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Ausgabe:

März/2003

Spalte:

281–283

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Wénin, A. [Ed.]

Titel/Untertitel:

Studies in the Book of Genesis. Literature, Redaction and History.

Verlag:

Leuven: University Press; Leuven-Paris-Sterlin VA: Peeters 2001. XXX, 643 S. gr.8 = Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium, 155. Kart. ¬ 60,00. ISBN 90-5807-111-9 u. 90-429-0934-X.

Rezensent:

Markus Witte

Der anzuzeigende Sammelband bietet die auf dem 48. Colloquium Biblicum Lovaniense 1999 gehaltenen Vorträge zum Buch Genesis und spiegelt eindrucksvoll die methodische und hermeneutische Vielfalt wider, die auch für die gegenwärtige alttestamentliche Exegese typisch ist.

Entsprechend der Strukturierung des Colloquium Biblicum Lovaniense gliedert sich der Band in 12 main papers, die auf die programmatischen Hauptvorträge bzw. die im Rahmen der Tagung durchgeführten Seminare zurückgehen, und in 22 offered papers. Innerhalb dieser Hauptabschnitte sind die einzelnen Beiträge weitgehend gemäß der kanonischen Folge der behandelten Textstellen angeordnet. Dem Buch ist eine vom Herausgeber, André Wénin, verfasste Einleitung beigegeben, in der die literargeschichtlichen Probleme der Genesis vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Pentateuchforschung skizziert und die 34 Aufsätze kurz kritisch referiert werden (XIII-XXX). Da nicht alle Beiträge über ein Summary oder eine Voranstellung der jeweils vertretenen Thesen verfügen und eine Klassifikation der Aufsätze nach der jeweils zu Grunde gelegten Methodik und Fragestellung bei den main papers vollständig unterbleibt bzw. im Bereich der offered papers nur grob in die drei Rubriken Diachronic Approaches, Synchronic Approaches und Ancient Jewish Tradition erfolgt, bietet diese Einleitung eine hilfreiche Orientierung. Auch wenn der Herausgeber des Bandes zu Recht betont, dass die hier versammelten Aufsätze nur einen Ausschnitt aus der Forschung an der Genesis darstellen - bezeichnenderweise finden sich mit Ausnahme des von Christoph Levin verfassten short paper keine Beiträge namhafter in Deutschland lehrender protestantischer Genesisforscher - und dass die in den jeweils behandelten Fragekomplexen angebotenen Lösungen offen für Revisionen sind, lassen sich doch vier Tendenzen im exegetischen Bemühen um das 1. Buch Mose feststellen:

1. Hermeneutisch stehen sich diachrone und synchrone Ansätze nicht (mehr) unvermittelt gegenüber, sondern werden als einander ergänzende und sich gegenseitig befruchtende Zugangsweisen wahrgenommen. Dazu sei besonders auf die Beiträge von Christoph Dohmen und Georg Steins verwiesen, die sich auch darum bemühen, in die schillernden Begriffswelten des canonical approach und der "Intertextualität" terminologische Klarheit zu bringen.

2. Hinsichtlich der Kompositions- und Redaktionsgeschichte des Pentateuchs, des Hexateuchs oder auch des Enneateuchs stellen sich weiterhin die Fragen a. nach dem literargeschichtlichen Profil der Endredaktion der Genesis (vgl. dazu die detaillierten Ausführungen von Marc Vervenne, der im Gegensatz zu zahlreichen neueren Thesen bezüglich nachpriesterlicher Redaktionen im Pentateuch an dem Modell von P als jüngster Kompositionsschicht festhält) und b. nach der literargeschichtlichen Verbindung der Genesis mit dem Exodus. In Auseinandersetzung mit der zuletzt von Konrad Schmid (Erzväter und Exodus, WMANT 8, 1999) breit entfalteten These, dass die Verknüpfung der Genesis mit der Mosegeschichte erstmals durch P geleistet worden sei, bieten hier vor allem die Aufsätze von Thomas Christian Römer, Albert de Pury und David McLain Carr wichtige Diskussionsbeiträge.

3. Rezeptionsgeschichtlich werden die Septuaginta, der Midrasch oder auch Josephus - ein eigener Beitrag zu den Genesisfragmenten und Texten mit Genesis-Stoffen aus Qumran fehlt leider in dem Band - nicht einseitig text- und/oder wirkungsgeschichtlich betrachtet, sondern a. als eigenständige Texte wahrgenommen und b. in einen dynamischen Auslegungsprozess der "Vorlage" integriert (vgl. dazu die Beobachtungen von Johann Cook, Evangelia G. Dafni, Lieve Teugels und Christopher Begg).

4. Sicher nicht nur auf Grund des menschheitlichen Horizonts der Urgeschichte (Gen 1,1-11,26) und der für menschliches Handeln paradigmatischen Familiengeschichten (Gen 11,27-50,26), sondern auch bedingt durch Fragestellungen, die das Gesamtgebiet gegenwärtiger Theologie prägen, kreisen thematisch orientierte Auslegungen der Genesis vor allem um die Erhebung der Anthropologie, die nach dem Eingangsaufsatz von W. (3-34) zutreffend als ein Schlüssel zum Gesamtverständnis des 1. Buchs Mose angesehen werden kann. In diesem Zusammenhang gehören unter anderem die auch theologisch eindringlichen Artikel von Georg Fischer und Raymond Kuntzmann sowie der stärker grundsätzlich hermeneutisch orientierte Aufsatz von Irmtraud Fischer.

