede vom Neuen in der Gegenwart.

Jürgen Brokoff legt mit seiner Arbeit über ein apokalyptisches Redeschema eine präzise Diskursanalyse ausgewählter Texte Carl Schmitts, Walter Benjamins, Ernst Jüngers und Adolf Hitlers vor. Vor dem Hintergrund der neutestamentlichen Apokalypse, der Offenbarung des Johannes, deckt der Vf. strukturelle Analogien zwischen der neutestamentlichen Rhetorik einer apokalyptischen Vernichtung der Welt zu Gunsten der Herrschaft Gottes und der Vernichtung der Unterscheidung von Transzendenz und Immanenz in der apokalyptischen Rhetorik Weimars auf. Alles in dieser Analyse entscheidet sich an der Interpretation des religiösen Schemas Transzendenz-Immanenz. Die göttliche Gewalt in der Johannesoffenbarung bildet geradezu die Matrix für Formen diesseitiger oder besser politischer Gewalt in der apokalyptischen Rhetorik Weimars. Die theologische Idee einer Apokalypse wird nicht und bleibt nicht von selbst politisch wirksam, sondern gewinnt durch ihre zugewiesenen Stellungen in herrschenden Diskursen Einfluss. Dies legt auch eine Spur für die gesellschaftlich immer weniger bedeutsame theologische Wissenschaft in der Gegenwart, die ihre methodischen Parameter nach wie vor ideen- und motivgeschichtlich entwirft und sich im Übrigen damit fortgesetzt einer längst problematisierten Fortschrittskritik aussetzt.

An entscheidender Stelle in Carl Schmitts Theorie des Politischen, so B. in seinem Band, wird die (ideengeschichtliche) Unterscheidung von Transzendenz und Immanenz in der Figur des Souveräns dadurch vernichtet, dass dieser politische Souverän über den "Ausnahmezustand" entscheidet. Erst damit konstituiert er seinen eigenen transzendenten Status gegenüber der Immanenz. Der Souverän Schmitts tritt an die Stelle Gottes, indem er sich im Augenblick der Entscheidung über den Ausnahmezustand dem Diskurs (der Immanenz) entzieht - genau so wie die Gottesfrage sich an entscheidender Stelle dem Diskurs entzieht - und damit als Souverän installiert erscheint, indem er also die Immanenz in der Entscheidung über den Ausnahmezustand vernichtet. Dieser "Vollzug der Vernichtung" stellt daher eine rhetorische "Analogie zwischen Schmitts Theorie des Politischen und der Johannesoffenbarung" (46) dar.

Auch Walter Benjamins Kritik der Gewalt scheint zunächst der Theorie des Politischen von Carl Schmitt nahe zu stehen, insofern auch bei ihm der Anspruch auf Macht(ausübung) "ebenso in der Setzung jeden Rechts gegeben" sei. (59) Rechtssetzung und Rechtserhaltung sind nach Benjamin mit einer ihnen innewohnenden Macht und Gewalt unlöslich verbunden. Im Unterschied zu Schmitt führe dies jedoch nicht zur Entscheidung durch den Souverän und damit zur Installation seines transzendenten Status, sondern nach Benjamin zur radikalen Unentscheidbarkeit aller Rechtsprobleme. Darin erst trete die Frage nach einer Emanzipation der Gewalt jenseits allen Rechts, jenseits ihrer Funktionalisierung auf. Eine solche Gewalt manifestiere sich nach Benjamin einzig durch einen göttlichen Eintritt in die Geschichte, manifestiert in der Form der rechtsvernichtenden Gewalt eines revolutionären Generalstreiks (65). "Von entscheidender Bedeutung ist dabei, daß die Vorstellung der Rechtsvernichtung von der Sphäre des Göttlichen auf die Sphäre der (weltlichen) Revolution übertragen wird." (66)

B. spitzt beide Analysen zu: "Die Entscheidungsgewalt des politischen Souveräns und die revolutionäre Gewalt des proletarischen Generalstreiks beanspruchen für sich dieselbe vollkommene Macht wie das Weltgericht Gottes: die alte Welt zu vernichten und eine neue Welt zu erschaffen" (75). Hier liegt der Kern der Programmierung der apokalyptischen Rhetorik in Weimar, und zwar mit weitreichenden Folgen.

