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Ausgabe:

Februar/2003

Spalte:

217–220

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Rosenberger, Michael

Titel/Untertitel:

Was dem Leben dient. Schöpfungsethische Weichenstellungen im konziliaren Prozeß der Jahre 1987-1989.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 2001. 502 S. gr.8 m. Tab. = Theologie und Frieden, 21. Geb. ¬ 46,20. ISBN 3-17-016697-2.

Rezensent:

Markus Huppenbauer

Der erste Hauptteil des Buches (11-304), mit dem sich der Vf. an der Universität Würzburg 1999 habilitierte, enthält nach einem einleitenden 1. Kapitel (11-20) im 2. Kapitel eine Analyse der "Dokumente von Stuttgart, Dresden und Basel" (21- 129) und schließlich im 3. Kapitel eine systematische Reflexion der mit dem konziliaren Prozess gegebenen "schöpfungsethischen Weichenstellungen" (131-283). Er endet nach dem 4. Kapitel "Zusammenfassung und Ausblick (275-283) mit einem ausführlichen und ausgezeichneten Verzeichnis der "Literatur und Quellen" (285-304).

Dieser theologischen Arbeit sind im zweiten Hauptteil des Buches (305-502) unter dem Titel "Der Prozeß im Prozeß" eine dia- und synchrone Synopse der schöpfungsethisch relevanten Passagen aus den Dokumenten der Ökumenischen Versammlungen von Stuttgart, Dresden und Basel im Rahmen des konziliaren Prozesses der Jahre 1987-89 angehängt. Der Leser und die Leserin kann so nicht nur jederzeit verifizieren, wovon der Vf. spricht, er oder sie ist auch in der Lage, die Genese der jeweiligen Schlussdokumente nachzuvollziehen, weil frühere Fassungen und Vorlagen in dieser Synopse abgedruckt werden. Thema der folgenden Ausführungen ist ausschließlich der erste Hauptteil des Buches.

Der Vf. definiert Schöpfungsethos als "Ethos im Umgang mit der Welt als Schöpfung" und Schöpfungsethik als "systematische wissenschaftliche Reflexion auf das Schöpfungsethos" (11). Er nimmt den konziliaren Prozess Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts als "hervorragenden Indikator für das christliche Schöpfungsethos" (14) wahr. In ihm zeichnen sich im Kontext des christlichen Glaubens neuartige Erfahrungskomplexe ab, die neue Bereiche ethischer Reflexion erschließen. In diesem Sinn untersucht der Vf. den konziliaren Prozess unter einem bestimmten theologisch-systematischen Blickwinkel: "Welche Weichenstellungen des werdenden Schöpfungsethos manifestiert er? Welche Impulse kann er demzufolge der theologischen Schöpfungsethik geben? Und wie lassen sich diese Impulse theologisch-ethisch plausibilisieren und einordnen?" (19)

Im 2. Kapitel untersucht der Vf. die erwähnten Dokumente im Hinblick auf die formale und materiale Genese und ihre Auslegung. Abschließend wird jeweils der Versuch einer zusammenfassenden Würdigung gemacht (zur Methode vgl. 21- 25). Kurz zusammengefasst lobt der Vf. an der Erklärung von Stuttgart (aus dem Jahre 1988) deren "erstaunliche Konsistenz des Gedankengangs" (56) und der theologischen Begründung materialethischer Aussagen. Die eher induktiv entwickelten Gedanken der zwölf Ergebnistexte von Dresden aus dem Jahre 1989 bieten demgegenüber einen "vielfältigen und bunten Strauß einzelner Impulse" (93) zum Themenkreis "Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" (GFBS). Die große Stärke des Basler Dokumentes von 1989 liegt demgegenüber im Bereich des "Sehens. Dort werden die zentralen Fakten der Schöpfungsbedrohung deutlich herausgearbeitet", wohingegen eine "mangelhafte Ausarbeitung der Handlungsperspektiven" (123) zu konstatieren ist.

Im dritten Kapitel vollzieht der Vf. eine theologische Reflexion der Dokumente, die er in dreierlei Hinsicht für bemerkenswert hält: 1. Sie gehen weg von einer "ausschließlich anthropozentrischen Begründung der Schöpfungsethik" (131). 2. Alle Dokumente bieten "wesentliche Aussagen zur Schöpfungsspiritualität und zum persönlichen Lebensstil" (131). 3. Der "Begriff des Lebens und der Lebensdienlichkeit" (132) wird zum hermeneutischen Schlüssel der Schöpfungsethik. Die drei Unterkapitel unter dem Titel "Schöpfungsethische Weichenstellungen" folgen diesen Hinsichten und versuchen, sie systematisch zu entfalten und zu begründen:

