Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2003

Spalte:

278–281

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Jenni, Ernst

Titel/Untertitel:

Die hebräischen Präpositionen. 3: Die Präposition Lamed.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 2000. 349 S. gr.8. Geb. ¬ 68,00. ISBN 3-17-016425-2.

Rezensent:

Reinhard G. Lehmann

Mit dem Band über Lamed (= L.) schließt der Vf. seine Trilogie über die präfigierten hebräischen Präpositionen ab. Wiederum mutet er dem Leser eine linguistisch anspruchsvolle und mühsame Lektüre zu, belohnt sie aber mit reichem Erkenntnisgewinn.

In Bd. 1 war der Präposition L. auf der Ebene der langue eine Sonderstellung im hebräischen Präpositionensystem zugesprochen worden, die im Interesse eines guten Funktionierens der Sprache gewährleiste, dass eine Relation zwischen den beiden Argumentstellen x und y "auch relativ vage in der Schwebe" gelassen werden kann. Sie dürfe entgegen verbreiteter Auffassung "nicht isoliert als gewissermaßen degenerierter Richtungsanzeiger mit vielen sekundären Gebrauchsweisen" umschrieben werden, sondern sei "im Rahmen des Systemganzen als ein einheitlicher Bedeutungsträger" mit einer Grundbedeutung wahrzunehmen, die als "nichtgleichstellender Relationalis" beschrieben werden kann, "der nur eine Beziehung (in Bezug auf/ hinsichtlich o. ä.) zwischen zwei Größen ausdrückt, diese aber in ihrer Verschiedenheit beläßt" (11), also "verknüpft und zugleich getrennt hält" (151). Die verschiedenen Gebrauchsweisen von L. ergeben sich erst auf der Ebene der parole durch die semantischen Klassen der jeweiligen Korrelate. Ihrer darstellenden und analysierenden Entfaltung und der gelegentlichen Zurückweisung verbreiteter Irrtümer dient der vorliegende Band.

Das Untersuchungsmaterial umfasst alle 20725 alttestamentlichen Vorkommen. Beigegeben ist als Register die unter Kategorien/Belegstellen-Nr. referierte Hauptdatei aller alttestamentlichen Belegstellen, die auf 40 Seiten reichlich Informationen birgt, wegen des abstrakten Umschrift- und Kürzelsystems aber einiger Einübung bedarf. Nur überblicksweise ist S. 14-16 auch inschriftliches Material herangezogen, in die Hauptdatei hat es keinen Eingang gefunden und bleibt damit im Gesamtwerk marginal. - Eine Übersicht über die vordere Umgebung und die mit L. verbundenen Ausdrücke (18 ff.) - Quantoren, Zahlwörter, Artikel, Negationen, Appellativa, Pronomina, Infinitive, Relativpartikel, Adverbien, Konjunktionen, komplexe Präpositionen etc. - erleichtert eine erste Orientierung und entwickelt die für die Registerklassifizierung gebrauchten Siglen. Dem schließt sich, jeweils mit Beispiel und Angabe des prozentualen Vorkommens das Prinzip der Rubriken (= R.) entwickelnd, eine Haupteinteilung der Verwendungsweisen von L. an (23-25).

Bei der Auswahl des Repertoires der vorderen Umgebung von L. (18) hätte man sich mehr Klarheit gewünscht. So stellt sich etwa die Frage, warum neben den Konjunktionen und Partikeln im, o, sae- (nicht aber asaer) etc. zwar auch das Interrogativ ha-/ha-, nicht aber z. B. ma und (seltener) mi (Ps 73,25 u.ö.) bedacht werden, zumal der interessante Fall Jes 22,16 mit ma-lleka, mi-leka und hasabta-lleka nebeneinander eine gute Kontrastierung erlaubt hätte. Der Vers erscheint aber laut Register nur atomisiert in den Rubriken 3263, 4812 und 4832 (nicht 4831!). Etwas mühsam erst findet man dann einschlägige Stellen unter R. 48 - nicht jedoch Ps 73,25 (kaum überzeugend unter R. 2124 neben Ps 56,10; 118,6)!

Die hochdifferenzierte Darstellung des Materials geschieht in den neun Hauptrubriken L. revaluationis, ascriptionis, dativum, experientiae, applicationis, illocutionis, cum infinitivo, adverbiale und modi, die den Hauptbestand des Buches ausmachen.

