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Ausgabe:

Februar/2003

Spalte:

213–215

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Huppenbauer, Markus

Titel/Untertitel:

Theologie und Naturethik. Eine schöpfungstheologische Auseinandersetzung mit ethisch-normativen Ansätzen umweltverantwortlichen Handelns.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 2000. 257 S. gr.8 = Forum Systematik, 9. Kart. ¬ 30,60. ISBN 3-17-016619-0.

Rezensent:

Hubert Meisinger

Huppenbauer möchte als Ziel seiner Untersuchung das "Manko" (18) abarbeiten, dass es bisher in der deutschsprachigen Theologie keine Lösung für die Frage gebe, "welchen spezifischen Beitrag die Theologie [zu einer Umwelt- oder Naturethik] leisten könnte, wenn sie nicht einfach im theologischen Kontext wiederholt, was die andern auch (vielleicht sogar besser) sagen" (18): Wie sieht eine "Schöpfungsethik im Unterschied zur Naturethik" (93) angesichts der komplexer gewordenen Rede von Natur aus? Diesem Ziel nähert er sich auf interdisziplinärem Wege in drei Schritten:

1) H. beschäftigt sich mit der anthropologischen und ethischen Funktion christlicher Schöpfungswahrnehmung und fragt nach dem "epistemischen Status" (25) des Schöpfungsbegriffs. Er entwickelt einen inhaltlich noch nicht näher bestimmten, vor-moralischen, relational-lozierenden Schöpfungsbegriff, der durch eine (schöpfungsethisch gebotene) "Kultur des Umgangs mit dem Unverfügbaren" (93) bestimmt wird: "Wahrnehmung von Schöpfung loziert Menschen ... auf ganz bestimmte Weise in Bezug auf Gott und Welt (natürliche Umwelt, aber auch Kultur, Gesellschaft usw.)" (34). Die Differenz von Theologie und Naturwissenschaft wahrt er, indem er keine systematischen Zusammenhänge im Sinne einer theoretischen Einheit beider anstrebt, sondern "Anschlüsse und Übergänge an ausgewählten Punkten" (48) sucht. Als ethische Konsequenzen aus diesem Schöpfungsbegriff wird u. a. ein Primat des Wahrnehmens (einer grundlegenden Angewiesenheit auf Vorgaben) vor dem Handeln herausgearbeitet, die zu einer "Ethik der Selbstbegrenzung" führt, ohne jedoch einer theologischen Radikalkritik an moderner Technik das Wort zu reden: Es geht um eine "Ergänzung technischer Weltwahrnehmung und -behandlung durch eine Vielfalt anderer Perspektiven auf Wirklichkeit" (86).

2) H. erarbeitet anschließend die inhaltliche Bestimmung dieses "anthropo-theorelationalen Schöpfungsgefüge[s]" (94) und das Wesen Gottes als Liebe. Die christologischen Voraussetzungen dieser Liebe und ihre schöpfungsethischen Konsequenzen werden innerhalb eines naturphilosophischen Kontextes entfaltet, in dem im Anschluss an Georg Picht Individualität- H. verwendet den metaphernnahen Ausdruck "Biographien in Biotopen" - den Grundbegriff der Naturwahrnehmung bildet - eine Perspektive, die die Einmaligkeit geschichtlicher Prozesse in lokalen, regionalen und universalen Relationen wiedergibt und "in der Menschen so thematisiert sind, daß im Anschluß daran sinnvoll vom liebevollen Wirken Gottes gesprochen werden kann" (109). In diesem Kontext geht H. auf die Theodizee-Problematik ein: "Nur im Rückblick und ohne es zu generalisieren (also nur im Hinblick auf ihre eigene Biographie), können Menschen ... auch im Übel und Leiden Gott am Werk sehen" (117).

