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Ausgabe:

September/1998

Spalte:

850–852

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Koole, Jan Leunis

Titel/Untertitel:

Isaiah. Part 3, Volume 1: Isaiah 40-48. Engl. Transl. by A. P. Runia.

Verlag:

Kampen:Kok Pharos 1997. XXV, 611 S. gr.8 = Historical Commentary on the Old Testament. Kart. ISBN 90-390-0173-1.

Rezensent:

Hans-Jürgen Hermisson

Der Kommentar des bekannten niederländischen Alttestamentlers ist original bereits 1985 erschienen; die jetzt vorliegende englische Übersetzung wird ihm, wie zu hoffen ist, auch in Deutschland die Aufmerksamkeit verschaffen, die er verdient. Für die Übersetzung ist der Text durchgesehen und bibliographisch ergänzt worden, außerdem ist die im Tritojesajakommentar K.s erschienene Einleitung zu Jes 40-66 jetzt dem ersten Band beigegeben.

Die ungewöhnliche Bezeichnung eines Deuterojesajakommentars als "Isaiah III" beruht auf der Aufgabenverteilung im neu erscheinenden "Historical Commentary on the OT", in dem Protojesaja von H. Leene (Jes 1-12) und W. A. M. Beuken (Jes 13-39) kommentiert werden soll.

Die Einleitung zeigt K.s Gesamtsicht des Jesajabuchs. Für ihn steht die gewachsene Einheit des Buchs an erster Stelle; die Zeitgeschichte "Jesajas" reicht demgemäß vom 8. Jh. bis in frühnachexilische Zeit. Bedeutsam für diesen Teil der Auslegung ist das Verhältnis Deuterojesajas zu Jesaja; für K. ist Deuterojesaja eine prophetische Einzelgestalt in einem Kreis, der das geistige Erbe Jesajas bewahrt. Ähnlich sieht er das wohl für Tritojesaja, dessen Kernbestand er in frühexilischer Zeit vor Deuterojesaja ansetzt; das bekannte Abhängigkeitsverhältnis würde sich danach umkehren.

Im Kommentar folgt auf die Übersetzung zuerst eine allgemeinverständliche Zusammenfassung der Auslegung mit Hinweis auf gesamtbiblische Aspekte, danach die zweiteilige wissenschaftliche Exegese. Deren erster Teil gilt Fragen der Abgrenzung, der Literarkritik, der Struktur und Gattung des Textes; der zweite Teil bringt eine detaillierte Auslegung der kleinen Sinneinheiten, in der auch die textkritischen und grammatischen Fragen besprochen werden.

Die Übersetzung des niederländischen Kommentars ins Englische ist, soweit ein Deutscher das anhand größerer Stichproben beurteilen kann, korrekt; nur manchmal schien das Original deutlicher. Sogar ein hebräischer Umbruchfehler des Originals wird genau übernommen.

Die Substanz eines Kommentars liegt bei zahllosen Einzelentscheidungen, die hier nicht vorgestellt werden können. Sie sind bei K. sorgfältig und sachverständig begründet; die exegetische Tradition von zwei Jahrtausenden kommt angemessen zu Wort, daneben finden sich viele neue Einsichten, und wo man anderer Meinung ist, muß man sich doch immer damit auseinandersetzen. Drei Gesamtergebnisse mögen einen ersten Eindruck geben. Im Unterschied zu einer besonders im angelsächsischen Raum vertretenen Auffassung ist die endliche Beteiligung der Völker am Heil nicht fraglich; Jes 45 oder die beiden ersten Gottesknechtslieder erlauben ja auch schwerlich eine andere Exegese. Die Auslegung des ersten Gottesknechtslieds (bei K.: 42,1-9) zeigt bereits, daß dieser Gottesknecht vom Gottesknecht Israel zu unterscheiden ist, obwohl die "Lieder" im Kontext fest verankert sind. Für K. ist er eine Gestalt der Zukunft: das "Neue", das der Prophet in 42,9 ankündigt. Das vieldiskutierte Begriffspaar des "Früheren" und des "Künftigen/ Neuen" ist nicht auf bestimmte Ereignisse festzulegen, sondern bezeichnet den vergangenen bzw. künftigen Raum, in dem der "Weissagungsbeweis" zu erbringen wäre und von Jahwe erbracht ist.