Im Einzelnen bietet der wichtige Krongressband eine Fülle bedenkenswerter Detailbeobachtungen zu strukturellen, literar-, motiv- und begriffsgeschichtlichen sowie theologischen Fragen der gesamten Genesis wie einzelner Passagen, die durch ausführliche Indizes zu den zitierten Verfassern und Bibelstellen am Ende des Buches erschlossen werden. Folgende Aufsätze sind in dem besprochenen Werk versammelt:

A. Wénin, La question de l'humain et l'unité du livre de la Genèse (3-34); M. Vervenne, Genesis 1,1-2,4. The Compositional Texture of the Priestly Overture to the Pentateuch (35-79); C. Dohmen, Untergang oder Rettung der Quellenscheidung? Die Sintfluterzählung als Prüfstein der Pentateuchexegese (81-104); G. I. Davies, Genesis and the Early History of Israel. A Survey of Research (105-134); I. Fischer, Das Geschlecht als exegetisches Kriterium. Zu einer gender-fairen Interpretation der Erzeltern-Erzählungen (135-152); J. L. Ska, Essai sur la nature et la signification du cycle d'Abraham (Gen 11,27-25,11) (153-177); T. C. Römer, Recherches actuelle sur le cycle d'Abraham (179-211); A. de Pury, Situer le cycle de Jacob. Quelques réflexions, vingt-cinq ans plus tard (213-241); G. Fischer, Die Josefsgeschichte als Modell für Versöhnung (243-271); D. M. Carr, Genesis in Relation to the Moses Story. Diachronic and Synchronic Perspectives (273-295); T. L. Brodie, Genesis as Dialogue: Genesis' Twenty-six Diptychs as a Key to Narrative Unity and Meaning (297-314); J. Cook, The Septuagint of Genesis: Text and/or Interpretation? (315-329); M. Bauks, Genesis 1 als Programmschrift der Priesterschrift (Pg) (333- 345); C. Levin, Gerechtigkeit Gottes in der Genesis (347-357); R. de Hoop, The Use of the Past to Adress the Present: the Wife-Sister-Incidents (Gen 12,10-20; 20,1-18; 26,1-16) (359-369); A. Lange, Becherorakel und Traumdeutung. Zu zwei Formen der Divination in der Josephsgeschichte (371-379): H. Ausloos, The Deuteronomist and the Account of Joseph's Death (Gen 50,22-26) (381-395); A. Abela, Is Genesis the Introduction of the Primary History? (397-406); B. Lemmelijn, Genesis' Creation Narrative: the Literary Model for the So-Called Plague-Tradition? (407-419); B. Gosse, Les traditions sur Abraham et sur le jardin d'Éden en rapport avex Is 51,2-3 et avec le livre d'Ézechiel (421-427); H. A. J. Kruger, Subscripts to Creation: A Few Exegetical Comments on the Literary Device of Repetition in Gen 1-11 (429-445); A. Strus, Gen 2,4b-3,24; structure et décodage du message (447-460); D. Rudman, A Little Knowledge is a Dangerous Thing: Crossing Forbidden Boundaries in Gen 3-4 (461-466); S. Van Den Eynde, The Missing Link. tyrb in the Flood Narrative: Meaning and Peculiarities of a Hebrew Key Word (467-478); P. van Hecke, Shepherds and Linguists. A Cognitive-Linguistic Approach to the Metapher "God is Shepherd" in Gen 48,15 and Context (479-493); D. Elgavish, The Encounter of Abram and Melchizedek King of Salem: A Covenant Establishing Ceremony (495-508); G. Steins, Die Versuchung Abrahams (Gen 22,1-19). Ein neuer Versuch (509-519); S. Gillmayr-Bucher, Genesis 24 - ein Mosaik aus Texten (521-532); R. Kuntzmann, Jacob et le thème de la lutte initiatique dans le livre de la Genèse: pertinance et intérêt d'une lecture symboliste (533-539); J. Fleishman, Towards Understanding the Legal Significance of Jacobs' Statement: "I will divide them in Jacob, I will scatter them in Israel" (Gen 49,7b) (541-559); R. Pirson, The Sun, the Moon and Eleven Stars. An Interpreation of Joseph's Second Dream (561-568); E. G. Dafni, vyam yk hva - gyne, ou ek tou andros autes (Gen 2,23). Zur Anthropologie von Genesis 1-11 (569-584); L. Teugels, Gap Filling and Linkage in the Midrash on the Rebekah Cycle (585-598); C. Begg, Josephus' Retelling of Genesis 34 (599-605).

Aus den genannten Aufsätzen sei abschließend ausdrücklich der Beitrag von Graham I. Davies erwähnt, der mit seinem historisch angelegten Versuch, Teile von Gen 12-50 für die bronzezeitliche Geschichte Israels auszuwerten, eine beachtenswerte Gegenstimme zu gegenwärtigen Modellen, die Vor- und Frühgeschichte Israels zu rekonstruieren, darstellt.