Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2003

Spalte:

203–206

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

1) Benz, Arnold, u. Samuel Vollenweider 2) Benz, Arnold 3) Hattrup, Dieter 4) Riedl, Rupert

Titel/Untertitel:

1) Würfelt Gott? Ein außerirdisches Gespräch zwischen Physik und Theologie.

2) Die Zukunft des Universums. Zufall, Chaos, Gott?

3) Einstein und der würfelnde Gott. An den Grenzen des Wissens in Naturwissenschaft und Theologie. 2. Aufl.

4) Zufall, Chaos, Sinn. Nachdenken über Gott und die Welt.

Verlag:

1) Düsseldorf: Patmos 2000. 279 S. m. Abb. 8. Geb. ¬ 22,00. ISBN 3-491-72439-2.

2) München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2001. 216 S. m. Abb. 8. Kart. ¬ 10,00. ISBN 3-423-33062-7.

3) Freiburg-Basel-Wien: Herder 2001. 304 S. m. 3 Abb. 8. Geb. ¬ 19,90. ISBN 3-451-27339-X.

4) Stuttgart: Kreuz 2000. 205 S. 8. Geb. ¬ 22,90. ISBN 3-7831-1852-2.

Rezensent:

Sigurd Martin Daecke

Die Titel dieser vier Bücher scheinen alle die gleiche Thematik zu versprechen: Zufall, Chaos, Sinn und Gott - und damit das Gespräch zwischen Naturwissenschaft und Theologie. Wird diese Erwartung erfüllt?

Das "Nachdenken über Gott und die Welt" des jetzt 77jährigen renommierten Wiener Zoologen Rupert Riedl, der mit seinen früheren Veröffentlichungen auch wichtige Beiträge zum Thema Evolution und Schöpfungsglaube geleistet hat, beginnt tatsächlich mit 15 Fragen nach Gott und anderen theologischen Problemen. Aber sie werden noch weniger eindeutig und befriedigend beantwortet als die weiteren 147 Fragen, die die folgenden Kapitel über Kosmologie, Evolution, Menschwerdung, Bewusstsein, Sprache, Sozietät, Vernunft/Verstand, Wissenschaft sowie Kultur und Gesellschaft untergliedern. Der Leser dieser "Plauderei über Gott und die Welt" (35) wird nicht sehr tiefgreifend, aber umfassend informiert, allerdings mehr über die "Welt" als über "Gott". Bemerkenswert ist jedoch, dass R. in den Kapiteln über Evolution und Menschwerdung einer "prästabilisierten Harmonie" den Gedanken der "poststabilisierten Harmonie" entgegensetzt (53.56.71.86) und damit den üblichen Gegensatz von Gottes "Würfeln" und Planung, von Zufall und Sinn, von Kausalismus und Finalismus zu überwinden sucht.

Die Frage nach Zufall und Planung, mit dem bekannten Bild Einsteins: die Frage, ob Gott würfelt, ist - wie die Titel zeigen - dasjenige Thema, das alle vier Bücher verbindet. Für Dieter Hattrups Buch gilt das allerdings weniger, als sein Titel vermuten lässt. Und auch das Gespräch zwischen Naturwissenschaft und Theologie, das der Untertitel verheißt, wird - verglichen mit den Büchern von Benz und Vollenweider - von H. nicht wirklich geführt, obwohl der Paderborner katholische Dogmatiker als studierter Physiker und promovierter Mathematiker für diesen interdisziplinären Dialog geradezu prädestiniert wäre. Er bemüht sich vor allem, von seinem traditionell theologischen Standpunkt aus die in seinem Untertitel angesprochenen "Grenzen des Wissens" der Naturwissenschaften (nicht jedoch der Theologie) aufzuzeigen. Das zeigen bereits die Titel seiner in sich abgeschlossenen Kapitel (oder vielmehr Essays): "Tragik in der Physik" (Einstein und Bohr), "Der Traum der Unendlichkeit in der Mathematik" (G. Cantor), "Von der Endlichkeit der Evolution", "Der Fall Galilei - eine Katastrophe?", "Die Endlichkeit des Kosmos in der Gegenwartsliteratur" (Rezensionen) und "Die Endlichkeit der Natur".