3) Bei der Frage nach den moralischen Subjekten bestimmt H. Anschlussmöglichkeiten des Diskurses zwischen philosophischer Naturethik und theologischer Schöpfungsethik anhand der Rede von "nicht-freiwilliger Schuld" (173-181) - ein Begriff, der sowohl "für den Gesetzes- und den Sündenbegriff der Theologie" wie "für den Begriff des moralischen Subjektes und seiner Handlungsmacht, wie er in ethisch-normativen Theorien impliziert ist" (183), offen sei. Ihm geht es um eine "Entmythologisierung menschlicher Handlungsmacht" (199): Erst in der gegenseitigen Rücksichtnahme unter Geschöpfen zeige sich, was schöpfungsethisch sinnvoll sei. Mit dieser Entmythologisierung einher gehe die "Entmoralisierung" Gottes (200), zumal das vor-moralische Gutsein Gottes als Schöpfer lebensweltlich erst wieder einsichtig werden müsse.

Schließlich entwickelt H. Elemente einer Schöpfungsspiritualität - dem pneumatologischen Pendant zur Schöpfungswahrnehmung. Diese beleuchten das Tun des Guten, das Handeln durch moralische Subjekte auf einer tieferen Ebene, bei der die "Kreativität Gottes als eine theologisch reflektierte Bedingung der Möglichkeit konkreten Handelns" (203) - von ihm auch mit "ökologischer Sensibilität" (206) bezeichnet - thematisiert wird. Eine zentrale Stellung nimmt bei dieser Bestimmung des Versöhnungshandelns Gottes an menschlichen Subjekten in der natürlichen Umwelt der Begriff "Energie" ein, mit dem er einen "Anschluß zwischen theologisch-soteriologischem und naturwissenschaftlichem Kontext" (207) herstellt. Dabei geht er über ethisch-normative Reflexionen hinaus, indem er "natürliche und technisch transformierte Energien als Gaben des Schöpfers und ihre lebensermöglichenden Wirkungen als seine Wirkungen" (229) interpretiert: Energie besitzt somit "andere Aspekte als bloß ihre technische Verwendbarkeit und ihr quantitatives Vorhandensein für die Menschen" (229) - emotionale, religiöse und ästhetische Bestimmungen, die im Gegensatz zu den physikalisch-quantitativen Bestimmungen unermesslich seien.

Die Arbeit von H. zeichnet sich durch eine sprachlich ausgesprochen dichte Auseinandersetzung mit der von ihm anvisierten Aufgabe aus. Dabei entwickelt er seine eigenen Thesen in kritischer Auseinandersetzung mit vorliegender Literatur und weitet über angelsächsische Literatur den zu Grunde liegenden kontinental-europäischen Ausgangspunkt seiner Arbeit entscheidend und kreativ aus.

Bezeichnend ist die große Bedeutung der Lebenswelt als Ort, an dem sich christlicher Glaube bewahrheiten - wahrnehmen lassen - muss. Die von ihm erarbeitete Schöpfungsspiritualität als spezifischer Beitrag der Theologie zu einer Umwelt- oder Naturethik ist ein gutes Beispiel für einen Entwurf, der seinen Ausgangspunkt nicht bei der Konzeption von "einheitlicher" Wirklichkeit (10) nimmt, sondern der sich in einem "perspektivitätstheoretischen Kontext" (10) vollzieht, bei dem verschiedene Ebenen oder Perspektiven menschlicher Rede über und angesichts der Welt unterschieden werden. Ihm gelingt es dabei deutlich zu machen, dass "andere Perspektiven auf Wirklichkeit nötig [sind], um in spannungs- und kunstvollen Kombinationen etwas über Berechtigung und Grenzen je der einzelnen Perspektiven zu erfahren" (231). Die unterschiedlichen Perspektiven (physikalisch-quantitative und sinnlich-affektive) werden dabei sehr stark einander gegenüber gestellt, die Möglichkeit, sie als sich wechselseitig auch ergänzende Perspektiven anzusehen, tritt etwas in den Hintergrund - anders formuliert: H. betont an manchen Stellen die Differenz deutlicher als die Übereinstimmung. Damit jedoch bleibt er seinem Grundansatz treu, Theologie nicht im Wiederholen von bereits Gesagtem sich erschöpfen zu lassen.