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Ausgabe:

Februar/2003

Spalte:

194 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Beierwaltes, Werner

Titel/Untertitel:

Das wahre Selbst. Studien zu Plotins Begriff des Geistes und des Einen.

Verlag:

Frankfurt/M.: Klostermann 2001. 243 S. gr.8. Lw. ¬ 49,00. ISBN 3-465-03122-9.

Rezensent:

Alois Rust

In diesem Buch hat Werner Beierwaltes fünf teils längere, teils kürzere Schriften zusammengestellt, die - mit einer Ausnahme- hier zum ersten Mal in deutscher Sprache erscheinen. Obwohl es sich also um eine Sammlung von Arbeiten handelt, ist das einigende Band nicht nur der Autor, sondern auch der Gegenstand: die vielfältigen Reflexionen Plotins zum Selbst, zum Geist und zum Einen.

Thematisiert wird das Verhältnis des Geistes zum Einen, der Seele zum Geist, die Selbstbezüglichkeit des Geistes wie auch die Weise, wie das Eine gedacht werden kann. B. ist es ein Anliegen, die komplexe Struktur dieser zentralen Stufen nicht nach gängiger Manier als ontologisches System des Abstiegs vom Einen über den Geist zur Seele und schließlich zur Körperwelt zu entwickeln, sondern Philosophieren als Lebensform aufzuweisen, in welcher durch die Selbstreflexion im Anschluss an das "Erkenne dich selbst" des delphischen Orakels gerade umgekehrt der Gang der Besinnung vollzogen wird, als Aufstieg oder vielleicht eher als Erinnerung an das, was den Geist ausmacht. Letztes, schwer zu erfassendes und zu vermittelndes Ziel ist die Rückkehr in den Einen. Freilich muss bei solcher Zielsetzung immer eine Spannung bestehen bleiben zwischen der theoretischen Exposition dessen, was es heißt, als Lebensform diese Stufen der Selbstreflexion zu vollziehen, und ihrer Beschreibung, bzw. der Beschreibung dessen, wie sich Plotin den Vollzug dieser Reflexion gedacht haben mag. Dass es Plotin nicht einfach um die Schilderung eines komplexen Systems gegangen sein kann, sondern um die Darstellung eines Weges und den Vollzug einer Erfahrung, ist sicher eine wesentliche Voraussetzung einer produktiven Auseinandersetzung mit diesem schwierigen Denker.

Die erste und bei weitem längste Abhandlung in diesem Band trägt den Titel "Plotins Begriff des Geistes". B. macht den interessanten Versuch, den Geist über einer Reihe von Wesensaussagen zu bestimmen. Demnach ist der Geist sowohl Wahrheit wie Weisheit, Schönheit wie auch liebende Verbindung. Diese vier Bestimmungen eröffnen verschiedene Blickpunkte auf den Geist. Unter diesen vier Hinsichten werden Aspekte thematisiert, die spekulativ weit ausgreifen und für die Plotin-Interpretation an etlichen Stellen auf spannende Weise Neuland betreten, etwa in den Hinweisen zum Schönen in der gegenwärtigen Kunst.

Die Abhandlung "Das wahre Selbst", welche auch dem Buch den Titel gibt, setzt sich mit einigen Gedankengängen in Plotins Enneade V 3 auseinander. Mit dieser Enneade hatte sich B. als Herausgeber, Übersetzer und Interpret in einem separaten Buch (Selbsterkenntnis und Erfahrung der Einheit, Frankfurt: Klostermann, 1991) schon ausführlich befasst. In dieser erneuten Auseinandersetzung mit diesem zentralen Text Plotins liegt der Fokus auf der Möglichkeit der Selbsterkenntnis, in Auseinandersetzung mit der Leugnung der Möglichkeit derselben bei Sextus Empiricus. Der Grundannahme des Sextus, dass das Sehen nicht sich selbst sehen kann, sondern nur etwas, das nicht es selbst ist, wird hier entgegengehalten, dass Erkennen letztlich immer auch Erkennen des Selbst ist, das Andere erweist sich im Erkennen als etwas in ihm selbst. Vielheit, d. h. die Wendung zu den Gegenständen des Denkens und Einheit, als Besinnung auf die Einheit in dieser Vielheit, sind Momente im Prozess der Selbsterkenntnis des Geistes. In diesem Prozess geschieht dem Philosophierenden etwas, nämlich die Erfahrung des wahren Selbst. In der Selbsterkenntnis wird das Selbst als etwas, das Anderem gegenübersteht überschritten hin zum Einen.

Die Abhandlung "Causa sui" schließt an diese Thematik an. Hier wird über die Möglichkeit, den Einen selbst zu denken, reflektiert. Jedes Denken des in sich nicht Geschiedenen muss Gefahr laufen, dieses zu verfehlen, gerade indem es ihn bestimmt. Daher steht die Abweisung von Bestimmungen des Einen im Vordergrund des Denkens des Einen. In der Enneade VI 8, mit der sich diese Abhandlung in erster Linie auseinandersetzt, zeigt Plotin einen der negativen Theologie gegenüber alternativen Weg, den der Analogie, ausgedrückt in der Formulierung "gleichsam". Mit diesem "gleichsam"-Vorbehalt wird der Eine in seinem Selbstverhältnis gedacht.

B. zeigt im Folgenden nicht nur, wie dies immanent bei Plotin gedeutet werden kann, sondern zeigt, inwiefern die hier angestellten Denkfiguren Plotins in der Trinitätstheologie der Spätantike und des Mittelalters fruchtbar gemacht worden sind. Diese Rezeptionsgeschichte wird in diesem Band mit je einem Beitrag zu Proklos und zu Schelling ergänzt. Plotin wird in diesem Band als wesentliche Quelle für einige der zentralen Bestände unserer abendländischen Kultur auf lebendige Weise dargestellt.