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Ausgabe:

Februar/2003

Spalte:

161–164

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Liebenberg, Jacobus

Titel/Untertitel:

The Language of the Kingdom and Jesus. Parable, Aphorism, and Metaphor in the Sayings Material Common to the Synoptic Tradition and the Gospel of Thomas.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2001. XIV, 547 S. gr.8 = Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche, 102. Lw. ¬ 138,00. ISBN 3-11-016733-6.

Rezensent:

Jens Schröter

Die Studie geht zurück auf eine Dissertation, die unter Cilliers Breytenbach verfasst und 1998 von der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin angenommen wurde. Sie setzt sich zwei Ziele: Zum einen soll die hermeneutische Frage nach dem Verständnis der Gottesreichsgleichnisse und -aphorismen der Jesusüberlieferung bearbeitet werden, zum anderen diejenige nach deren historischer Auswertbarkeit für die Verkündigung Jesu. Der erste Teil, "Eschatology, Kingdom and the Teaching of Jesus (or: Parable, Aphorism and the Historical Jesus)" (1-47), nähert sich der Thematik forschungsgeschichtlich. L. setzt bei A. Jülicher und A. Schweitzer ein, die die Gleichnisse unmittelbar mit der Frage konfrontiert hatten, was sie über den historischen Jesus erkennen ließen. Diese von L. als "high view" bezeichnete Linie wird über J. Weiß, C. H. Dodd, J. Jeremias und G. Bornkamm bis in die neueste Jesusforschung hinein verfolgt. Dabei lässt sich erkennen, dass die Gleichnisse und Aphorismen durchgehend aus ihren literarischen Kontexten herausgelöst und einem jeweils vorausgesetzten Verständnis von der Gottesherrschaft in der Verkündigung Jesu zugeordnet wurden. War dies noch bei Weiß die Auffassung einer eschatologischen Ausrichtung der Verkündigung Jesu, so begann mit Dodd eine Forschungsrichtung, die die Gleichnisse unabhängig von ihren literarischen Kontexten verstehen wollte.

L. macht in diesem Zusammenhang eine folgenreiche Entdeckung: In dem Augenblick, als die Forschung die literarische Kontextualisierung der Gleichnisse und Aphorismen beiseite schob, ergab sich die Notwendigkeit der Zuweisung zu einem "setting in the life of Jesus", um sie überhaupt interpretieren zu können. Diese in den sieben Umformungsgesetzen von Jeremias sprechenden Ausdruck findende Richtung wird von L. als Spezialfall einer allegorisierenden Interpretation beurteilt: Die Konkretisierung der Einzelzüge von Gleichnissen mit Hilfe eines konstruierten historischen Rahmens stellte eine neue Form der Allegorisierung dar, die nunmehr als "reference to life setting" bezeichnet wurde (54). Die Gleichnisforschung sei diesem Zugang bis in neueste Ansätze hinein - L. bespricht insbesondere diejenigen von G. Vermes, E. P. Sanders, J. Becker und J. D. Crossan - verpflichtet: sie suche nach der einen, ursprünglichen Bedeutung der Gleichnisse und Aphorismen und entwerfe hierfür mit Hilfe der bekannten "Kriterien" der Jesusforschung unterschiedliche historische "Rahmen" des Wirkens Jesu. Der Entwurf von Crossan stellt für L. ein geradezu klassisches Beispiel dieses Vorgehens dar: Mit Hilfe einer strengen Methodik sowie unter Einbeziehung sozialer und anthropologischer Erkenntnisse wird versucht, die Vielfalt der Deutungsmöglichkeiten auf eine Option zu reduzieren, nämlich die Einordnung der Jesusüberlieferungen in die antike Mittelmeerwelt und die Darstellung Jesu als eines "mediterranean Jewish peasant".

Dieser Fixierung auf die eine Bedeutung der Gleichnisse und Aphorismen stellt L. die These entgegen, dass deren metaphorischer Charakter mehr als eine legitime Interpretation zuließe, was vor allem in der Jesusforschung regelmäßig übersehen werde. Diese Einsicht führe nicht zu einer Beliebigkeit der Deutungen, sondern stelle - gerade im Gegenteil - vor die Anfor-derung, ein Modell zu entwickeln, das den illegitimen und allegorischen Interpretationen der Forschung (die sich in den Evangelien nicht fänden!) ein Verständnis entgegensetze, das den metaphorischen Charakter der Gleichnisse und Aphorismen ernst nehme.