Wie die Überschriften zeigen, lautet H.s zentrale These: Im Gegensatz zur Intention der modernen Naturwissenschaften ist die Natur endlich. Die von der Physik vergeblich gesuchte wahre "Weltformel lautet: Nicht alle Wirklichkeit ist Natur". Denn "es gibt eine Wirklichkeit, die nicht Natur ist": Gott (252). "Damit steht die Religion den Wissenschaften streng gegenüber, aber nicht als überholte, sondern als erkenntnisreichste Lebensform" (282 f.). H.s Buch ist ungemein informativ und anregend. Aber es setzt die Naturwissenschaften nicht in Beziehung zum Glauben, zu Religion und Gott, sondern weist sie streng in ihre Grenzen. Das Buch erweckt den Eindruck eines Gegensatzes von Naturwissenschaft und christlichem Glauben, der im interdisziplinären Dialog längst überwunden zu sein schien.

Im Unterschied zur anregenden "Plauderei" von Riedl und zur dogmatischen Apologetik von Hattrup führt der Astrophysiker Arnold Benz von der ETH Zürich ein echtes, offenes, fruchtbares Gespräch mit der Theologie in "Die Zukunft des Universums" - und direkt mit einem Theologen, dem Zürcher Neutestamentler Samuel Vollenweider, in "Würfelt Gott?". Außer dieser Titelfrage (nach Einstein) werden die Problemfelder Zufall, Zukunft und Chaos diskutiert, die Frage nach dem "kosmischen Christus", ferner "Themen wie die Entstehung des Universums aus dem Nichts, die Schöpfertätigkeit Gottes, die Evolution des Lebens, aber auch die Dimensionen der Zeit" (12).

Diese beiden Bücher - die uneingeschränkt zum Besten auf dem Gebiet der Literatur über Naturwissenschaft und Theologie gehören - ergänzen und interpretieren einander. Auch in "Die Zukunft des Universums" fragt B.: "Was ist ... dieser Gott? Ist Gott in unserer naturwissenschaftlich geprägten Zeit überhaupt noch denkbar? Diese Fragen haben mich ... beschäftigt, und um sie geht es in diesem Buch" (9). So ist es erkennbar das Resultat vieler Gespräche des Physikers mit Theologen, denen B. auch für Anregungen dankt, etwa seinen Zürcher Kollegen Markus Huppenbauer und Hans Weder.

Zahlreiche Gedanken, die hier der Physiker niederschreibt, tauchen im gemeinsamen Buch als Äußerungen des theologischen Gesprächspartners auf. Doch "NW" und "TH" dürfen nicht mit Benz und Vollenweider identifiziert werden, sondern sind "Niek van der Wielen" und "Thomas Haubensak", zwei Astronauten im Jahr 2021 an Bord des Raumschiffes "Hermes Trismégistos", das um den Saturn kreist, während ihre Kollegen von dort aus eine Mission zum Saturnmond Titan unternehmen. "Würfelt Gott?" ist offenkundig im Ganzen ein gemeinsames Buch des Zürcher Physikers und des Zürcher Theologen.

Die naturwissenschaftlich-philosophisch-theologischen Dialoge, die Kernstücke des Buches, sowie Botschaften von "NW" an die "Erde" und "Nachtbuch"-Aufzeichnungen von "TH" - theologisch-philosophische Vertiefungen seiner Gesprächsbeiträge - sind also eingebettet in eine Science-fiction-story als Rahmenhandlung, die dem Leser Entspannungspausen zwischen den anspruchsvollen interdisziplinären Gesprächen gewährt. Ferner fügt eine "Redaktion" immer wieder kritische Kommentare von fiktiven "Professoren" zu den jeweiligen Gesprächsthemen ein, eine Brechung, die die Identifikation einzelner Texte mit den Autoren vollends unmöglich macht. Insgesamt fünf verschiedene literarische Gattungen, ergänzt durch umfangreiche bibliographische Anmerkungen, sorgen also sowohl für Abwechslung bei der Lektüre als auch für naturwissenschaftliche und theologische Information und Diskussion auf hohem Niveau. Die Rahmenhandlung endet mit der Katastrophe und dem Scheitern der Weltraummission - aber das Buch ist sowohl in literarischer als auch in wissenschaftlicher Hinsicht vollauf gelungen.

