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Ausgabe:

Februar/2003

Spalte:

210–212

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Valentin, Joachim, u. Saskia Wendel [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Unbedingtes Verstehen?! Fundamentaltheologie zwischen Erstphilosophie und Hermeneutik.

Verlag:

Regensburg: Pustet 2001. 181 S. m. 3Abb. 8. Kart. ¬ 19,90. ISBN 3-7917-1763-4.

Rezensent:

Hartmut Rosenau

Die beiden Herausgeber dieses Bandes haben zwölf anregende Beiträge, wenn auch unterschiedlicher Qualität, zur Auseinandersetzung mit fundamentaltheologischen Fragen im kritischen Anschluss an Positionen und Thesen des katholischen Theologen und Religionsphilosophen H. Verweyen vorgelegt. Wie es zu gerade dieser Zusammenstellung gekommen ist (Festschrift? Tagungsreferate? Ringvorlesung?), wird leider im Vorwort nicht erklärt. Vielmehr wird gleich das Leitmotiv des Bandes vorgegeben: Gibt es so etwas wie eine philosophische Letztbegründung von Denken und Sein (das "Unbedingte"), an die theologisch zur grundsätzlichen Legitimierung von Wahrheitsansprüchen anzuknüpfen wäre? Oder gibt es nur prinzipiell unabschließbares und damit auch immer nur relatives, bedingtes Verstehen von Wirklichkeit(en) mit der Tendenz zur Beliebigkeit, wie es vor allem postmoderne Hermeneutiken (Ricur; Derrida) behaupten? Oder lassen sich vielleicht doch beide Positionen vermitteln- wie es der Buchtitel zweideutig anzeigt- zu einem unbedingten Verstehen bzw. zu einem Verstehen des Unbedingten?

V. hat sich mit seinem von K. Rahner übernommenen transzendentaltheologischen Ansatz gegen den postmodernen Zeitgeist vor allem im Blick auf die Spätphilosophie J. G. Fichtes (ab der Wissenschaftslehre von 1804) für eine noetisch letztbegründende Instanz entschieden, nämlich für das selbstbewusste Subjekt als notwendige Bedingung der Möglichkeit von Wirklichkeitserkenntnis, das sich freilich ontologisch nicht selbst als Prinzip von Denken und Sein, sondern nur als abgeleitetes Prinzipat eines ihm noch vorauszudenkenden Absoluten begreifen kann. Somit ist nach Fichte das Ich in seiner endlichen Freiheit "Bild des Absoluten", und die Realität Gottes könnte hieran anknüpfend als "Innengrund" des Ich (so U. Pothast in Aufnahme von D. Henrich) durchaus auch dogmenkritisch ausgelegt werden.

Mit dieser transzendentalen Methodik ist natürlich kein Anspruch auf einen (deduktiven) Gottesbeweis verbunden, wohl aber der philosophische Nachweis der Unhintergehbarkeit einer unbedingten Sinninstanz zur gediegenen Verankerung theologischer Hermeneutik und ihrer Rede von Gott. Neuzeitliche Letztbegründungstheorien haben darin für Verweyen die - allerdings problematische - Funktion einer ancilla hermeneuticae sowohl analog zur Philosophie als praeambula fidei in scholastischen Diskursen als auch analog zu apologetischen Überbietungsstrategien, wie sie gegenwärtig in der protestantischen Theologie z. B. von W. Pannenberg entwickelt werden.

Nun mögen die Verfechter unhintergehbarer, letztbegründender Sinninstanzen gegenüber postmodernen Hermeneutikern auf einer formalen Ebene die besseren Argumente haben. Aber dennoch wird die konkrete inhaltliche Füllung einer solchen letzten Instanz unabschließbar strittig und somit relativ bleiben, wenn man nicht - wie es Fichte in seiner Spätphilosophie getan hat - beim Absoluten lediglich als kritischem Grenzbegriff eines dann ontologisch bzw. soteriologisch ohnmächtigen Ich stehen bleiben möchte. Ein religionsphilosophischer Brückenschlag zur spezifisch christlichen Rede von Gottes Offenbarung in Jesus Christus ist dann zwar durchaus möglich (das hat z. B. F. W. J. Schellings späte "Philosophie der Offenbarung" gezeigt), aber keineswegs zwingend. Denn die christologisch relevante Frage, wie denn im Bedingten (menschlicher Selbst- und Weltwahrnehmung) Unbedingtes auszumachen sei- wie also Jesus von Nazareth als Christus zu erkennen sei (42) - lässt sich kriteriologisch nicht mit hinreichender Eindeutigkeit beantworten, wenn auch vielleicht noch ästhetisch umschreiben, wie es der letzte der zwölf Beiträge versucht.

Freilich könnte man gerade aus der Innenperspektive des christlichen Glaubens und seiner Theologie durchaus (pneumatologisch) zeigen, wie zum einen haltloser Beliebigkeit zu Gunsten von Gewissheit gewehrt werden kann, ohne zum anderen intolerant gegenüber der Andersheit der Anderen (72 f.) werden zu müssen, wie es postmoderne Kritiker von vermeintlich totalitären Letztbegründungen oft unterstellen. Denn mit Blick auf die dem glaubenden Menschen selbst unverfügbaren Konstitutionsbedingungen des Glaubens sowie seine heilsuniversalen Implikationen wird eine zwar nicht absolute Letztbegründung geschaffen - da bleibt insbesondere das Theodizeeproblem in der Tat sperrig (94) -, aber doch situativ hinreichende Gewissheit in subjektiver "Gelassenheit", wie die Mitherausgeberin in Anlehnung an die Mystik Meister Eckharts zu bedenken gibt (158 f.). Insofern ist Verstehen zwar niemals unbedingt, weil geschichtlich geleitet, aber es kann durchaus auch das Unbedingte verstanden werden, um nochmals mit dem Buchtitel zu spielen.