Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2003

Spalte:

273–275

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Böckler, Annette

Titel/Untertitel:

Gott als Vater im Alten Testament. Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zur Entstehung und Entwicklung eines Gottesbildes.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 2000. XV, 454 S. gr.8. Kart. ¬ 49,95. ISBN 3-579-02664-X.

Rezensent:

Ernst-Joachim Waschke

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die überarbeitete Dissertation der Vfn., die von D. Vieweger betreut und 1999 von der Kirchlichen Hochschule Wuppertal angenommen wurde. Einleitend (1-13) wird ein kurzer Überblick über die Vorstellung Gottes als Vater im Judentum, Christentum und Islam geboten, bei letzterem mit negativen Befund.

Der erste Teil der Arbeit (17-53) umfasst die gegenwärtige Forschungslage sowie die Abgrenzung des Quellenmaterials und die eigene Zielstellung. Forschungsgeschichtlich ist das Thema bisher kaum selbständig, sondern in der Regel im Zusammenhang mit anderen Fragestellungen behandelt worden. Die dabei vorherrschenden hermeneutischen Interessen bzw. Zugangsweisen werden für die ältere Forschung klassifiziert in "dogmatisch", "religionsgeschichtlich", "idealistisch", "neutestamentlich", die sich in der jüngeren Forschung um Stichworte wie "Entmythologisierung", "Psychoanalyse" und "Feminismus" erweitern lassen. Dass mit dem Thema ein Desiderat der alttestamentlichen Forschung aufgegriffen wird, zeigen sowohl der Rückblick auf die Arbeiten von G. Quell1 und J. Jeremias2, die bis in die jüngste Zeit den Stand der Forschung repräsentieren, als auch die kritische Würdigung zweier jüngerer Studien, die sich dem Thema ausschließlich aus alttestamentlicher Sicht zugewandt haben.3 Ziel der Vfn. ist es, Entwicklung und Bedeutung der Vorstellung Gottes als Vater im AT traditionsgeschichtlich nachzuzeichnen.

Innerhalb der Forschung haben die mit ba; "Vater" gebildeten biblischen Personennamen eine nicht unerhebliche Rolle gespielt. Dieser Problemkreis wird im zweiten Teil der Arbeit (55-172) behandelt. Nach dem Ausscheiden textkritisch unsicherer Belege (Abialbon: 2Sam 23,31; Jeschebab: 1Chr 24,13) werden sämtliche mit ba; "Vater" gebildeten Personennamen lexikalisch und syntaktisch untersucht, wobei, wenn vorhanden, auch die entsprechenden außerbiblischen Belege aufgelistet und herangezogen werden. Dabei kommt die Vfn. zu dem Er-gebnis, dass diese Form der Namensgebung wahrscheinlich auf den altisraelitischen Ahnenkult zurückgeführt werden muss. Nur so erklärt sich, dass neben ba; "Vater" auch andere männliche Verwandtschaftbezeichnungen zur Namensbildung herangezogen werden können, während entsprechende weibliche fehlen. Damit scheidet ihrer Überzeugung nach aus, dass die mit ba; "Vater" verbundenen Prädikate oder ba; selbst als theophore Elemente aufgefasst werden können. Zur Klärung der Vorstellung von Gott als Vater und der Entwicklung dieser Metapher im AT tragen die Personennamen jedenfalls nichts bei.

In dem dritten und umfangreichsten Teil der Arbeit (175- 387) werden alle Texte behandelt, in denen die Vorstellung von Gott als Vater explizit zur Sprache kommt. Hinzugenommen werden nur noch jene Stellen, in denen das Vater-Sohn-Verhältnis durch ein Mann-Sohn-Verhältnis ersetzt ist (Dtn 1,31; 8,6; Mal 3,17).

