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Ausgabe:

September/1998

Spalte:

845 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Brenner, Athalya

Titel/Untertitel:

The Intercourse of Knowledge. On Gendering Desire and ’Sexuality’ in the Hebrew Bible.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1997. IX, 190 S. gr.8 = Biblical Interpretation Series, 26. Lw. hfl. 116.-. ISBN 90-04-10155-1.

Rezensent:

Silvia Schroer

Das vorliegende Buch ist der Nachfolgeband zu "On Gendering Texts", einem inzwischen nicht nur in feministischen Kreisen vielzitierten Werk, das 1993 in derselben Reihe von A. Brenner und F. van Dijk-Hemmes publiziert wurde. Durch den Tod ihrer Ko-Autorin wurde B. gezwungen, das gemeinsam geplante Buch über gender und Sexualität in der hebräischen Bibel allein zu schreiben. Sie legt in insgesamt acht Kapiteln eine materialreiche Übersicht über biblische Wortfelder und Texte vor, die in irgendeiner Hinsicht Aufschlüsse über die geschlechterdifferenzierte Bedeutung von Sexualität im alten Israel versprechen.

So geht es in zwei Kapiteln um Begrifflichkeiten wie hebräisch ’hb "lieben", Bezeichnungen für Beischlaf, die Wahrnehmung und Beschreibung des männlichen und weiblichen (nackten) Körpers und die Kriterien männlicher und weiblicher Schönheit. Ein weiteres Kapitel stellt den Versuch dar, aus spärlichen oder fehlenden biblischen Indizien ein Stück Frauenrealität zu rekonstruieren. So werden die durch Schwangerschaften und Geburten bedingte niedrige Lebenserwartung der Israelitinnen und die Möglichkeiten der Geburtenkontrolle thematisiert. Besonders verdienstvoll ist Brenners Versuch, hier die Leerstellen im biblischen Corpus durch einen Blick in die altorientalischen Kulturen zu füllen und zudem das Desinteresse der Palästina-Archäologie an gender-Fragen beispielhaft zu dokumentieren. Es ist geradezu unglaublich, mit wie wenig Präzision in Ausgrabungen die geschlechtliche Identifikation von Skeletten vorgenommen wird, wodurch tatsächlich primäres Quellenmaterial und -wissen unwiederbringlich verlorengeht. Zwei Kapitel in Brenners Buch befassen sich sodann mit sexuellem Verhalten, das von der damaligen Norm abweicht, zum einen verschiedene Arten von Inzest, zum anderen Ehebruch, Vergewaltigung, Homosexualität, Transvestitentum, Sodomie und Prostitution. Hierzu sei vermerkt, daß die Autorin erstaunlicherweise beim Thema Homosexualität ganz auf eine Erörterung der Beziehungen zwischen Saul, David und Jonatan verzichtet (warum?). Ein weiteres Kapitel greift erneut die in der feministischen Exegese breit diskutierte Frage auf, wie pornographisch, voyeuristisch und propagandistisch prophetische Texte sind, die Israel oder Jerusalem als Gegenüber des männlich vorgestellten Gottes JHWH weiblich konstruieren und Weiblichkeit (faktisch) mit Hurerei oder (idealerweise) mit Ehetreue ineinssetzen.

B. versucht konsequent, die Geschlechterdifferenz, die in den Texten implizit ist, sichtbar zu machen. Dabei zeigt sich meistens, wie androzentrisch dominiert die Textwelt ist, da die Verbindungen von Männlichkeit und Sexualität im ganzen weit detailreicher dokumentiert sind als die Verbindungen von Weiblichkeit und Sexualität und da Männer viel häufiger als Subjekte, Frauen als Objekte sexueller Empfindungen und Handlungen erscheinen. Die Ergebnisse der verschiedenen Kapitel können hier nicht referiert werden. Bei manchen Einzelheiten neige ich zum Widerspruch. Im Abschnitt "Ideals/norms of beauty" (46-49) wird beispielsweise deutlich, daß die Autorin eine grundlegende Eigenheit altisraelitischer Wahrnehmung der Welt und entsprechend der hebräischen Sprache nicht verstanden hat. Die Beschreibungslieder des Hohenlieds interessieren sich nicht für das Aussehen des Körpers an sich, sondern immer für die Dynamik. "Deine Augen sind Tauben" bedeutet "Deine Blicke sind Liebesbotschaften" (die Taube war das Begleittier der Liebesgöttinnen), es geht um die Wirkung des Auges, nicht sein Aussehen. Leas glanzlose Augen (Gen 29,17) sind nach israelitischem Schönheitsideal ein Defizit, während die Ausstrahlung Davids mit seinen schönen, funkelnden Augen in Verbindung gebracht wird (1Sam 16,12). Das Haar wieder ist Ausdruck von Ungezähmtheit und (sexueller) Vitalität, damals und heute übrigens nicht nur bei Männern (so etwas mißverständlich 48), auch bei Frauen (Hld 4,1; 6,5). In diesem Zusammenhang vermißt der Leser oder die Leserin die Beiziehung älterer und neuerer deutschsprachiger Literatur zur biblischen Anthropologie, zum Beispiel von Th. Bomann und H. W. Wolff, und zum Hohenlied vor allem der Arbeiten von O. Keel. Auch die Schlußfolgerung S. 51, daß nur bei Männern Schönheit und Öffentlichkeit zusammengehören, wäre nach Lektüre von Maria Häusls Arbeit "Abischag und Batseba" (1993) nicht mehr möglich gewesen, da gerade die schöne Abischag als sokenet bezeichnet wird, somit eine hohe Verwaltungsfunktion am Palast innehatte.

Es ist bedauerlich, daß dieses kleine Kompendium zum Thema "gender und Sexualität" nicht durch ein Bibelstellenregister erschlossen ist, womit ein dringendes Desiderat für eine allfällige weitere Auflage angemeldet sei.