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Ausgabe:

Februar/2003

Spalte:

212 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Höhn, Hans-Joachim

Titel/Untertitel:

Ökologische Sozialethik. Grundlagen und Perspektiven.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2001. 178 S. gr.8. Kart. ¬ 30,60. ISBN 3-506-73934-4.

Rezensent:

Hartmut Kreß

Angesichts der ökologischen Krise und der politischen sowie verfassungsrechtlichen Debatten zur Nachhaltigkeit ist es unerlässlich, dass auch die Ethik ihre Kategorien ökologiebezogen fortentwickelt. Im Vergleich zu Erklärungen der evangelischen Kirche stellt es ein prae dar, dass die katholische Kirche schon vor Jahren die vier Prinzipien der Soziallehre - das Person-, Solidaritäts-, Subsidiaritäts- und Gemeinwohlprinzip - um ein fünftes, nämlich das Nachhaltigkeits- als Vernetzungs- oder Retinitätsprinzip ergänzte.1

Ungeachtet seiner Unschärfen und Uneingängigkeit ist der Begriff Nachhaltigkeit seit den 80er Jahren, angestoßen durch die UN-Kommission für Umwelt und Entwicklung (Brundtland-Kommission), zum Fokus ökologisch-ethischer Begriffsbildung geworden. Höhns Buch stellt hierzu Einzelheiten vor (122 ff.). Darüber hinaus lassen sich diesem Begriff belangvolle entwicklungspolitische Komponenten entnehmen, wie schon aus der 1992 auf dem UN-"Erdgipfel" in Rio de Janeiro verabschiedeten Agenda 21 hervorgeht. Zur ökologischen Sozialethik entfaltet H.s Buch einen Theorieansatz, der die herkömmliche Diskursethik ausweitet, indem es auf die leiblichen Bezüge bzw. die naturalen Bedingungen der Diskursvernunft hinweist (75ff). Die traditionelle katholisch-theologische Anthropozentrik wird zu einer Anthroporelationalität fortgeschrieben, so dass die Natur- und Umweltrelationen und die entsprechenden Verantwortlichkeiten der menschlichen Existenz aufgearbeitet werden (88 ff). Auch die Natur des Menschen selbst, seine Leiblichkeit sowie die Unterscheidung zwischen "Leib" und "Körper", wird bei H. zum Thema (99 ff.). Ein Seitenblick des Buches geht im Kontext der neueren Bioethikdebatte über die Leiblichkeit hinaus und beleuchtet die genetische Konstitution des Menschen. Insofern dieser Seitenblick sich so lesen lässt, dass er auf die absolute, jede Abwägung im Umgang mit frühembryonalem Leben ausschließende Position der katholischen Kirche hinausläuft, erscheint er mir freilich nicht recht überzeugend. Das Genom "partizipiert ... in dem Maße an dem moralischen Status einer individuellen Person, wie es ihre Individualität [mit-] konstituiert" (102). Vermag eine solche Formulierung tatsächlich die Begründungslast für die sehr weitgehende Sicht zu tragen, schon den Präembryo als "Person" zu deuten?

Was die Pflichten des Menschen zu Gunsten der Umwelt anbelangt, legt H.s Buch ökologische Krisensymptome dar - Klimagefährdung, Biodiversitätsproblematik, die drohende Wasserknappheit oder die Korrelation von Armut und Umweltschädi- gung (25-35) - und entwickelt Kriterien zur Operationalisierung umweltorientierter Leitideen. Hierzu zählen Regeln der Güter- und Übelabwägung (142 ff.). Im Zusammenhang der heute unabweisbar gewordenen Verhältnisbestimmung von Ökonomie und Ökologie soll der Umweltverbrauch in die Produktionskosten eingerechnet werden (150 ff.). Zugleich bleibt aber deutlich, dass ökologische Anliegen nicht in vollem Umfang ökonomisch verrechnet werden können, sondern dass der eigenständige Stellenwert nicht-ökonomischer Ressourcen und ethischer Wertvorgaben zu beachten ist (156 f.160 ff.). Damit wahrt H.s Denkansatz gegenüber Konzeptionen, die geradezu auf einen ökonomischen Integralismus und eine Einebnung nicht-ökonomischer in ökonomische Werte hinauslaufen,2 das eigene theologische, geisteswissenschaftliche Profil. - Beim Tierschutzgedanken kommen die Gleichheit und Ungleichheit von Mensch und Tier zur Sprache (113) sowie, der Anthroporelationalität gemäß, ein Plädoyer für eine advokatorische Tierethik (109). Solche Gesichtspunkte, die auch Abstufungen zwischen den verschiedenen Formen des Lebendigen berücksichtigen, werden zukünftig noch verstärkt relevant werden, wenn, nach der Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz (Art. 20a) im Jahr 2002, konkrete Abwägungen z. B. zum Verhältnis von Tierschutz zur Forschungsfreiheit oder Medikamentenforschung oder zur Religionsfreiheit noch mehr gefordert sind.

In fundamentalethischer Hinsicht vermittelt H.s Buch zu Recht den Impuls, das oft vertretene Paradigma einer vormodernen aristotelischen Naturdeutung zu überschreiten, indem es darauf hinweist, dass die den Menschen umgebende Natur immer schon kulturell überformt und gesellschaftsabhängig ist (49 f.56 ff.). Kulturgeschichtlich erreicht diese Entwicklung in der Gegenwart sicher einen Höhepunkt, ersichtlich z. B. an der Bionik, der technischen Nachahmung natürlichen Seins (z. B. durch Herstellung künstlicher Muskeln; auf Dauer intendiert die Bionik die Entwicklung energiesparender, umweltschonender Komponenten und Verfahren). H. bringt eine nacharistotelische Betrachtung auf den Nenner, dass aus der Natur als Vorgabe die Natur als Aufgabe geworden ist (60).

Nachdem Natur und Umwelt grundlagen- sowie konkret materialethisch inzwischen, vor allem im Vergleich zu den 70er und 80er Jahren des 20. Jh.s, sehr in den Hintergrund gerückt sind, ist die im vorliegenden Buch vor Augen geführte erneute Reflexion auf Leitlinien und Handlungskriterien einer ökologischen Sozialethik um so anregender.

Fussnoten:

1) Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der deutschen Bischöfe: "Handeln für die Zukunft der Schöpfung", 1998; vgl. Höhn, 12.

2) In diese Richtung geht z. B. das Sondergutachten "Welt im Wandel: Umwelt und Ethik" des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, Marburg 1999; im Internet unter www. wbgu.de.