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Ausgabe:

März/2003

Spalte:

296–298

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Zimmermann, Ruben

Titel/Untertitel:

Geschlechtermetaphorik und Gottesverhältnis. Traditionsgeschichte und Theologie eines Bildfelds in Urchristentum und antiker Umwelt.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2001. XXV, 791 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe, 122. Kart. ¬ 89,00. ISBN 3-16-147374-4.

Rezensent:

Christof Landmesser

Eine plausible Deutung der Welt bedarf der Bilder. Dies gilt offensichtlich gerade im Bereich der religiösen Weltdeutung. Und die so für ein intendiertes Weltverständnis eingesetzten Bilder verdanken sich ihrerseits menschlichen Grunderfahrungen. So entstehen Wechselwirkungen zwischen gedeuteter Welt und menschlichen Lebensvollzügen, die Ruben Zimmermann mit seiner bei Klaus Berger geschriebenen Dissertation exemplarisch am Beispiel des Verhältnisses von Geschlechtermetaphorik und Gottesverhältnis für den Bereich der jüdisch-christlichen Tradition und ihres religionsgeschichtlichen Umfeldes minutiös nachzeichnet. Er weist in überzeugender Weise auf, wie Geschlechtermetaphorik durch die Zeiten hindurch und in verschiedenen religiösen Milieus eingesetzt wird, um das Verhältnis des Menschen zu Gott beschreiben und verstehen zu können. Und dieses so beschriebene Gottesverhältnis wirkt dann auch wieder zurück auf die konkret gelebte Sexualität des religiösen Menschen, das Verhältnis von Mann und Frau und den gesamten und weiten Bereich der menschlichen Erotik. Z. schreibt geradezu gegen die "verhängnisvolle Trennungsgeschichte zwischen Sexualität und Religiosität" an (3). Dies gelingt ihm auch deshalb, weil er seine Darstellung in Teil I. (Einleitung/Grundlagen) hermeneutisch reflektiert ( 2: Methodische und konzeptionelle Überlegungen: Bildersprache zwischen Metapher und Mythos) und weil er seine Ergebnisse in Teil IV. (Ergebnisse und Auswertung) zuletzt systematisiert ( 13: Die Interferenz von Mann-Frau-Beziehung und Gottesverhältnis in bildlicher Rede).

Z. orientiert sich an einer strukturalistischen Mythos-Theorie (39). Er unterscheidet dabei grundlegend die Metapher, die "vorrangig als immanentes Phänomen eines Einzeltextes betrachtet werden soll", vom Mythos, in dem "eine Denkstruktur zu sehen [sei], die sich über den konkreten Einzeltext erhebt, ja die erst in der Zusammenschau mehrerer Texte und Kontexte überhaupt erkennbar wird" (ebd.). Für Z. legt sich ein mehrdimensionales Analyseverfahren nahe, das in der Erörterung eines Gesamtzusammenhangs einer Schrift, der Bildanalyse im engeren Sinn und zuletzt in der Erörterung der theologischen Implikationen bzw. des religiösen Ertrages des sich im Ganzen ergebenden Verhältnisses von Geschlechtermetaphorik und Gottesverhältnis besteht (50). Auch wenn Z. im Vollzug seiner Untersuchungen immer wieder betont, den konkreten Kontext der angewandten Bildsprache berücksichtigen zu wollen, so ist doch unverkennbar sein Interesse insbesondere darauf ausgerichtet, für die von ihm zu untersuchende Metaphorik zusammenhängende Traditionslinien aufzuzeigen, die er dann geradezu in Stammbäumen schematisiert (etwa 666, Tabelle 17: Grundlegende Traditionsbereiche der Geschlechtermetaphorik). Daraus ergibt sich freilich die Gefahr der Präponderanz des isolierten Bildes und einer diesem Bild zugesprochenen Theologizität vor den theologischen Implikationen und Intentionen der von Z. in den Blick genommenen Texte.

Nach einigen einführenden religionsgeschichtlichen Hinweisen zur Heiligen Hochzeit und zur Androgynie ( 3) erörtert Z. die jüdisch-christliche Tradition in drei großen Kapiteln. Teil II.: Das Bildfeld in alttestamentlichen und (früh-)jüdischen Texten ( 4.5); Teil III.: Das Bildfeld in neutestamentlichen Texten ( 6-8); Teil IV.: Das Bildfeld in altkirchlichen und gnostischen Texten ( 9-11).

Für das Alte Testament ( 4) erweist sich die von Hosea ausgehende prophetische Tradition als prägend. Hier wird das Gottesverhältnis "erstmals im Bild einer Liebesbeziehung beschrieben" (111), wobei die konkrete Ehemetaphorik durch die negativen Elemente Untreue, Ehebruch und Hurerei bestimmt ist. Auffallend ist, dass sich Hosea - gegen Regelungen der Tora - der untreuen Braut und ehebrecherischen Frau wieder zuwendet, wodurch die Metapher "den Erwartungshorizont des bildspendenden Bereichs [durchbricht]" (112). Die Ehemetaphorik wird von Jeremia und Ezechiel aufgenommen und im Rahmen ihrer Geschichts- und Gerichtsvorstellungen weiterentwickelt. Bei Jesaja wird die Stadt-Frau-Metaphorik besonders ausgebildet, wobei Dtjes und Trjes diese ihrer Heilsverkündigung zuordnen. Das Frühjudentum ( 5) redet in der Weisheitstheologie von der Frau Weisheit als einer eigenständigen Mittlerin zwischen Gott und Mensch. Die frühjüdische Tradition verfolgt Z. ausgehend von den Proverbien über Sirach, Sapientia Salomonis, Philo, Joseph und Aseneth bis zu Targum und Midrasch des Hohenliedes. Der so weit gespannte Bogen erlaubt Z. das Urteil, dass es für das rabbinische Judentum keinen "Hiatus zwischen Eros und Agape" gäbe, dass vielmehr dessen "Ehe- und sogar explizit Sexfreundlichkeit" unbestreitbar gälte (207). Die positiv aufgenommene Metaphorik kann dann etwa in der Brautmetapher "die Innigkeit des Verhältnisses von JHWH und Israel zum Ausdruck bringen" (214). Bei Philo führt die Aufnahme der Braut- und Ehemetaphorik erstmals zur Forderung sexualasketischer Konsequenzen (185).