Dies ist - in gutem Sinn - ein konservativer Kommentar. Die Literarkritik ist hinreichend berücksichtigt (bis 1985, Neueres in der Einleitung), aber sie wird selbst bei so schwierigen Texten wie Jes 42,18-25 oder Jes 48 nach eingehender Diskussion durchgehend abgelehnt (meist auch Korrekturen des masoretischen Textes). Im Vorwort des Originals las man dazu, dem Verfasser fehle ,das Bedürfnis, hinter den überlieferten Text zurückzugehen’, er trachte, ,ihn nach der Absicht seiner Endredaktion zu verstehen’ (dort 6). Das entspricht nicht ganz dem erklärten Ziel dieser Kommentarreihe, wonach die Bedeutung der verschiedenen Stadien des Textes mit dem Blick auf die innerkanonische Geschichte der Interpretation zur Geltung kommen sollte (editorial preface, XII), aber das erübrigt sich, wenn es nach Überzeugung des Autors solche Stadien innerhalb dieses Buchteils nicht oder nicht erkennbar gibt. Man wird ihm darin des öfteren widersprechen, aber seine Argumente muß man ernsthaft bedenken, und es ist dem Rezensenten bewußt, daß moderne Literarkritik ihre Möglichkeiten gerne überschätzt. Die Konzentration auf die Endgestalt hat Vor- und Nachteile: Die Aufmerksamkeit ist entschiedener auf den Zusammenhang eines Textes gerichtet, und da der Autor den Propheten auf der Linie der Jesaja- (und Tritojesaja-)Tradenten sieht, sind bei der Auslegung regelmäßig die beiden anderen Buchteile im Blick. Andererseits gehen Konturen einzelner Texte, ihre geschichtliche Tiefendimension, verloren. Problematisch ist der zunächst unwidersprochene Hinweis auf ein dogmatisches Prinzip der Bibelauslegung, wonach die facultas se ipsam interpretandi zwar für ein vertieftes Verständnis des Gottesworts in neuen Situationen Raum gebe, aber nicht für einen Widerspruch: "Holy Scripture cannot contradict itself" (8). Das ist ein für einen historischen Kommentar fragwürdiges Prinzip, weil damit geschichtlich naheliegende Vorgänge für diesen Sektor ausgeschlossen werden; es ist m. E. auch theologisch nicht gerechtfertigt. K. hat an anderer Stelle (34) selbst vor einem Kurzschluß zwischen dogmatischen Sätzen de scriptura und literarkritischer Forschung gewarnt.

Nicht ganz deutlich erscheint das Verhältnis des Propheten, an dem hier gegen einen modernen Trend m. E. mit Recht festgehalten wird, zur "Endgestalt". So spiegelt z. B. Jes 40,1-11 einerseits ein auditives Erlebnis des Propheten, ist aber andererseits als Einleitung für die beiden Buchteile 40-48 und 49-55 konzipiert.

Die Auslegung des programmatischen Anfangstextes zeigt die Problematik auf ihre Weise. Nachdem der Autor sich gegen den Hintergrund einer himmlischen Ratsversammlung und gegen die Beteiligung himmlischer Wesen in diesem Text entschieden hat, soll V. 3 eine prophetische Stimme zu Wort kommen - letzten Endes eine Zusammenfassung der zur Buße rufenden vorexilischen Prophetie; aber wessen Stimme hört dann der Prophet? V. 3-5 soll gemäß der anfänglichen Entscheidung nicht von der Heimkehrstraße reden, sondern vom Kommen Gottes zu Israel, in einer theophanen Erscheinung, für die Israel durch Buße und Glauben den Weg zu bereiten hätte, wofür Ps 50 als Analogie dienen soll. Aber brauchte die Theophanie solche Wegbereitung? Wenn V. 9-11 zum gleichen Text gehört, muß dann nicht auch zuvor Gottes Weg mit Israel nach Jerusalem gemeint sein?

Solche Anfragen mindern nicht den Rang dieses Kommentars. Wer seine Fortsetzung erwartet, kann den längst erschienenen niederländischen Band zur Hand nehmen - die kleine Mühe mit der fremderen Sprache soll sich lohnen! Zu den Vorzügen gehört außer der heute nicht selbstverständlichen sprachlich-grammatischen Sorgfalt die Berücksichtigung der Auslegung durch zwei Jahrtausende. Der Exeget, der selber Deuterojesaja auszulegen hat, findet auch da, wo er widersprechen muß, in K.s Kommentar einen kompetenten Gesprächspartner.