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Ausgabe:

März/2003

Spalte:

261–263

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bsteh, Andreas, u. Seyed A. Mirdamadi [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Werte - Rechte - Pflichten. Grundfragen einer gerechten Ordnung des Zusammenlebens in christlicher und islamischer Sicht. 2. Iranisch-Österreichische Konferenz Wien, 19.-22. September 1999. Referate - Anfragen - Gesprächsbeiträge.

Verlag:

Mödling: St. Gabriel 2001. 410 S. 8 = Dialog. Kart. ¬ 29,90. ISBN 3-85264-597-2.

Rezensent:

Klaus Hock

Er hat bereits Tradition: der vor beinahe acht Jahren begonnene iranisch-österreichische Dialog, dessen vielfältige Themen und Diskussionen bislang schwerpunktmäßig der Frage galten, welche Probleme sich beim Bemühen um die Gestaltung einer gerechten Gesellschaftsordnung eröffnen. War die erste größere Konferenz im Jahre 1996 mit der Bedeutung des Prinzips der Gerechtigkeit in den internationalen und interreligiösen Beziehungen aus christlicher und islamischer Perspektive befasst, so fragte das hier dokumentierte Symposium nach der tragenden Rolle von Werten, Rechten und Pflichten für eine gerechte Gesellschaftsordnung. Ihrer Organisationsform nach trug diese Veranstaltung eher den Charakter einer wissenschaftlichen Klausurtagung. Das darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich dabei durchaus um ein Zusammentreffen von eminent politischer Bedeutung handelte. Dies spiegelt sich nicht nur in der hochkarätigen Zusammensetzung der Teilnehmenden von Prof. Schabestari bis Prof. Ayatollah Khamene'i (der allerdings am Dialogtreffen selbst offensichtlich nicht teilnahm) auf islamischer und von Prof. Bsteh, dem Vorstand des Religionstheologischen Instituts in Mödling, bis Prof. Adel Khoury auf christlicher Seite, sondern wird auch vom feierlichen Rahmenprogramm bestätigt, mit dem die Konferenz eröffnet wurde und bei dem politische wie religiöse Eminenzen mit ihren Grußworten dem Unternehmen Erfolg wünschten. Zudem stand diese Zusammenkunft in einem größeren politischen Kontext und war von daher von quasi höchster Stelle offiziell sanktioniert: Im Herbst 1999 war im Zusammenhang mit dem Besuch des österreichischen Bundespräsidenten in Teheran ein Memorandum zwischen Österreich und dem Iran unterzeichnet worden, in dem beide Länder unter anderem explizit den christlich-islamischen Dialog begrüßen und sich darüber verständigen, ihn über das zeitgleich stattfindende Symposium hinaus konkret fortzusetzen.

Guter Dialogtradition zufolge sollten die Teilnehmenden nicht bloß Gemeinsamkeiten finden, sondern sich auch den bestehenden Differenzen aussetzen - ein Ideal, dem ebenfalls bei diesem Treffen hinreichend Genüge getan wurde, wie insbesondere die vorzüglichen protokollierten Zusammenfassungen der Anfragen und Gesprächsbeiträge im Anschluss an die Plenarvorträge dokumentieren: Die fast durchgängig von großer Höflichkeit und gegenseitigem Respekt, gar gegenseitiger Sympathie getragenen Diskussionen lassen hier und da kontroverse Problemfelder erkennen, die in der Tat nicht harmonisierbar sind: So wird beispielsweise von christlicher Seite die Wahrnehmung der muslimischen Diskussionspartner zurückgewiesen, christlicher Glaube sei "nur eine Sammlung von moralischen und spirituellen Inhalten" (82), und dem christlichen Selbstverständnis gegenübergestellt, demzufolge der christliche Glaube "die durch Gottes Gnade ermöglichte Entschlossenheit (bedeutet), im Dank gegen Gott den Anruf, der vom Leiden und Sterben Jesu ausgeht, wahrzunehmen und aufzugreifen" (83), woraus erst in der Folge moralische Sätze ableitbar seien. Umgekehrt wird an anderer Stelle seitens der muslimischen Gesprächspartner der christliche Hinweis auf die Geschichtlichkeit spezifischer gesellschaftlicher Normen - etwa die Rechtsstellung der Frau - zurückgewiesen mit dem Argument der schöpfungsgemäßen Ordnung und Organisation der Familie, woraus sich für Männer und Frauen eine vorgängige Zuteilung von konkreten, durchaus unterschiedlichen Rechten und Pflichten ergebe (182).

