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Ausgabe:

Februar/2003

Spalte:

153–155

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Park, Joseph S.

Titel/Untertitel:

Conceptions of Afterlife in Jewish Inscriptions. With Special Reference to Pauline Literature.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2000. XII, 227 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, Reihe 2, 121. Kart. ¬ 49,00. ISBN 3-16-147373-6.

Rezensent:

Karl-Wilhelm Niebuhr

Die in Cambridge bei W. Horbury erarbeitete Dissertation widmet sich einem für das Neue Testament zentralen Thema, zu dem sie von einem Quellenbereich aus neue Aspekte beibringen will, der in der Exegese eher am Rande des Interesses steht. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die antiken jüdischen Grabinschriften, die durch die bekannten Sammelwerke von Lifshitz/Frey und Horbury/Noy sowie die Ausgrabungsbände der Nekropole von Bet Schearim gut erschlossen sind. Zentraler Gegenstand der Arbeit sind deren Aussagen zum Geschick der Verstorbenen nach ihrem Tod.

Die These des Vf.s, die auch den Aufbau seines Buches bestimmt, besteht darin, dass sich die in den Grabinschriften belegten vielfältigen Vorstellungen über das Geschick der Verstorbenen zwar nicht auf einen Nenner bringen, aber wenigstens nach bestimmten Grundtypen gruppieren lassen. Dabei unterscheidet er zwischen "'downward'" und "'upward' conceptions of afterlife" (15; Chapter 1: Introduction, 1-15). Zum ersten Typ gehören Vorstellungen vom dauerhaften Weiterexistieren der Toten im Grab bzw. in der Unterwelt (Chapter 2: Possible Indications of a Downward Conception of Afterlife, 16-46) sowie die stillschweigende oder ausdrückliche Ablehnung eines Lebens nach dem Tod (Chapter 3: Attitudes toward Death which May Imply a Denial of Afterlife, 47-86). Zum zweiten Typ rechnet der Vf. einmal allgemeine Wünsche oder Hoffnungsaussagen über ein positives Geschick der Verstorbenen (Chapter 5: General Indications of Belief in Real, Upward Afterlife, 122-149). sodann spezifische Anschauungen über ein Leben nach dem Tod wie die Unsterblichkeit der Seele, eine astrale Existenzweise der Verstorbenen sowie die Auferweckung der Toten (Chapter 6: More Specific Descriptions of Afterlife, 150-173). Eine Mittelstellung nehmen die oft formelhaften Friedenswünsche und die vielfältigen Aussagen zu einem friedlichen Todesschlaf der Verstorbenen ein, bei denen jeweils zu prüfen ist, ob sie eher dem 'downward' oder dem 'upward'-Modell einer Vorstellung vom Leben nach dem Tode entsprechen (Chapter 4: Peace, Sleep, and the Just, 87-121).

Die Darstellung in diesen Kapiteln zeichnet sich aus durch eine differenzierte Wahrnehmung der Intentionen und Aussagegehalte der einzelnen Textaussagen in den Inschriften. Besonders erhellend sind die sorgfältigen Abwägungen bezüglich des möglicherweise formelhaften, konventionellen oder eben doch bewusst reflektierten Charakters der Textaussagen, ein für die Interpretation epigraphischer Texte zentrales Problem. Immer wieder wird der jeweils vorauszusetzende (natürlich fiktionale) "Sprechakt" der inschriftlichen Texte genau zu bestimmen versucht: Wer redet zu wem an welchem Ort mit welcher Intention? Sorgfältig werden auch die in den Texten vorausgesetzten Zeitvorstellungen und -bezüge analysiert.

Seine Grenzen hat has Buch zunächst einmal dort, wo sie sein Verfasser selbst gesetzt hat. Der untersuchte Quellenbereich ist ganz auf die jüdischen Grabinschriften konzentriert. Bezüge zu sachlich verwandten Aussagen in frühjüdischen literarischen Quellen1 werden nur sporadisch hergestellt und nie durch eigene Interpretationen vertieft. Auch der dargestellte und kritisch untersuchte Problembereich ist begrenzt. Es geht im Wesentlichen allein um die in den Inschriften belegten Vorstellungen, gelegentlich noch um die mit dem Begräbnis und der Errichtung von Grabmälern verbundenen Vorgänge oder Bräuche, aber kaum einmal um die kulturellen und sozialen Gegebenheiten im Zusammenhang mit Tod, Begräbnis, Trauer und Wahrung des Gedächtnisses der Verstorbenen. Kultur- oder sozialwissenschaftliche Fragestellungen oder Methoden sucht man vergeblich. Auch frühjüdische anthropologische Konzeptionen,2 die in den inschriftlichen Zeugnissen erkennbar werden, werden nicht zusammenhängend dargestellt und diskutiert.