Die Einbettung des naturwissenschaftlich-theologischen Dialogs in Science-fiction, die Lokalisierung des Gesprächs als "außerirdisch" und seine Datierung in die Zukunft sind nun nicht nur ein bloß formales schriftstellerisches Stilmittel, sondern eröffnen die Möglichkeit zu inhaltlichen Aussagen, die die parallele Monographie von B. nicht bietet. Während dort das Gespräch zwischen physikalischem Wissen und christlichem Glauben gleichsam als Selbstgespräch geführt werden muss, das zu einer einheitlichen Aussage führt, kann der fiktive Dialog als Streitgespräch dargestellt werden, bei dem die unterschiedlichen Positionen schärfer profiliert werden. Und beim "Rollenspiel" haben die beiden Verfasser die Freiheit, auch gewagte Thesen zu vertreten, ohne sich damit identifizieren zu müssen. Da schließlich bei dem "außerirdischen" und zukünftigen Gespräch auch Raum und Zeit verfremdet und die Aussagen durch kritische "Kommentare" relativiert werden, kann ein sehr reiches und vielfältiges Spektrum von Verbindungen und Beziehungen zwischen Naturwissenschaft und Theologie zum Ausdruck kommen.

Diskutiert wird etwa, wie man angesichts des "würfelnden Gottes" von seiner Allmacht sprechen kann. Und angesichts der kosmischen Gesprächssituation geht es um die kosmische Dimension nicht nur von Gottes Schöpfung, sondern auch der menschlichen Frömmigkeit, vor allem aber um den "kosmischen Christus", den kosmischen Aspekt von Jesu Kreuz und Auferstehung: die Auferstehung als neue Schöpfung Gottes, als Entstehen neuer Ordnung aus dem Chaos - der leidende und auferstehende Christus als zentrales Muster, das aller Schöpfung auch heute immer wieder innewohnt (44).

Diese - das Konzept von Teilhard de Chardin auf dem Stand der heutigen Wissenschaft weiterführende - "kosmische Christologie" vertritt einerseits "TH", aber andererseits auch der Physiker Arnold Benz selber in "Die Zukunft des Universums": Die Osterbotschaft lässt "eine weitere Dimension der Wirklichkeit in der Entwicklung des Universums, der Erde und des Lebens" erkennen. "Im Leiden der Evolution und des Todes kann ein von diesem Glauben geprägter Mensch das karfreitägliche Mitleiden Gottes wahrnehmen. Im überwältigenden Neuen begegnet ihm etwas Analoges zum österlichen Schöpfungshandeln... Die im Christentum zentrale Schöpfungsgeschichte von Karfreitag und Ostern taucht auch die düstersten Kapitel der Evolution in neues Licht" (152 f.).

Hier zeigt sich, wie B. methodisch die Aussagen von Naturwissenschaft und Glauben zueinander in Beziehung setzt: In diesem Glauben "sehen Christen die Welt mit neuen Augen ... Das Neue wie das Zerfallende (sc. in der Evolution) werden transparent für das Göttliche. Diese Transparenz vermittelt keine neuen kausalen Erklärungen oder naturwissenschaftlich noch nicht erfassten Fakten. Vielmehr werden die so Wahrnehmenden in eine neue und persönliche Beziehung zur Welt gesetzt" (152). Naturwissenschaft und Glaube sind also unterschiedliche Wahrnehmungsweisen von Wirklichkeit. Sie sind "grundverschieden nicht nur in ihren Ausgangspunkten, sondern allgemein in ihren Methoden, Wahrnehmungen zu machen und mit ihnen umzugehen" (38).