Aus dem Neuen Testament diskutiert Z. in 6 zunächst die "Wurzelmetaphern der urchristlichen Bildverwendung" (225) Jesus als Bräutigam bzw. als Messiasbräutigam (Mk 2,18-22) und die Gemeinde als Braut (2Kor 11,1-4), wobei auch hier Christus der Bräutigam ist. In diesem Zusammenhang beschreibt Z. im Anschluss an die einschlägige Sekundärliteratur in einem Exkurs mit vielen schönen Details angereichert das jüdische Hochzeitsritual (230-248) sowie das Hochzeitsritual bei Griechen und Römern (248-258). Hier wäre sicher der angemessene Ort gewesen, die im Urchristentum gegenüber dem Frühjudentum und der religiösen Umwelt veränderte Sicht von Ehe und Ehescheidung genauer in den Blick zu nehmen (Mk 10,2-12 par.; Mt 5,31 f.; Lk 16,18; 1Kor 7), da es nahe liegend ist, dass diese veränderte Sichtweise auch die im Neuen Testament erkennbare Geschlechtermetaphorik prägt.

Im Anschluss an Eph 5,21-33 beschreibt Z. das Verhältnis von Mann-Frau-Relation und Christusliebe ( 7). Er zeigt hier, wie eine ganze Fülle paganer und alttestamentlich-jüdischer Traditionslinien zusammengeführt werden. Innerhalb des Neuen Testaments komme aber die größte Bedeutung der Bildverwendung in der Apk zu, "da sie die meisten Traditionen zusammenführt und ... die Geschlechterdimension sogar zum Strukturmuster der ganzen Schrift erhebt" (387). Dieses quantitative und kompositorische Argument ist für den primär traditionsgeschichtlich orientierten Ansatz zur Interpretation religiöser Texte, wie sie in dieser Arbeit exemplarisch und konsequent vorgeführt wird, bezeichnend. Mit Z. wäre zu diskutieren, ob die - zumindest theologische - Bedeutung einer auch ausgeprägten Metaphorik sich nicht doch eher der theologischen Leistungsfähigkeit verdankt, wofür selbstverständlich Kriterien zu entwickeln und ausdrücklich zu machen wären. Deutlich wird jedoch, wie eng die Lebenswelt der Adressaten der Apk mit der diese Schrift durchdringenden Bilderwelt, die insbesondere durch die Braut- und Hurenmetaphorik bestimmt ist, sowohl hinsichtlich der Gegenwart wie auch in eschatologischer Perspektive verbunden ist.

Die ausführlichen Analysen zu altkirchlichen und gnostischen Texten ( 10.11) zeigen, wie etwa im Hirt des Hermas im Rahmen der Darstellung der Kirche als Jungfrau "die aus einem Verjüngungsprozeß entstandene Braut ... zum Typos für den bußfertigen einzelnen Christen [wird]" (506). In den apokryphen Apostelakten werden sexualasketische Tendenzen radikalisiert. In der Gnosis wird der Umwandlungsprozess von verschiedenen Traditionen besonders deutlich. Hier ist vor dem Hintergrund der Denkfiguren der Androgynie und Syzygie in Verbindung mit der Aufnahme frühjüdischer Weisheitstheologie eine Individualisierung der Geschlechtermetaphorik zu erkennen, die ihrerseits in eine eschatologische Perspektive gerückt wird. "Konnte die Geschlechtermetaphorik der Propheten bzw. des Neuen Testaments als sprachlicher Ausdruck für die Weltnähe Gottes verwendet werden, ... so kann man in der Gnosis gerade den gegenläufigen Prozeß feststellen" (616). Dieser Entweltlichung entspricht eine "Verflüchtigung im Bereich der Christologie" (ebd.).

Wer das voluminöse, inhaltsreiche und phasenweise auch spannend zu lesende Buch von Z. zur Kenntnis genommen hat, muss nicht alles nachvollziehen, sich merken oder gar überprüfen wollen. Eines sollten Leserin und Leser aber verstanden haben: Religion verändert das Leben, und das Leben prägt die Religion. Kaum ein Bereich eignet sich so gut, die Wechselwirkung von Gottesverständnis und konkretem Leben aufzuzeigen, wie das Wechselverhältnis von Geschlechtermetaphorik und Gottesverhältnis. Die Frage nach der theologischen Relevanz der die Geschlechtermetaphorik einsetzenden Texte ist damit aber erst eröffnet.