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Ausgabe:

September/1998

Spalte:

843–845

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Barton, John

Titel/Untertitel:

Reading the Old Testament: Method in Biblical Study.

Verlag:

2. Aufl. London: Darton, Longman and Todd 1996. 294 S. £ 15.95. ISBN 0-232-52201-4.

Rezensent:

Uwe F. W. Bauer

John Bartons Buch liegt jetzt in einer zweiten, erweiterten Auflage vor (11984). Wegen dieser Erweiterung und seiner generellen Bedeutung ist meines Erachtens eine erneute Kritik geboten (vgl. die Rez. v. James Barr, JTS 37, 1986, 462-465).

B. verfolgt eine dreifache Zielsetzung: nämlich 1. Studierende mit den gängigen Methoden alttestamentlicher Exegese und ihrer wechselseitigen Interrelation sowie der Diskussion über diese Methoden vertraut zu machen; 2. diese Methoden vor den Hintergrund der Literaturwissenschaft (B. spricht von "literary criticism" [3]) und der Linguistik zu stellen und 3. Argumente gegen die Überzeugung von der Existenz der einen einzig richtigen Methode zu liefern (1. und 2. = Thema, 3. = These).

Der Inhalt des Buches läßt sich relativ leicht an seiner Gliederung ablesen: Introduction, 1. ’Literary Competence’ and Genre-Recognition, 2. ’Literary’ Criticism, 3. Form Criticism, 4. Redaction Criticism, 5. An Example: Ecclesiastes (dieses biblische Buch dient als Beispiel, an dem zunächst die traditionellen Methoden und im weiteren Verlauf auch alle anderen Methoden durchgespielt werden), 6. The Canonical Approach (Childs), 7. Canon as Context (Kritik an Childs), 8. Structuralist Criticism (literarische Theorie), 9. Biblical Structuralism (praktische Anwendung), 10. The ’New Criticism’ (literarische Theorie), 11. ’The Text itself’ (Kritik des "New Criticism"), 12. The Text and the Reader (Kritik des "New Criticism"/Strukturalismus), 13. The Reader in the Text ("Rhetorical Criticism", biblische Poetik, Rezeptionsästhetik), 14. Theory and Textuality (Poststrukturalismus, Dekonstruktion, Postmoderne), Conclusion.

"Literary Competence", ein der strukturalistischen Literaturheorie entlehnter Begriff, spielt bei B. eine besondere Rolle; er definiert ihn als "the ability to recognize genre" (16) bzw. als "a very broad description of the goal of any criticism of literary texts" (238). Der Begriff fungiere 1. als der gemeinsame Nenner, der all die divergierenden Methoden alttestamentlicher Exegese miteinander verbinde, und meine 2. die Fähigkeit, zu der die diversen exegetischen Methoden den wissenschaftlichen Leser des AT anzuleiten versuchten. B. verwendet den Begriff Literary Competence im Sinne einer Meta-Kritik, denn ihm geht es nicht um "the meaning of texts, but about the style of various critics’ proposals about the meaning of texts" (238 f.).

Die Stärken des Buches sehe ich in folgendem:

1. B. bietet eine nahezu vollständige Darstellung der Methoden alttestamentlicher Exegese (nahezu vollständig deshalb, weil z. B. die psychoanalytische oder die feministische Kritik nicht angesprochen werden).

2. Es gelingt B., äußerst komplizierte Theorien und Sachverhalte kenntnisreich auf ihre elementaren Voraussetzungen und Implikationen zu reduzieren. Dieser Reduktion entspricht auch die verwendete, nicht zu einem "Fachchinesisch" degenerierte Sprache. B.s Buch eignet sich daher in besonderer Weise zur Einführung in die gesamte Problematik.

3. Geschickt wird die Lektüre des Buches auf zwei Ebenen ermöglicht. Der Text kann ohne die weiterführenden Bemerkungen und Verweise in den Fußnoten als eine Einführung in die gegenwärtigen Methoden alttestamentlicher Exegese einschließlich einiger theoretischer Fragestellungen gelesen werden; mit den Fußnoten wird der Text zu einem kritischen Essay über die Methoden alttestamentlicher Literaturkritik.

4. Im Zusammenhang mit seiner These, daß es die eine einzig richtige Methode alttestamentlicher Exegese nicht gibt, vermag B. argumentative Zirkelschlüsse der einzelnen methodischen Verfahren aufzuzeigen, z. B. in bezug auf die Redaktionskritik: Je eindrücklicher diese Methode die Arbeit eines Redaktors in einem bestimmten Text herausstelle, desto mehr ebne sie die Widersprüche ein, die überhaupt zu der Annahme geführt hätten, daß der Text von einem Redaktor (oder mehreren Redaktoren) aus unterschiedlichen Fragmenten zusammengefügt worden sei. Die Redaktionskritik tendiere damit letztlich zu ihrer eigenen Aufhebung. In Bartons eigenen Worten: "Thus, if redaction criticism plays its hand too confidently, we end up with a piece of writing so coherent that no division into sources is warranted any longer; and the sources and the redactor vanish together in a puff of smoke, leaving a single, freely composed narrative with, no doubt, a single author" (57).

5. Hinsichtlich seiner These könnte B.s Devise mit dem Slogan charakterisiert werden: "Bange machen gilt nicht". Mit anderen Worten: Biblische Exegeten sollten vermeiden, irritiert und mit fliegenden Fahnen zu jeder modischen literarischen Theorie überzulaufen. "Prüfet alles und behaltet das Beste!" - denn literarische Theorien sind keine heiligen Kühe! B. rät zu einer gewissen Gelassenheit, was etwas ganz anderes ist als Ablehnung jeglicher Innovation.