Drei Vorstellungskreise werden für die Belege geltend gemacht: 1. "Jhwh als Vater des davidischen Königs" (2Sam 7,14; Ps 89,27 f.; 1Chr 17,13; 22,10; 28,6), dem auch Prov 3,12 zugeordnet wird, 2. "Jhwh als Vater des Volkes Israel" (Ex 4, 22f.; Dtn 32,6; Jes 63,16; 64,7; Jer 2,27; 3,4; 3,19; 31,9; Hos 11,1; Mal 1,6; 2,10; 3,17; Ps 103,13) und 3. "Jhwh als Vater der Waisen" (Ps 68,6). Die Jerusalemer Königsideologie, nach der das Verhältnis Jhwhs zum davidischen König - vermutlich in Anlehnung an kanaanäische Vorstellungen - als Vater-Sohn-Verhältnis verstanden wurde, gilt als Ausgangspunkt der Tradition. Als Grundtext wird 2Sam 7,14 angesehen, den die Vfn. der frühen Königszeit ("aus der Zeit kurz vor oder nach Salomos Tod"!, 210) zuordnet und exegetisch in aller Breite und unter Einschluss aller gängigen Hypothesen vorstellt (185-219). In ihm wird das Vater-Sohn-Verhältnis sowohl unter dem Aspekt der väterlichen Züchtigung (V. 14b; vgl. Prov 3,12) als auch unter der Zusage der unverbrüchlichen Treue zum Ausdruck gebracht. Neben diesem Traditionsstrang, den sie über Ps 89, 27f. und die o. g. Chronikstellen verfolgt, wird in Hos 11,1 und Ex4,22 f. eine zweite, eigenständige Vorstellung sichtbar, nach der die Sohnschaft Israels in der Exodustradition verankert ist. Mit dem Untergang der davidischen Dynastie werden die dem König geltenden Aussagen auf Israel übertragen, was ihrer Überzeugung nach an Ps 89,27 abzulesen ist, in dessen Kontext "David" schon "als Chiffre für Gottes Volk steht" (250). Jer 31,9 gilt dann als Beleg dafür, dass die beiden ursprünglich selbständigen Traditionen in der Exilszeit miteinander fusioniert worden sind. "Dem ganzen Volk galt nun einerseits die Zusage der ewigen Treue Gottes und seiner steten Vergebungsbereitschaft. Andererseits blieb die Forderung erhalten, als Sohn Gottes gehorsam zu sein" (393).

Der Vfn. gebührt das Verdienst, sich des Themas in diesem Umfang mit dem Anspruch angenommen zu haben, die traditionsgeschichtlichen Entwicklungen der Vorstellung nachzuzeichnen. Völlig richtig geht sie dabei von zwei ursprünglich separaten Traditionen aus. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Vorstellung Gottes als Vater des Königs, in welcher Ausdeutung auch immer, gemeinorientalischen Ursprungs ist und dass Israels in der Exodustradition verwurzelte Gottessohnschaft sich nur schwer aus der "Demokratisierung", besser Demotisierung, der königsideologischen Vorstellung verständlich machen lässt. Nun aber stammt der dafür angegebene Beleg 2Sam 7 sicher nicht aus der frühen Königszeit.

Das Vater-Sohn-Verhältnis wird hier in V. 14 in deutlicher Anlehnung an die sog. Bundesformel zur Sprache gebracht, und durch das anschließende Gebet Davids (V. 18-29) wird die ganze Verheißung in den Kontext der Befreiung aus Ägypten gestellt (vgl. V. 23 f.). Darüber hinaus ist die königsideologische Seite der Vorstellung allenfalls noch im Psalter (vgl. neben Ps 89,27 f. vor allem auch 2,7 und 110,3) und kaum in einem durch deuteronomische Theologie redigierten Text bewahrt.

Das Problem einer traditionsgeschichtlichen Untersuchung beginnt, wenn die Belege sehr spärlich sind und sie sich, wie im Fall der Vorstellung Gottes als Vater, auf wenige Grundtexte reduzieren lassen, die zumeist noch der Spätzeit des AT entstammen. Will man hier zu gesicherten Ergebnissen kommen, genügt der Begriff ba; "Vater" und sein näherer Kontext nicht. Die Traditionsverbindungen stellen sich dann in der Regel sehr viel komplizierter dar, was im Übrigen auch für den dritten Vorstellungskreis "Jhwh als Vater der Waisen" gelten dürfte. Dieser steht doch der königsideologischen Tradition nicht näher oder ferner als Prov 3,12 (vgl. nur Ps 72,4.12 f. und das ganze Problem der "Armentheologie"). Zugestandenermaßen hätte die Erweiterung des traditionsgeschichtlichen Kontextes den Rahmen dieser zur Weiterarbeit anregenden Dissertation gesprengt.

Fussnoten:

1) Art.: pater B. Der Vaterbegriff im AT, ThWNT V, 1954, 959-974.

2) Die einschlägigen Arbeiten: "Abba" (1954), "Kennzeichen der ipsissima vox Jesu" (1954) sowie "Das Vater-Unser im Lichte der neueren Forschung" (1962) sind zusammengefasst in dem Band: Abba. Studien zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte, 1966.

3) H. Ott, La Paternité-maternité de Dieu dans l'Ancient Testament (Maîtrise. Masch.), Montpellier 1975; G. Vanoni, "Du bist doch unser Vater" (Jes 63,16). Zur Gottesvorstellung des Ersten Testaments (SBS 159), 1995.