Der zweite Teil "Parable and Metaphor" (48-166) stellt eine methodische Grundlegung dar. L. fragt danach, wie das Wesen metaphorischer Rede zu erfassen und für die Gleichnisse fruchtbar zu machen sei. Zurückgewiesen werden sowohl Dodds von Jülicher übernommene Auffassung von dem einen Vergleichspunkt des Gleichnisses als auch H. Weders unzureichende Bestimmung der Metapher als Prädikation. Auch die Versuche von W. Harnisch, Crossan, und C. W. Hedrick werden als ungenügend beurteilt, um das Wesen der Gleichnisse zu bestimmen. Positiv aufgenommen werden dagegen Anstöße von R. W. Funk, H.-J. Klauck und E. Jüngel, die die Reduktion der Gleichnisse auf einen Vergleichspunkt kritisiert, die Bedeutung des Kontextes für die Interpretation herausgestellt und die metaphorische Struktur der Sprache betont hatten.

L. greift sodann den kognitiv-linguistischen Ansatz von G. Lakoff, M. Johnson und M. Turner auf. Dieser besagt zunächst, dass Wirklichkeit über das in bestimmten Konzepten strukturierte Denken erschlossen wird. Die Sprache sei deshalb von konventionellen Metaphern geprägt, die unsere Wirklichkeitswahrnehmung widerspiegeln. Von den metapherntheoretischen Ansätzen bei M. Black, P. Ricur und H. Weinrich unterscheidet sich dieser Zugang dadurch, dass er das Wesen der Metapher nicht in Abgrenzung von, sondern innerhalb der Umgangssprache entwirft. Sind Denken und Sprache durch Konzepte geprägt, so besteht das Wesen der Metapher darin, Bedeutung über mindestens zwei semantische Felder zu transportieren ("mapping"). Damit diese Übertragung funktioniert, müssen Quell- und Zielbereich durch eine gemeinsame "generic-level structure" miteinander verbunden sein. Auch im Neuen Testament ließen sich verschiedene Konzept- oder Basismetaphern identifizieren, so z. B. "Das Leben ist eine Reise", die es ermöglicht, von Johannes als Wegbereiter zu sprechen oder den Zugang zum Leben als engen Weg durch eine schmale Pforte zu beschreiben (119).

Die Gleichnisse und Aphorismen stellen einen besonderen Fall metaphorischen Sprachgebrauchs dar. Sie lassen sich als Metaphern auffassen, weil sie ein Konzept (normalerweise das Gottesreich) durch eine daneben gestellte Erzählung (generic-level structure) erläutern, die einem anderen Konzept folgt (154f.). Sie verknüpfen also zwei Bereiche miteinander, indem sie Eigenschaften des einen zur Erläuterung des anderen verwenden. L. führt dieses Modell in den Punkten 2.3-2.5 seiner Untersuchung (84-166) sowohl theoretisch als auch anhand mehrerer Illustrationen vor. Dabei wird deutlich, dass die Gleichnisse und Aphorismen auf Grund ihres metaphorischen Charakters für verschiedene Interpretationen offenstehen und keine unmittelbaren Rückschlüsse auf die Verkündigung Jesu erlauben. Sie sind keine Lehre, sondern "instruments to be used in teaching" (529). L. verabschiedet sich damit von der Suche nach der ursprünglichen Form und Bedeutung der Gleichnisse und Aphorismen zu Gunsten der Frage, wie die ihnen inhärente Mehrdeutigkeit so begrenzt werden kann, dass es zu einer plausiblen, nachvollziehbaren Auslegung kommt.

In den Teilen 3-5 wird dieser Ansatz exegetisch konkretisiert. Untersucht werden in den Teilen 3 und 4 zunächst diejenigen Gleichnisse, die sich bei Mt und im EvThom finden, sodann die Rezeption der Gleichnisse von Senfkorn, Sauerteig, Sämann sowie verlorenem Schaf in den synoptischen Evangelien, EvThom und in Q. Dabei geht L. jeweils von einer Untersuchung der Kontexte aus: Teil 3 behandelt zunächst Mt 13 als Kontext für die Gleichnisse vom Unkraut unter dem Weizen, dem Schatz im Acker sowie von Perle und Fischnetz, um sodann die jeweilige Kontextualisierung der Mt und dem EvThom gemeinsamen Gleichnisse zu untersuchen. Dabei werden die Gleichnisse jeweils narrativ analysiert und sodann im Blick auf ihren metaphorischen Charakter interpretiert. Dasselbe Verfahren wird in Teil 4 auf die dort analysierten Gleichnisse angewandt. L. fragt jeweils danach, welcher Metaphern sich die Gleichnisse bedienen und wie sie durch eine an der vorgestellten Metapherntheorie orientierte Auslegung plausibel zu interpretieren sind.