Einerseits scheint B. also zu derjenigen Richtung zu gehören, die Naturwissenschaft und Glauben sauber voneinander trennt: Sie haben "verschiedene Ausrichtungen" und Ziele, beantworten "verschiedene Fragen", haben "verschiedene Absichten und Funktionen", "entsprechen zwei unterschiedlichen Verfahren im Umgang mit der Wirklichkeit"; es geht ihnen einerseits um "Verfügungswissen", andererseits um "Orientierungswissen". Wenn nun derart die "Sprachebenen", die "Wahrnehmungsebenen methodisch getrennt" werden, "stellt sich die Wahrheitsfrage nur innerhalb jeder Verfahrensweise". Und diese "können nicht verschiedener sein". Die "Objektebene" und die "partizipatorische Ebene" seien derart verschieden, dass man nicht einmal mehr von einer gemeinsamen Wirklichkeit sprechen könne (49-57).

Doch dann fragt B. andererseits: "Ist diese Harmonie durch vollständige Trennung nicht ein fauler Kompromiss? ... Allein bei der Barthschen Trennung von Glauben und Naturwissenschaft kann es nicht bleiben" (58 f.), auch wenn damit jeder Konflikt, alles Gegeneinander - wie um die Jahrhundertwende und heute noch bei den Kreationisten sowie etwa bei Hattrup - vermieden wäre. Und so sucht B. nach Beziehungs- und Begegnungspunkten. Zwar könne von der Natur - auch wenn sie zum Staunen Anlass gibt - nicht auf Gott geschlossen werden (wie in der "natürlichen Theologie"), weil Gott und die naturwissenschaftliche Wirklichkeit ja auf verschiedenen Ebenen liegen (64). Aber dennoch kann B. - überraschend nach der vorausgehenden radikalen Trennung der beiden Ebenen - Psalm 19 in der Sprache der Naturwissenschaft neu schreiben, ein Versuch, "die naturwissenschaftlich erklärbare Welt auf der Sprachebene des Schöpfungsglaubens wahrzunehmen", bis hin zum Schlussvers, der nun lautet: "Gott, Du mein Zentrum und Ursprung des Alls" (67-71).

Auch beim - an sich von B. kritisch beurteilten - Anthropischen Prinzip räumt er ein, dass uns die Feinabstimmung des Universums vielleicht "hellhörig für Wahrnehmungen göttlichen Wirkens im Alltag" macht (116). Trotz aller Trennung ist für B. also ein "Übergang von der einen auf die andere Ebene" möglich und auch notwendig (197). "Die naturwissenschaftlichen Fakten werden so ins Verhältnis zu Glaubensinhalten auf der religiösen Ebene gesetzt" (153). "Die religiöse Wahrnehmung" ist "eine vom Glauben gewirkte andere Sicht der Wirklichkeit. Die neue Sicht ist relational: Sie schafft eine Beziehung zwischen dem Betrachter, dem Objekt und Gott, und fügt auf diese Weise den Menschen in umfassendes Ganzes ein" - "einschließlich einer transzendenten Dimension" (197 f.).

So kann B. - trotz seiner Trennung der Wahrnehmungsebenen - schließlich über "christologische Modelle" wie die johanneischen Ich-bin-Worte reflektieren, sodann von diesem naturwissenschaftlich inspirierten Verständnis als "Modell" her, nach der Übertragung von Ps 19, auch die johanneische Christologie vergegenwärtigen und sein Buch, die "beiden Ebenen" verbindend, damit abschließen: "Jesus sagt: Ich bin das wahre Neue. Wer auf mich vertraut, hat teil am Sinn des Ganzen trotz Zerfall und Tod, auch wenn ... das Universum zerstrahlen wird" (210). Und so lautet auch am Schluss des anderen Buches - als Ausdruck des Glaubens an den kosmischen Christus, wieder an Teilhards Schau erinnernd - der letzte Funkspruch von "TH": "Das All ... es ist Eines! Das ganze All ... es atmet. Es ist lebendig!"