Der Wert der Untersuchung liegt also weniger bei der Erschließung neuen Quellenmaterials oder der Anwendung neuer Fragestellungen und Methoden bei ihrer Interpretation als vielmehr in der sorgfältigen, thematisch konzentrierten, detaillierten und differenzierten Interpretation der einschlägigen Aussagen in den jüdischen Grabinschriften. Als wichtigstes Ergebnis (Chapter 8: Conclusions, 202-204) kann herausgestellt werden, dass zu den durchaus vielschichtigen Vorstellungen und Erwartungen über eine nachtodliche Existenz im antiken Judentum in nicht geringem Maße auch solche gehörten, die wenig oder gar nichts von Hoffnungen auf ein "Leben nach dem Tod" im positiven Sinne erkennen lassen. Auffällig ist zudem, welch geringe Bedeutung Aussagen über ein eschatologisches Gericht oder sonstige Vorstellungen von Endzeitereignissen in den Inschriften haben. Überhaupt spielen soteriologische oder heilsgeschichtliche Themen kaum eine Rolle. Dagegen haben Trauer um den Verlust von Angehörigen, Schmerz angesichts eines unzeitigen Todes, ja, Verzweiflung, Resignation und Hoffnungslosigkeit ihm gegenüber ein erstaunlich großes Gewicht. Zu Recht betont der Vf. immer wieder, dass solche resignativen Töne nicht gegen die Auferstehungshoffnung ausgespielt werden dürfen, gleichwohl aber ihren festen Platz unter den Zukunftserwartungen in jüdischen Inschriften beanspruchen können.

Damit zeigt sich erneut an einem ausgewählten Vorstellungs- und Lebensbereich - und dies ist ein zweites wichtiges Ergebnis der Untersuchung - wie eng die jüdischen Gemeinschaften in der Antike in die kulturellen und sozialen Bezüge der hellenistisch-römischen Gesellschaft integriert waren. Zu allen oben genannten Typen von Vorstellungen über das Geschick der Verstorbenen lassen sich Analogien in nichtjüdischen (und nichtchristlichen) Inschriften beibringen. Oft sind es, wie der Vf. immer wieder durch ausgewählte Beispiele illustriert, sogar dieselben Wörter und Motive, Metaphern oder formelhaften Wendungen, die auf paganen wie auf jüdischen Grabinschriften begegnen. Und dies gilt keineswegs nur für die jüdische Diaspora, sondern lässt sich in der Regel am eindrücklichsten an den Grabinschriften aus Bet Schearim, einer galiläischen Nekropole aus dem 2. bis 4. Jh. n. Chr., belegen. Auch die Sprachen der Inschriften - Hebräisch bzw. Aramäisch, Griechisch und Latein - sind selbstverständlich nicht auf die Fundorte der Inschriften verteilt.

Am Wenigsten ergiebig scheint mir das abschließende Kapitel des Buches, der Vergleich mit paulinischen Aussagen zum Leben nach dem Tode, zu sein (Chapter 7: Afterlife in Jewish Inscriptions and Pauline Literature, 174-201). Das liegt zum einen daran, dass der Vf. in diesem Rahmen weder die paulinischen Argumentationszusammenhänge ausreichend darstellen noch eine tiefergehende Interpretation der einschlägigen Textaussagen vornehmen kann, vor allem aber wohl an der unterschiedlichen Gattung der hier miteinander verglichenen Texte. Der Vf. sieht das selbst, wenn er auf die Differenz zwischen brieflichen theologischen Argumentationen auf der einen Seite und epigraphischen Zeugnissen als Ausdruck religiöser bzw. kultureller Praxis auf der anderen hinweist.

Den Wert der Arbeit werden aber alle Erforscher und Ausleger des Neuen Testaments schöpfen können, die sich bei ihrer eigenen exegetischen Arbeit von Fall zu Fall aus ihr über mögliche und in den Inschriften belegte frühjüdische Anschauungen zum Leben nach dem Tod belehren lassen. Leider ist das Buch gerade mit Blick auf eine solche Nutzung ganz unzureichend ausgestattet. Ein absolut unverständlicher Mangel sind fehlende Wortregister in den Originalsprachen. Der knappe "Index of Subjects" hilft für die philologische Arbeit am Neuen Testament überhaupt nicht weiter. Das Stellenregister ist unvollständig und verweist zudem für weite Teile des Buches auf falsche Seitenzahlen.

Fussnoten:

1) Vgl. dazu zuletzt ausführlich A. J. Avery-Peck/J. Neusner [Hrsg.], Judaism in Late Antiquity. Part Four: Death, Life-After-Death, Resurrection and the World-to-Come in the Judaisms of Antiquity (HO I/49), Leiden 2000 (vgl. u. Sp. 157 f.).

2) Vgl. dazu jetzt z. B. T. Knittel, Das griechische Leben Adams und Evas. Studien zu einer narrativen Anthropologie im frühen Judentum (TSAJ 88), Tübingen 2002 (hier bes. Kap. 9: Tod und Auferstehung: die Zukunft des Menschen, 262-299).