Eine Konsequenz daraus scheint nämlich in der "vollständige[n] Tilgung der Rede von Gott" zu liegen (79). Genau an dieser Stelle setzt offenbar die Konstruktion der "Gestalt des Arbeiters" von Ernst Jünger an. Denn diese "Gestalt" erhält durch ihre metahistorische und insofern der Immanenz entzogenen Bestimmung ihren transzendenten Status. Diese Gestalt tritt nach Jünger an die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft, deren Untergang mit dem Heraufziehen dieser neuen Gestalt des Arbeiters korreliert. Die "Unterscheidung zwischen der Transzendenz der Gestalt des Arbeiters und der Immanenz der bürgerlichen Gesellschaft" führe die "apokalyptische Entscheidungssituation selbst herbei" (93). Damit tritt die Frage nach dem apokalyptischen Vernichtungskampf in den Vordergrund, wozu Jünger eine Kämpfer-Figur einführt, die sich gravierend von der Gestalt des Arbeiters unterscheidet. Vor allem nämlich die Überschreitung nach innen, also nicht die "Transzendenz", sondern die "Introzendenz" (115) kennzeichnen diesen Kämpfer, der alles Außenstehende, Extramanente, bereits in seinem Inneren vernichtet und damit signifikant den Schritt ins Nicht-Sprachliche vollzieht: die Ersetzung der "Tinte" durch das "Blut" (127).

Fast zwangsläufig drängt sich damit die Analyse des weltanschaulichen Diskurses Hitlers auf, nicht um eine "inhaltliche Originalität der Ideen Hitlers" (133), sondern um auch hier die apokalyptischen Strukturen dieses Diskurses aufzudecken. Zu den folgenreichsten Strukturierungsmomenten dieses Diskurses zählt B. die "Unterscheidung zwischen der Introzendenz des deutschen Ariers und der Extramanenz des Juden" (141). Diese Opposition strukturiert nämlich im Diskurs Hitlers nicht nur das Schicksal der Deutschen, sondern der gesamten Menschheit, so dass die Vorstellung eines apokalyptischen Endkampfes unausweichlich scheint (143). Der Kampf, d. h. die physische Vernichtung der im "Juden" verkörperten Extramanenz, ist zunächst ein innerer, ein geistiger, der an den inneren Kampf des Arbeiters von Ernst Jünger erinnert. Die physische Vernichtung der "Juden" erscheint somit als die apokalyptische Errichtung der neuen Welt (157), die statt der Herrschaft Gottes (nach der Apokalypse des Johannes) die Herrschaft der Deutschen anstrebt. - Trotz dieser klaren und frappierenden Analysen sieht B. im Unterschied zu Jacques Derrida dennoch keinen allzu weitläufigen Kontext des apokalyptischen Schemas. Zugleich ist sich B. einleitend bewusst, dass der Begriff der "Apokalypse" latent im alltäglichen Sprachgebrauch auch heute seine Konjekturen sucht.

Auch wenn sich das Buch ausdrücklich an Literaturwissenschaftler, Historiker und Philosophen wendet, hat diese Arbeit keine geringen Auswirkungen für die Theologie. Immerhin ist alles in dieser Arbeit von der Auslegung des Referenztextes (Apokalypse des Johannes) und seines zentralen Schemas Transzendenz-Immanenz abhängig. Erst daran knüpfen sich die Transformationen ins Politische. Von entscheidender Bedeutung ist dabei allerdings, dass die Rede von Transzendenz hier nicht auf ein defizientes Sprachvermögen und Transzendenz damit auf ein naives Außerhalb der Sprache festgelegt wird. Der Text sekundiert nicht im Setzen von Transzendenz, sondern Transzendenz wird als eine bestimmte rhetorische Entität des Textes hervorgebracht - und genau damit wird die Rede von Transzendenz politisch prekär. Damit ist keinesfalls das aus der Theologie nach wie vor so bedeutsame Axiom der immer zuvorkommenden Initiative Gottes in Frage gestellt, wohl aber wird die Perspektive auf das, was als Transzendenz thematisiert wird, grundlegend verändert.

Dass der apokalyptische Diskurs auch in Weimar durch eine mehr als vereinfachte dualistische Schematik generiert scheint, wird nicht allein seitens der Theologie auf nachhaltige Kritik stoßen müssen, weil gerade dieses vereinfachte und theologisch falsche Schema so eminent politisch wirksam (geworden) ist. Wenn es manchem heute auch kaum sinnvoll erscheint, politische Sachverhalte auch nur in lose Verbindung mit dem religiösen Diskurs zu stellen, so regt diese Studie über ihre selbstgesetzten Grenzen hinaus dazu an, wachsam auf die ganz alltägliche Rhetorik und den geforderten hohen Preis ihrer Rede vom Neuanfang zu achten: zuletzt nämlich die Vernichtung der Unterscheidung(sfähigkeit).