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Ausgabe:

Februar/2003

Spalte:

224–226

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Schreijäck, Thomas [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Christwerden im Kulturwandel. Analysen, Themen und Optionen für Religionspädagogik und Praktische Theologie. Ein Handbuch.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2001. 672 S. 8. Geb. ¬ 35,00. ISBN 3-451-27607-0.

Rezensent:

Bernd Schröder

In seiner zehnseitigen Einleitung zum vorliegenden Sammelband markiert der Herausgeber diejenigen Prozesse, die zur Zeit den Kontext von Religionspädagogik und Praktischer Theologie wesentlich bestimmen und die von diesen Disziplinen bedachten Praxisfelder herausfordern, mit den Begriffen "Globalisierung" und "Kulturwandel". Die Leitfrage, auf die alle vierunddreißig Beiträge dieses Buches "approximative Antworten" (15) zu geben versuchen, lautet folglich: "Wie kann Christin- und Christwerden im Kulturwandel gelingen?" (12)

Die Aufsätze verdanken sich einer nicht näher charakterisierten "Forschungskooperation" (14) von universitär wie nicht-universitär beschäftigten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern "aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und aus Holland" (15), die zur Hälfte im Bereich von Religionspädagogik und Praktischer Theologie tätig sind; darüber hinaus sind Volkskundlerinnen, Missionswissenschaftler, Systematische Theologen u. a. beteiligt.

Ihre hier versammelten Einlassungen gruppieren sich um vier Kapitelüberschriften. Sie heißen: erstens "Sozialwissenschaftliche Analysen und pädagogische Optionen. Perspektiven religiöser Sozialisation in den neuen Bundesländern" (19-140), zweitens "Anforderungen an die Religionspädagogik und Praktische Theologie aus der Perspektive von Theologie und Philosophie interkulturell" (141-224), drittens "Sozialethische Herausforderungen in globaler Perspektive und Entwicklung christlich-personaler Identität" (225-368) und viertens "Lernorte und Handlungsfelder der Religionspädagogik und Praktischen Theologie" (369-664).

Unter diesen weiten Schlagzeilen sind jeweils sehr unterschiedliche Beiträge versammelt. Das erste Kapitel etwa stellt Michael Ebertz' pointierte Zusammenfassung seiner rezenten religionssoziologischen Veröffentlichungen ("Christwerden - in welcher Gesellschaft?", 20-46) und Klaus Seitz' ausgreifende pädagogische Reflexionen auf "globales Lernen" ("Bildung im Horizont der Weltgesellschaft", 47-79) neben Aufsätze von Christel Köhle-Hezinger, Annette Schneider und Werner Simon, die den Spuren und Wandlungen von Religion in den neuen Bundesländern nachgehen.

Das zweite Kapitel vereint grundsätzliche Darstellungen zu "Religion als Kommunikation" von Edmund Arens (142-161), zu "Universalität und Partikularität als Herausforderung an die Ekklesiologie" von Siegfried Wiedenhofer (162-182) mit missionswissenschaftlichen Überlegungen zur Inkulturation des christlichen Glaubens (Fritz Frei, 183-199) wie zur gebotenen Polyzentrik eines zeitgemäßen Religionsbegriffs (Josef Estermann, 200-223).

Das dritte Kapitel bietet sozialethische Betrachtungen zur nachhaltigen Entwicklung (Hans J. Münk; 226-247), Biotechnologie (Günter Virt; 275-293), Verantwortung für Tiere (Guido Knörzer; 294-310) und Jugendgewalt (Christian Büttner; 311-329) neben einem Abriss zum Stand der Moralpädagogik (Bert Roebben; 248-274) und der geschlechterbewussten Religionspädagogik (Helga Kohler-Spiegel; 330-354). Den Abschluss bildet hier ein Beitrag zu "Glaubensinformation und Seelsorge im Internet" von Stefan Kemmerling (354-368).