6. B. weist Analogien bzw. Dependenzen schon zwischen den älteren exegetischen Methoden und der Entwicklung innerhalb der allgemeinen Literaturkritik zu Beginn des Jh.s nach (von Literaturwissenschaft im eigentlichen Sinn kann man zu diesem Zeitpunkt noch nicht sprechen). Seit dem Aufkommen des Strukturalismus sind derartige Analogien bzw. Dependenzen ganz offensichtlich. Die traditionellen historisch-kritischen Verfahren z. B. seien alle insofern von der romantischen Literaturkritik bestimmt, als sie die Bedeutung eines Textes in der im weitesten Sinn biographischen Disposition seines Autors sehen: die Literarkritik frage nach dem individuellen Autor der jeweiligen Quelle, die Formkritik nach dem kollektiven Autor mündlicher Traditionen (Kult) und die Redaktionskritik nach dem Autor als geschicktem Kompilator unterschiedlicher Textfragmente. Der Canonical Approach, den B. insofern auch zu den älteren Methoden rechnet, weil Childs seine Abhängigkeit von der Entwicklung innerhalb der Literaturwissenschaft abstreitet, stehe faktisch ganz in der Tradition des New Criticism.

7. Last but not least: B.s Buch ist an der einen oder anderen Stelle erfreulich erfrischend.

Als Beispiel mag seine ironische Charakterisierung der Postmoderne dienen: "Postmodernist theory is much like postmodernist knitting. You begin to make a sock, but having turned the heel you continue with a neckband; then you add two (or three) arms of unequal length, and finish not casting off but simply by removing the needles, so that the whole garment slowly unravels. Provided you don’t want to wear a postmodern garment, nothing could be more entertaining. But when the knitter tells us that garments don’t really exist anyway, we should probably suspend our belief in postmodernist theory, and get back to our socks" (235).

Kritisch anzumerken wäre folgendes:

1. Die bereits 1984 erschienenen Abschnitte des Buches (1-12) wirken mitunter etwas antiquiert: a) Unter der Überschrift "Form Criticism and thePsalms: Historical Retrospective" zeichnet B. die Entwicklung der Psalmenforschung nach: Stichworte Wellhausen, Gunkel, Mowinckel; bei letzterem bricht die Übersicht ab. Hier wäre ein Hinweis auf Norbert Lohfinks und Erich Zengers "kanonische Psalmenauslegung" hilfreich, derzufolge der Psalter nicht länger von der kultischen Gattung der individuellen Psalmen her erschlossen werden kann, sondern von seiner bewußten Konzeption als fortlaufend zu lesendes Meditations- und Rezitationsbuch her. b) Childs’ Canonical Approach findet bei B. eine Beachtung, die seiner Bedeutung in der gegenwärtigen Diskussion nicht mehr ganz entspricht.

2. Zwar gelingt es B., Analogien bzw. Dependenzen zwischen bestimmten exegetischen Methoden und bestimmten Entwicklungen innerhalb der Literaturkritik bzw. -wissenschaft aufzuzeigen (s. o. 5), jedoch fragt er nicht nach der gesellschaftlichen Bedingtheit dieser jeweiligen Entwicklungen. Hier wäre von Terry Eagleton, Einführung in die Literaturheorie, 3. Aufl., Stuttgart, Weimar, 1994, zu lernen, der einen solchen Ansatz konsequent verfolgt, ohne daß seine vulgär-marxistischen Analysen gleich übernommen werden müßten.

3. B. hält sich in der Regel mit einer persönlichen Bewertung der jeweiligen Methode zurück, in bezug auf den Poststrukturalismus und die Dekonstruktion (als Phänomene der Postmoderne) macht er jedoch aus seinem Herzen keine Mördergrube: "As ’a theory’ ... claiming to explain or expose culture, art, meaning, and truth, I find postmodernism absurd, rather despicable in its delight in debunking all serious beliefs, decadent and corrupt in its indifference to questions of truth; I do not believe in it for a moment" (235) (s. auch oben 6. das ironische Gleichnis vom postmodernen Stricken). Hier wäre aus zwei Gründen mehr Zurückhaltung geboten: a) B. selbst spricht in der Einleitung von seiner begrenzten Kompetenz hinsichtlich des "literary criticism" (4 f.); die Linguistik und die Sprachphilosophie sind nicht ausdrücklich erwähnt. Diese begrenzte Kompetenz zeigt sich bei B.s Behandlung des Poststrukturalismus. Es fehlt z. B. eine Skizze der Theorie des sprachlichen Zeichens von Saussure und deren Kritik und Transformation durch Derrida. Die wenigen Andeutungen hinsichtlich dieser Thematik auf S. 220-222 reichen im Sinne einer Einführung (um die es B. ja geht) nicht aus; man muß schon beispielsweise Eagleton, Einführung, 110 ff., dazu lesen, um zu verstehen. Wer im Glashaus der begrenzten Kompetenz sitzt, sollte nicht mit den Steinen des vernichtenden Urteils werfen. b) Mit seiner harschen Kritik trifft B. nicht nur den Strukturalismus bzw. die Dekonstruktion, sondern auch die rabbinische Hermeneutik, die manche postmodernen Phänomene faktisch antizipiert. Wenn der Name Morija im Midrasch Bereschit Rabba z. B. auf mehr als 10 verschiedene Weisen gedeutet wird, zeigt nämlich bereits der Midrasch, wie sich ein Text durch seine Mehrdeutigkeit selbst dekonstruiert.

Trotz dieser kritischen Einwände ist Bartons Buch wichtig und lesenswert.