Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2003

Spalte:

169 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Beatrice, Pierre Franco

Titel/Untertitel:

Anonymi monophysitae Theosophia. An Attempt at Reconstruction.

Verlag:

Leiden-Boston-Köln: Brill 2001. LXXII, 140 S. gr.8 = Supplements to Vigiliae Christianae, 56. Geb. ¬ 105,00. ISBN 90-04-11798-9.

Rezensent:

Friedhelm Winkelmann

Heinrich Dörrie hatte 1975 bemerkt, dass eine wissenschaftliche Auswertung der Theosophia noch nicht erfolgt sei (Kl. Pauly 5, 732). Mittlerweile hat Hartmut Erbse einen profunden Beitrag zur Aufarbeitung der philologischen Aspekte geleistet (Theosophorum Graecorum Fragmenta, Stuttgart/Leipzig 1995, BT), den der Vf. allerdings nicht für ausreichend hält (XVI. LVI). Er versucht vielmehr eine Rekonstruktion und Charakterisierung des Gesamtwerkes. Als Leitfaden dient ihm eine im Tübinger Cod. Mb 27 überlieferte knappe, nach dem Ende des 7. Jh.s verfasste Inhaltsangabe eines unbekannten Byzantiners (3 f.). Laut dessen Information bildete die Theosophia den Schlussteil eines Werkes von insgesamt 11 Büchern "Über den rechten Glauben". Die ersten 7 Bücher sind uns nicht erhalten. Die Theosophia gliedere sich in 4 Bücher: 1. Die Orakel der griechischen Götter, 2. die Theologien der griechischen und ägyptischen Weisen, 3. die Sibyllinischen Orakel, 4. Die sog. Orakel des Hystaspes. Beschlossen werde das Werk durch eine Chronik, die von Adam bis Kaiser Zenon (474/5.476-491) reiche.

Der Vf. versucht, dieses Schema mit Texten aufzufüllen, die uns überkommen sind (XVII-XIX, L-LVIII). Leider ist seine Argumentation sehr kurz gehalten und nicht immer ausreichend und befriedigend, wenn er auch oft auf eigene Aufsätze verweist, die diese Beweise vermeintlich führen. Für Buch 1 fußt er im Wesentlichen auf den im Tübinger Codex überlieferten Orakeln, die von Erbse kritisch ediert sind. Dem 2. Buch ordnet er Texte zu, die auch in der Edition Erbses enthalten sind, dem 3. Buch Fragmente aus den Sibyllinischen Orakeln, die von Erbse und P. J. Alexander herausgegeben wurden, dem 4. Buch ein kurzes, syrisch überliefertes Fragment (CSCO 69 und 432, 52 f.), das er in englischer Übersetzung vorlegt (siehe dazu XIX.LVII f.). Für die das Werk beendende Chronik vermutet er, sie könne hauptsächlich mit den sog. Excerpta Barbari identifiziert werden, die im Anfang noch mit einigen Abschnitten aus Hippolyts Synagoge aufzufüllen seien. Leider kann hier nicht näher auf die vielen mit diesem Rekonstruktionsversuch verbundenen Probleme eingegangen werden.

Es wird nicht deutlich, ob in der Edition (1-134) auf die Handschriften selbst zurückgegriffen wird oder nur die vorhandenen Textausgaben Grundlage sind. In der Texteinteilung weicht der Vf. sehr stark von Erbses vorzüglicher Edition ab (siehe die Begründung LIX), doch wird leider am Rande der Edition nicht auf dessen Einteilung und Seiten verwiesen. Die Abkürzungen patristischer Zeugen werden nicht genügend präzisiert, und die wichtigen Zitate aus der Chronik des Malalas basieren leider nicht auf der kritischen Edition Thurns (CFHB 35).

Auf diesem Text basiert der scharfsinnige, aber stellenweise zu komprimierte Versuch, Charakter, Ziel und Autor des Werkes zu bestimmen (XX-L). Der Vf. erweist sich dabei als sehr kundig in der Forschung zur spätantiken Geistesgeschichte. Ein Sach-, Stellen- und Namenregister zu diesen Seiten hätte dem Benutzer allerdings die Arbeit sehr erleichtert. Auf den apologetischen Charakter der Theosophia verwies schon der byzantinische Anonymus (3, 5-9). Der Vf. folgt dieser Spur (XX ff.) und hält die Theosophia für einen markanten Schluss- und Höhepunkt einer schon seit dem 2. Jh. zu beobachtenden Entwicklung, nämlich der Betonung einer grundsätzlichen Harmonie zwischen den besten Zeugnissen von heidnischer Religion und Philosophie und der christlichen Offenbarung. Neu sei auch die Abwertung der Argumente des Porphyrios durch die Übernahme von dessen Methode unter christlichem Vorzeichen durch den Autor der Theosophia (XXV-XXX). Abweichend von der herkömmlichen These eines manichäischen Charakters der Theosophia (siehe XXXIII) vertritt der Vf. einen monophysitischen Hintergrund (XXXIV ff.), doch sind seine Argumente nicht völlig überzeugend. Und die Annahme chiliastischer Orientierung des Autors kann nur überzeugen, wenn man sich den Rekonstruktionshypothesen des Vf.s anschließt (62 ff. 75ff.). Die Datierung in die Zeit des Anastasios (ab 491, siehe XL ff.) hat ihre Verankerung in dem Resümee des anonymen Byzantiners (3). Dagegen bleiben die Argumente für Severos von Antiochia als Autor (XLII ff.) im Bereich von Vermutungen (XLIX die notwendige Vorsicht geäußert).

Der Vf. bietet einen sehr kenntnisreichen und anregenden, aber auch so manchen Widerspruch hervorrufenden Beitrag zur Lösung eines Problems der spätantiken geistigen Auseinandersetzungen, das lange Zeit in der Forschung nicht die ihm gebührende Beachtung fand. Er wird hoffentlich Anstoß für weiterführende Studien sein.