Kapitel 3.1 mit dem Titel "Die Grundfrage nach Begründung und Konzeption einer Schöpfungsethik" (133-180) liefert eine gute Zusammenfassung und Diskussion wichtiger Positionen aus dem umweltethischen Diskurs. Der Vf. beschränkt sich dabei auf anthropozentrische und biozentrische Ansätze. Er legt einen Schwerpunkt auf den Begriff des Eigenwertes, den er in der Fähigkeit der Lebewesen zur "Selbstrealisierung" (151), "theologisch: zur Selbsttranszendenz auf die gnadenhaft geschenkte Selbstmitteilung Gottes" (153) und "in Analogie zur Menschenwürde" (156) sieht. Er legt eine von ihm so genannte "anthro-po-, bio- und theologale Schöpfungsethik" (158) als Synthese vor, welche die bisher gegenüberstehenden Positionen vermittelt. Sie geht vom Menschen als moralischem Subjekt aus, hat den Begriff des Lebens, und damit den Eigenwert nichtmenschlicher Schöpfung als zentrales Strukturprinzip und begründet den Wert aller Geschöpfe von Gott her und auf ihn hin. Gemäß dem Vf. lassen sich aus dem Eigenwertpostulat "ausschließlich verpflichtende Haltungen" (160) wie Ehrfurcht und Wohlwollen gegenüber der nichtmenschlichen Schöpfung direkt ableiten, nicht aber eine Normethik im Sinne eines Grundpflichtenkataloges. Das Eigenwertpostulat fungiert nur als eine Art Leitbild zur Orientierung zweier Grundpflichten des Menschen (Achtung des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit der Geschöpfe und Pflicht, sie artgerecht zu behandeln).

Kapitel 3.2 mit dem Titel "Der kreative Umgang mit Grenzen als eine spirituelle Leitperspektive" (181-207) entwickelt die Haltung des Maßhaltens als zentrale schöpfungsethische Tugend. Das Respektieren spezifischer Grenzen menschlicher Geschöpflichkeit mündet als Schöpfungsspiritualität in "eine Spiritualität der Demut" (188), die sich allerdings nicht aus Angst und lebensverneinender Askese, sondern "aus Lebensfreude und Dankbarkeit" (191) nährt: "Wo der Mensch Verzicht übt, wird ihm Größeres geschenkt. Wo er sich selbst zurücknimmt, eröffnet er Räume für Neues" (194). Zum Maßhalten bedarf es der Normen als "standardisierte[r] sittliche[r] Grenzziehung" (195), die sich am Eigenwert der Geschöpfe orientieren. Der Vf. plädiert gegen deontologische Totalverbote, allenfalls tritt er für Moratorien bestimmter Techniken ein (198f.) und legt beim Abwägen der Folgen menschlicher Handlungen Gewicht vor allem auf das "Wissen um die menschliche Schwachheit" (197). Der Sabbat kann zusammenfassend als "Ursymbol normativer Maßhaltung" (200) interpretiert werden und in Analogie zur befreiungstheologischen Option für die Armen werden "die schwächsten Geschöpfe ... zum Maß schöpfungsethischer Grenzziehung" (205).

Kapitel 3.3 mit dem Titel "Der Maßstab der Lebensdienlichkeit" (208-274) entfaltet eine Schöpfungsethik auf dem Hintergrund des konziliaren Motivs der Lebensdienlichkeit und einer entsprechenden Interpretation biblischer Texte in 10 Thesen: "Weil der Mensch Teil der Schöpfungsgemeinschaft ist, wird er zu respektvollem Umgang mit ihr verpflichtet" (246) und "Die biblische Sicht vertieft ... das biologal begründete Eigenwertpostulat" (248) sind zentrale Resultate dieser Abschnitte. Der Vf. formuliert seine Schöpfungsethik, ausgehend von der alttestamentlichen Unterscheidung von Lebensraum und Lebewesen, zweischienig als Oikos- und als Bios-Ethik: "Bios-Ethik befaßt sich ... mit dem verantwortungsvollen Umgang mit den (einzelnen) Lebewesen als solchen. Oikos-Ethik fragt nach dem verantworteten Umgang mit der Schöpfung als Lebensraum" (249) Die hier entwickelten materialen Normen (Konkretionen des Nachhaltigkeitsbegriffs, der Grundpflicht der Lebensachtung und des artgerechten Umgangs) bieten dem Fachmann kaum Neues (so auch der Vf. selbst, 251).

Eine kritische Diskussion der vorliegenden Arbeit wird sicher die nur angedeutete Unterscheidung von (theologischer) Schöpfungsethik auf der einen und (philosophischer) Natur-, respektive Umweltethik auf der andern Seite thematisieren. Einen Mangel der Arbeit sehe ich zudem im fehlenden Bezug auf den Darwinismus und die damit einhergehenden ethischen Probleme (etwa des natürlichen Übels) besonders bei der Entfaltung des Lebensbegriffs im Unterkapitel 3.3 Dennoch: Die Arbeit stellt einen gelungenen Versuch dar, eine Schöpfungsethik aus christlicher Perspektive zu formulieren. Sie überzeugt nicht zuletzt durch den nüchternen Stil und die pragmatische Position des Vf.s.