Das vierte Kapitel umfasst ein breites Spektrum mehr oder weniger praxisorientierter Beiträge, darunter systematische Skizzen zur Erwachsenenbildung (Friedrich Schweitzer; 477-491) wie zur Religionspädagogik der Familie (Albert Biesinger; 441- 456), Darstellungen religionspädagogischer Konzepte, z.B. der "dialogisch-kreativen Religionsdidaktik" (Reinhold Boschki; 507-524), Einblicke in größere Forschungsprojekte wie die Phänomenologie städtischer Religion (Hans-Günter Heimbrock; 563-582) u. a. m.

Die Lektüre des Buches hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck: Auf der einen Seite finden sich in einzelnen Beiträgen zahlreiche anregende und bemerkenswerte Beobachtungen und Thesen - genannt sei hier etwa die Interpretation einer "Feier der Lebenswende" für Nichtgetaufte als Ausdruck der Inkulturation des Glaubens durch Werner Simon ("Diakonische Präsenz"; 115-140) oder der Aufweis eines latenten Eurozentrismus in religionspädagogischen Denkfiguren durch Josef Estermann ("Schritte zu einem polyzentrischen Religionsbegriff"; 200-223, v. a. 219-222).

Auf der anderen Seite - und dieser Nachteil wiegt jenen Vorzug m. E. auf - fehlt dem Band die Konzentration. Die Fragestellung des Bandes ist zu wenig präzise, um überzeugende Antwortversuche provozieren zu können, die Systematik des Bandes zu offen und locker, um den selbst gesetzten Anspruch, ein "Handbuch" (Untertitel) zu sein, einlösen zu können. Genauer: Was exakt mit dem Begriff "Kulturwandel" gemeint ist, vermögen weder die Andeutungen des Herausgebers in der Einleitung (hier 9-12) noch vereinzelte Bemerkungen in den folgenden Beiträgen zu klären. Die systematischen einschlägigen Reflexionen Ebertz' wiederum liegen den Aufsätzen der übrigen Autorinnen und Autoren nicht erkennbar zu Grunde.

Wenn das Ausgangsproblem dergestalt nur als Chiffre benannt wird, nimmt es nicht Wunder, dass es an den unterschiedlichsten Phänomenen erläutert wird: Wie oben angedeutet reicht der thematische Reigen von der Biotechnologie (so Günter Virt; 275-293) bis zur Spiritualität (so Thomas Schreijäck; 650-664), ohne dass die Einleitung oder die Beiträge selbst erkennen ließen, warum sie unter dem Dachtitel dieses Buches ihren Ort finden müssen. Ein Bezug zur Leitfrage ist zum Teil gar nicht erkennbar (so etwa bei Wiedenhofer, Virt, Büttner und bei Joachim Theis: "Verstehen von Bibeltexten", 609-622) oder wird lediglich in Schlussbemerkungen assoziiert (so etwa in den Reflexionen von Uwe Gerber zum Religionsunterricht in der Berufsschule; 525-546, von August Heuser zur Bedeutung von Räumen für religiöse Lernprozesse; 547- 562, von Stefan Heil zur Modularisierung der universitären Religionslehrerbildung; 623-635).

Den weitestgehenden Versuch einer Antwort auf die Frage, wie Christin- und Christwerden im Kulturwandel gelingen kann, gibt denn auch der Herausgeber selbst im ersten Satz seiner Einleitung. Dort heißt es: "Christin- und Christwerden kann unter Veranschlagung der aktuellen globalen Veränderungsprozesse nur gelingen, wenn es als Projekt lebenslangen Lernens entworfen, im Horizont der Globalisierung verortet und als Weg in die Weltgesellschaft auf der Grundlage elementarer christlicher Optionen aus theologischer Perspektive verstanden und gedeutet wird." (9) Diese allgemeine These wird im Laufe des Buches nirgends explizit aufgenommen; sie bleibt auch nach der Lektüre des Buches eine bloße These, deren Begründung, inhaltliche Füllung und Konkretisierung noch aussteht.