Terminologisch neu eingeführt wird das der Reklassifikation zur "subjektiven Neueinschätzung des von jetzt an geltenden Verhältnisses zwischen Rollenträger und Rolle" (27) dienende L. revaluationis. Wegweisend ist dabei die Grundbedeutung von L. als "Anzeige einer bloßen Beziehung zwischen zwei getrennt bleibenden Größen" (kein allmähliches Werden): "Wird nun dieses getrennt haltende l auf die Beziehung zwischen zwei Bezeichnungen einer referenzidentischen Größe angewendet, so kann damit nicht (wie bei b) eine faktische, objektiv wahrgenommene Wirklichkeit gemeint sein, sondern nur eine vorstellungsmäßige, subjektiv imputierte Beziehung" (27). Die grundsätzliche Unterscheidbarkeit zwischen "objektiv-faktisch" (Klassifikation ohne L.) und der Aktivierung der subjektiven Komponente durch L. (Reklassifikation), wie sie an den Beispielen Ex 4,3 und Gen 19,26 verdeutlicht werden soll, ist indes schwer nachvollziehbar (28 f.). Ex 4,3 kann jedenfalls, solange Mose noch mit Jahwe allein ist, schwerlich eine subjektive Vorführung für die "Umstehenden" (29) sein (vgl. parallel Ex 4,6 nicht mit L., sondern hinneh+Nominalsatz). Auch der Unterschied zwischen objektiver Bereitstellung der Frau in Gen 24,51 (utehi issah lebaen-adonaeka) einerseits und subjektiver Verheiratung (Gen 24,67 - wattehi-lo le issah) andererseits will nicht recht einleuchten. Mit diesen Beispielen ist die Neueinführung eines L. revaluationis und sein im Sinne pragmatischer Linguistik gegebener Nutzen für das Verstehen hebräischer Texte unnötig verdunkelt. Der besondere Ertrag des L. revaluationis hingegen wird deutlich in einem Exkurs zum sog. dativus ethicus unter den nach Entität und Kausalität gegliederten Gruppen der Reklassifikation im engeren und schließlich weiteren Sinn als "Aktualisation (Restituierung/Relokalisation) bei Verben der Wegwendung" (48 ff.): Am Beispiel Gen 12,1 (laek-leka) wird deutlich, dass hier herkömmlich als dativus ethicus aufgefasstes leka "nicht Näherbestimmung zum Verbum, sondern Aktualisation des Subjekts" ist und den Angesprochenen hic et nunc meint (49), da von hlk als zweiwertig-intransitivem Bewegungsverb keine reflexive Konstruktion abhängig sein kann. Die lokal-temporale Aktualisation des Subjekts mit L. habe hier vielmehr satzsemantische Folgen beim Verbum, dessen gegebenenfalls ingressiv-inchoativ-phasaler Aspekt, "wenn der Beginn der Handlung unmittelbar folgend oder bevorstehend gedacht" ist (50), hervorgehoben wird. Mutatis mutandis sind die Fälle zu beurteilen, in denen andere Verben der Ortsveränderung etc. nach Impt. oder Aufforderungs- und Entschließungsverben (auch smr Nif sich hüten als mentale bzw. bth sich verlassen auf als bildliche, innere Wegbewegung statt herkömmlich dativus commodi) betroffen sind. Das Fazit lautet hier ebenso deutlich wie einleuchtend: "Von dativus ethicus sollte nur noch in wissenschaftsgeschichtlichem Rückblick die Rede sein" (52).

L. ascriptionis gehört mit ca. 3000 Belegen zur stärksten Hauptfunktionsgruppe. Auch hier ist die Relation nicht objektiv vorausgesetzt, "sondern wird irgendwie subjektiv festgestellt, hervorgehoben, behauptet" (54). Wichtig ist R. 2169, in der nicht genannte, realdeiktische Dinge Personen zugeschrieben werden. Den 170 Belegen in Psalmenüberschriften (ledawid etc.) wären dabei - der Titulatur L. inscriptionis folgend - die über 800 Siegellegenden ebenso zuzurechnen gewesen wie andere Aufschriften mit L. auf Gefäßen und Gräbern, die die beiden einzig im AT neben Hab 3,19 außerhalb des Psalters belegten Stellen Jes 8,1 und Ez 37,16 hervorragend illustrieren und die Statistik weiter zu Gunsten des L. ascriptionis verschieben. Dies hätte um des Vf.s eigener Grundthese willen nicht übergangen werden sollen. Angesichts der real (nicht nur literarisch Ez 37,16; Jes 8,1) existierenden beschrifteten Objekte, die ihre Dedikation bzw. Attribution auf Grund eines realen Vorgangs subjektiver Einschätzung, Zuordnung etc. eines besitzenden, stiftenden, veräußernden oder herstellenden Subjekts erhalten und nie eine auch als Constructus realisierbare, sich selbst gewissermaßen wiederholende Benennung, sondern eben stets nur Attribution (qds-Schale aus Hazor) oder Ascription mit L. aufweisen, klingt sein "irgendwie subjektiv" unnötig vage.

