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Ausgabe:

Februar/2003

Spalte:

151 f

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Lapin, Hayim

Titel/Untertitel:

Economy, Geography, and Provincial History in Later Roman Palestine.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2001. X, 227 S. m. zahlr. Tabellen, Abb. u. Ktn. gr.8 = Texts und Studies in Ancient Judaism, 85. Lw. ¬ 69,00. ISBN 3-16-147588-7.

Rezensent:

Jürgen Zangenberg

Hayim Lapin, Associate Professor für Geschichte und Judaistik der University of Maryland und Autor zahlreicher innovativer Beiträge zur Sozial- und Religionsgeschichte insbesondere des Judentums im spätantiken Palästina, verfolgt ein ehrgeiziges, aber nicht weniger notwendiges und erfolgversprechendes Ziel:

"The cultural and social historiography of later Roman Palestine must be rebuilt from the ground up. ... (A) primary starting point for any reconsideration of the history of Palestine is the question of where and how people lived on the ground, and how their living spaces (and) their inhabited landscapes were organized. Such a reconsideration requires a fundamental rethinking of household, local and regional economies, and, ultimately, of such primordial cultural and social ties as kinship, religion, or ethnicity that framed the moral economies of historical agents" (1).

Sein Buch versteht L. als Grundlegung eines solchen Programms. Zunächst rekonstruiert er dazu aus literarischen Quellen und archäologischen Daten die Verbindungen zwischen provinzialer Verwaltung, regionalen Märkten (den Knotenpunkten von sozialen, ökonomischen, ethnischen und religiösen Aktivitäten und Identitäten) und dem Leben der einfachen Bewohner Galiläas vor Ort ("Central Places in Theory and Practice", 15- 38). Grundlage dafür ist die kritische Weiterführung des in den 30er Jahren von W. Christaller und A. Lösch entworfenen Modells der "Zentralorte", das sich dezidiert mit dem Verhältnis von Marktort, Warentransport und Verwaltung befasst, um so Rückschlüsse auf die Interaktion zwischen Stadt und Land und Einblicke in Strukturen gesellschaftlicher Praxis und politischer Macht in einer gegebenen Region zu eröffnen. L. gelingt damit ein sehr anregender Zugang zur regionalen Kultur Galiläas, der landläufige, entlang traditioneller Oppositionen (wie etwa "archäologisch" versus "literarisch" oder "Jude" versus "Heide") operierende Modelle wirtschaftlicher und sozialer Interaktion zu Recht hinterfragt und durch eine an empirischen Daten orientierte Alternative ersetzt.

In Kap. 2 ("Landscape, Archaeology, and Settlement Pattern", 39-77) wertet L. Daten aus fünf galiläischen Regionen des Archaeological Survey of Israel und zweier Surveys im Golan aus. Bedeutsam ist vor allem L.s Hinweis auf die lokale Unterschiedlichkeit von Siedlungsmustern selbst im kleinräumigen Galiläa und die im Endeffekt stetige Zunahme von Siedlungen zwischen der hellenistischen und byzantinischen Zeit, die auch eine wachsende Vernetzung unterschiedlicher Siedlungen und einzelner Regionen untereinander mit sich brachte. Für L. deuten sich hier die Konturen eines "alternative model of regionalism in northern Palestine in late antiquity" an, das nicht auf Ethnizität, Religion oder "natürlichen" geomorphologischen Grenzen basiert, sondern als Integration zu verstehen sei, die durch Maßnahmen römischer Verwaltung wie Straßenbau (dazu bes. 82-94), aber auch durch längerfristige Verbindungen u. a. durch Handel zwischen Stadtbewohnern, insbesondere der Elite, gefördert worden ist.

Kap. 3 führt das in Kap. 1 diskutierte Modell hierarchischer Zentralorte und die Ergebnisse der Surveys in Kap. 2 zusammen ("Reconstructions of an Economic Landscape in Northern Palestine", 78-122). Kap. 4 ("Aspects of the Geography of Marketing in Palestinian Literature", 123-152) stellt das Pendant zu den eher archäologisch orientierten Kapiteln 2 und 3 dar und diskutiert vornehmlich literarische Quellen. Beide Kapitel bieten eine Fülle von Daten und weiterführenden Einsichten. Wenn L. - völlig zu Recht - betont, dass kein "immutable cultural divide" zwischen Stadt und Land existierte (138), dann eröffnet dies eine willkommene Möglichkeit, das kulturelle Gepräge Galiläas auch des 1. Jh. v./n. Chr. unter neuem Gesichtspunkt zu untersuchen.

Im abschließenden Kap. 5 ("Toward a Regional History of Northern Palestine in Late Antiquity", 153-194) erweitert L. die Perspektive und fragt danach, wie die Rekonstruktion der wirtschaftlichen Gegebenheiten dazu beitragen kann, "to frame an account of the history of later Roman Palestine" (154). Neben den politischen und administrativen Grundlagen kommen nun verstärkt kulturelle Faktoren und damit auch die Frage nach der Rolle von Religion innerhalb des Prozesses von Integration und Interaktion ins Blickfeld - vielleicht etwas spät. L. hätte bereits früher diskutieren können, welche praktischen Folgen etwa rabbinische Reinheitsvorstellungen für das konkrete Mit- und Nebeneinander unterschiedlicher Gruppen auf dem Kontaktfeld städtischer und ländlicher Märkte hatten. Dass L. zum Thema religiöser Schranken so spät Stellung bezieht, zeigt, wie wenig konkrete Gestaltungskraft er ihnen zutraut - eine Aussage, die angesichts der komplexen Darstellung des Buches ernst genommen zu werden verdient. Wie aber wirkte sich die offensichtliche Konkurrenz zwischen paganen, vor allem aber christlichen und jüdischen Bevölkerungsgruppen um Siedlungsräume auf die Rolle der "Zentralorte" aus, die ja nach L. auf Grund ihrer wirtschaftlichen Funktion als Märkte mehr verbinden als trennen?1 Reicht das Modell der Zentralorte aus, um die Komplexität Galiläas zutreffend in den Blick zu bekommen? Schieben sich nicht dynamisch-konfliktorientierte und eher statisch-integrative Faktoren ineinander, ohne sich gegenseitig auszuschließen? L. wäre freilich der Letzte, der die Notwendigkeit der Weiterarbeit bestreiten würde; seine Skepsis gegenüber der Tragweite von "Modellen" und "Quellen" ist wohltuend und bewahrt vor unkritischen Anachronismen. So kann man selbst dort, wo manches noch aufzuarbeiten bleibt, auf L.s anregendem und grundlegendem Buch mit Gewinn aufbauen.

Fussnoten:

1) Zur (sicher nicht nur religiös motivierten) Konkurrenz christlicher und jüdischer Bevölkerungsteile in Galiläa vgl. M. Aviam, Christian Galilee in the Byzantine Period, in: E. M. Meyers [ed.], Galilee through the Centuries. Confluence of Cultures, Winona Lake 1999 (Duke Judaic Studies 1), 281-300.