Die Anfragen und Gesprächsbeiträge gehen, wie die meisten der Referate, oftmals sehr ins Detail und lassen eine recht profunde Kenntnis der Teilnehmenden über ihre eigenen - wie bisweilen auch über die fremden - geistesgeschichtlichen Traditionen erkennen, die im Blick auf spezifische Problemstellungen entfaltet werden: Heinrich Schneider und Ali Akbar Rashadi fragen nach der Bedeutung des Menschenbildes als Leitmaß für das Zusammenleben; M. Modjtahed Schabestari, Karl-Heinz Peschke und Seyed Mohammad Khamene'i äußern sich über christliche bzw. islamische Perspektiven der Begründung von Wertmaßstäben; Adel Theodor Khoury und Gottfried Vanoni suchen vor diesem Hintergrund nach gemeinsamen Grundlagen von Rechtsbestimmungen; Richard Potz, Gerhard Luf und Stefan Hammer von christlicher Seite sowie Abolghassem Gordji und Mohammed Ali Taskhiri aus islamischer Sicht analysieren die Beziehung zwischen Recht(en) und Pflichten; und schließlich widmen sich J. Hanns Pichler und Ingeborg Gabriel sowie Akbar Ganbari der Frage nach den Grundlagen einer christlichen resp. islamischen Wirtschaftsethik.

Dass - für einen gelungenen Dialog vielleicht typisch - gerade an den (vermeintlichen?) Gemeinsamkeiten zwischen Islam und Christentum die Unterschiede um so krasser hervortreten, macht auch dieser Band immer wieder deutlich: So weist Ayatollah Taskhiri die von A. Th. Khoury vorgenommene Interpretation zurück, auch der Koran verlange von den Menschen, auf die Todesstrafe zu verzichten, indem er im Gegensatz zu seinem christlichen Gesprächspartner die entsprechenden Passagen so interpretiert, dass im Falle der Auflehnung einer Person gegen Gott und seinen Propheten ohne Zweifel die Todesstrafe fällig wird: "Das ist das Gebot Gottes, und es ist unverzichtbar" (215). Die in diesem Zusammenhang geäußerte Bemerkung, "dass sich Professor Khoury noch mehr mit den Details im Alten und im Neuen Testament sowie im Koran befassen möge, um den Lesern einen möglichst umfassenden Vergleich zu ermöglichen" (215 f.), lässt latente Idiosynkrasien gegenüber nichtislamischen Koraninterpretationen erahnen und spiegelt implizit einen gewissen Anspruch auf das Interpretationsmonopol auch im islamischen Kontext. In anderen Zusammenhängen wird von Seiten der islamischen Gesprächsteilnehmer eine apologetische Rhetorik gepflegt, die nicht leicht zu schlucken ist - so in Gestalt der Behauptung, im Islam seien "seit jeher die Grundlagen der Menschenrechte mehr berücksichtigt worden, als dies in der Charta der Menschenrechte geschehen ist" (223). Mit Skepsis sollte christlicherseits auch auf von islamischer Seite vorgebrachte Kooperationsangebote "im Zusammenhang mit dem Problem der Homosexualität" und im Blick auf "Maßnahmen, die geeignet sind, diesem Mißstand in der Gesellschaft entgegenzuwirken" (ebd.), reagiert werden. Zudem wäre zu wünschen gewesen, dass einige der offenen Fragen im Verlauf des Gesprächs eine nochmalige - und womöglich noch kontroversere - Aufnahme finden, so etwa die Frage, "wer eigentlich ängstlicher ist - derjenige, der für die Durchsetzung seiner religiösen Ansprüche die Politik braucht oder der, der darauf verzichtet?" (254).

Die Stärke dieser Veröffentlichung - wie auch der anderen vom Religionstheologischen Institut der Theologischen Hochschule St. Gabriel, Mödling herausgegebenen Konferenzbände im Bereich des christlich-islamischen Dialogs - liegt insbesondere darin, dass mit der Dokumentation nicht nur der Vorträge, sondern auch der Anfragen und Diskussionsbeiträge der Prozess des Dialogs ebenfalls für Außenstehende, die an dem Symposium selbst nicht teilnehmen konnten, transparent und nachvollziehbar wird. Gerade diese Anfragen und Diskussionsbeiträge werfen nämlich Fragen auf, die im künftigen islamisch-christlichen Dialog der weiteren Bearbeitung bedürfen.