L. dativum (R. 3) steht für die Herbeiführung des in R. 2 beschriebenen "Verhältnisses der Zugehörigkeit einer konkreten Größe ... zu einer zweiten konkreten Größe" (84). Prototypisch ist ntn geben, gefolgt von weiteren Verben des Überlassens, Hervorbringens (es'h, bnh), Bringens, Opferns, Hinstellens und Nehmens (lqh, bhr). Die durch L. ausgedrückte "intransitive, nicht kausativierte" (R. 4, L. experientiae) bzw. transitive, semantisch kausativierte (R. 5, L. applicationis) "Zuordnung einer Entität höheren Grades, d. h. eines nicht verdinglichten Abstraktums ... zu einer Entität ersten Grades" zeigt, der subjektiven Komponente von L. entsprechend, dass immer eine Wertung oder Geltung, oft meliorativ oder pejorativ, zum Ausdruck gebracht wird. Hierzu gehört auch die Ersatzfunktion von L. zur Einführung des direkten Objekts (R. 59), die der Vf. gegenüber früheren Auffassungen ausdrücklich auf vergleichsweise späte, durch aramäisch üblichen Gebrauch von L. bei personalen Objekten beeinflusste Stellen und einpolige Ausdrücke in Parole- und Kommandofunktion reduziert.

Die mit L. cum infinitivo (R. 7) ausgedrückte Relation erscheint entweder als frei gewählte Verknüpfung eines vorbereitenden, mit finitem Verb ausgedrückten Sachverhalts und eines im Infinitiv stehenden Zielgeschehens (explikativ, instruktional, admissional, konsekutiv) oder als semantisch geforderte Einbettung eines zum Infinitiv verkürzten Nebensatzes, der durch L. mit einem die Modalität formenden Rahmenverb verknüpft wird (152 "Modalisator und Modalisatum"). Ein Exkurs widmet sich dem in über 900 Fällen mit Sprechhandlungen verknüpften lemor (168 ff.), das stets echtes L. c. inf. (verkürzter Infinitivsatz - nicht adverbial erstarrte Formel) sei und als explizite Verknüpfung "die modale Färbung des Quotativs" vermittle, "die in manchen Sprachen durch einen besonderen grammatischen Modus ausgedrückt wird." In einigen Fällen wie Gen 27,6 und bei Einführung von lemor durch telische Ortsveränderungsverben ist die Anerkennung als echter Infinitiv in finaler Verknüpfung ohnehin geboten. Bei den ca. 25 % Verknüpfungen mit verba dicendi (vor allem mr, dbr, ngd) und hier besonders finitem mr (nicht redundant-tautologisch!) sei dagegen explikative Funktion anzunehmen, wodurch auch solche mit finitem, nicht zu den verba dicendi gehörendem Verb "ohne Umweg über hypothetische sprachgeschichtliche Entwicklungen erklärbar" sind (170).

In der dankenswert minutiösen, heuristisch hilfreichen Rubrizierung der Präposition in ihre zahlreichen Funktionen liegt zugleich eine Gefahr. Die Benutzerwahrnehmung droht an der Sprachwirklichkeit des althebräisch sprechenden und denkenden Menschen und dem der Präposition zu Grunde liegenden, sie prägenden und durch sie geprägten Welt-/Denkbild allzu leicht vorbeizusehen. Nachdrücklich sei daher auf die vom Vf. herausgearbeitete Grundbedeutung (s. o.) hinzuweisen, die nur sichtbar wird, weil die auch in der gegenwärtigen Hebraistik nicht immer präsente Forderung im Auge behalten wurde, dass eine Sprache zunächst aus sich selbst heraus verstanden werden will. Diese Orientierung an der Grundfunktion (im Gegensatz zu zahlreichen zielsprachlich orientierten Verwendungen und Übersetzungen) hat sich in der Exegese und - wohlverstanden umgesetzt - auch im akademischen Unterricht des Hebräischen zu bewähren und leistet so einen wichtigen Beitrag zum philologisch besseren und theologisch ertragreicheren Verstehen alttestamentlicher Texte. Hier hat Ernst Jennis Präpositionen-Trilogie ihre theologische Relevanz als ein sicher auf lange Zeit hin unentbehrliches Stück hebraistischer Grundlagenforschung.