Teil 5 behandelt vier Aphorismen über das Gottesreich, die sich sowohl in der synoptischen Tradition als auch im EvThom finden. Vorab wird herausgestellt, dass Aphorismen ursprünglich aus bestimmten Situationen heraus erwachsen sind und dazu dienten, diese zu deuten bzw. zu kontrollieren. Die Existenz in Sammlungen sei demgegenüber sekundär - eine für die Beurteilung des EvThom durchaus wichtige Einsicht! Auch für die Aphorismen gelte deshalb, dass sie nicht ohne einen erzählerischen Kontext zu interpretieren seien. Da der ursprüngliche Verwendungszusammenhang der Aphorismen in der Wirksamkeit Jesu nicht wiederzugewinnen ist, bleibt man auf die sekundären Kontextualisierungen verwiesen, um ihnen Sinn abzugewinnen. Die frühesten derartigen Kontextualisierungen finden sich in den Erzählungen der synoptischen Evangelien, die die Deutungsmöglichkeiten der Aphorismen einschränken, was im EvThom gerade nicht geschehe. Dort bleibe die inhärente Polyvalenz durch die Form der rahmenlosen Aneinanderreihung vielmehr gerade erhalten.

Die vier untersuchten Aphorismen bringen unterschiedliche Aspekte des Gottesreiches zur Sprache. Dabei wird eine Vorstellung Jesu vom Gottesreich in Umrissen erkennbar: Es handelt sich um eine Größe, die man besitzen, um einen Raum, in den man hineingehen kann, um etwas, das im Anbruch begriffen ist. Historische Konkretionen ließen sich jedoch auch aus den Aphorismen nicht entnehmen.

Teil 6, "The Language of the Kingdom and Jesus" (495- 530), fasst die Ergebnisse der Einzeluntersuchungen zusammen. Anders als die Rezeptionen der synoptischen Evangelien biete das EvThom wenig Anhaltspunkte für Konkretisierungen der Gleichnisse und Aphorismen. Das Fehlen eines narrativen Kontextes sei vielmehr als Einladung an die Hörer aufzufassen, sie selbst mit einer Deutung zu versehen. Bei der hitzig geführten Debatte um Abhängigkeit oder Unabhängigkeit des EvThom von den synoptischen Evangelien trete die entscheidende Differenz der Verarbeitung der Gleichnisse und Aphorismen gar nicht in den Blick. Diese bestehe nämlich darin, dass sie einmal narrativ kontextualisiert, das andere Mal in ihrer Mehrdeutigkeit bewusst nicht eingeschränkt würden. Dabei sei das EvThom aufgrund seines literarischen Charakters als Spruchsammlung, die sich an der Grenze zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit bewegt, zu bestimmen (520 f. mit Bezug auf W. H. Kelber).

Die Gleichnisforschung wird nach dieser Untersuchung nicht mehr so einfach an dem "high view" auf die Gleichnisse festhalten und sie isoliert für Konstruktionen des historischen Jesus verwenden können. Die metapherntheoretische Grundlage des Werkes fordert vielmehr dazu heraus, die Gleichnisse und Aphorismen innerhalb der Kontexte, in die sie eingebettet sind, zu untersuchen, bevor man Vermutungen historischer Art aufstellt. In der Jesusforschung ordnet sich die hier vorgelegte Untersuchung neueren Entwicklungen ein, die erkannt haben, dass sich weder der Wortlaut noch die ursprünglichen Verwendungskontexte der vorsynoptischen Überlieferungen zurückgewinnen lassen. Dies lenkt den Blick auf die Evangelien als früheste erzählerische Verarbeitungen des Wirkens Jesu, die damit auch die ersten Anhaltspunkte für spätere historische Konstruktionen darstellen. An dieser Stelle lässt sich L.s Studie sowohl mit neueren Überlegungen zur Repräsentation der Vergangenheit in der deutenden Erzählung (Ricur) als auch mit denjenigen zum Verhältnis von vorsynoptischer Mündlichkeit und deren Verschriftlichung (Kelber, Dunn) verbinden. Für diejenige Richtung der Jesusforschung, die im Gefolge der Formgeschichte immer noch nach der ursprünglichen Bedeutung der aus ihren Kontexten isolierten Gleichnisse und Aphorismen sucht - und dabei neuerdings die Vorstellung eines weisheitlichen, uneschatologischen Jesus hervorgebracht hat -, bedeutet die hier vorgelegte Studie somit ein deutliches Korrektiv.