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Ausgabe:

Februar/2003

Spalte:

144–146

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Ritter-Müller, Petra

Titel/Untertitel:

Kennst du die Welt? - Gottes Antwort an Ijob. Eine sprachwissenschaftliche und exegetische Studie zur ersten Gottesrede Ijob 38 und 39.

Verlag:

Münster-Hamburg-London: LIT 2000. 312 S. gr.8 = Altes Testament und Moderne, 5. Kart. ¬ 35,90. ISBN 3-8258-4268-1.

Rezensent:

Jürgen van Oorschot

Abschließend redet Gott "aus dem Sturmwind" heraus und die Exegese müht sich ohne Ende um eben jene Kapitel, die als großes Finale die Hiobdichtung beschließen. Ob mit den Kapiteln 38-42 Abschließendes zum Hiobproblem gesagt wird, ist auch in den neueren Arbeiten zu den Gottesreden durchaus umstritten. In der umfangreichen Forschung zum Hiobbuch der letzten Jahrzehnte wurden unterschiedliche Zugänge zu den auch in ihrer gesamttheologischen Brisanz zunehmend erkannten Fragestellungen gesucht.

Neben Versuchen zu einer literarhistorischen Orientierung, die nach der Zuordnung einer oder zweier Reden Gottes zum Grundbestand der Dichtung fragt, steht die Suche nach religionsgeschichtlichen Kontexten (O. Keel) und eine traditionsgeschichtliche sowie theologische Debatte (L. Schwienhorst-Schönberger; H. Spieckermann). Die in leicht überarbeiteter Fassung vorliegende, 1997 an der Katholisch-Theologischen Fakultät zu Salzburg angenommene und von F. V. Reiterer betreute Dissertation ergänzt zu diesen Bemühungen einen weiteren Akzent. Mit großer Sorgfalt und Akribie konzentriert sich die Vfn. auf eine sprachwissenschaftlich fundierte, synchrone Analyse der Kap. 38 und 39, um folgende Leitfragen zu beantworten: "Welche sprachlichen Erscheinungsformen werden wie in der Gottesrede verwendet? Erweist sich die Plazierung der Gottesrede an dieser Stelle des Ijobbuches als sinnvoll und läßt sich ein theologischer Sinn eruieren?" (17).

Als Grundlage bestimmt die Vfn. den masoretischen, "um ca. 1000 n. Chr. schriftlich fixierten Text[...]" (37), der auf seine Ausdrucks- (Kap. 1; 37-97) und Inhaltsseite (Kap. 2; 99-262) hin befragt wird, wobei jeweils die Wort-, Satz- und Textebene gesondert analysiert wird. Methodisch greift die Untersuchung auf unterschiedliche literaturwissenschaftliche Ansätze (Richter; Utzschneider; Egger; Lyons; Bußmann; Greimas) zurück, die jeweils, die Darstellung begleitend, vorgestellt werden. Der Leser wird quer durch die beiden Hauptteile der Arbeit mit teilweise umfänglichen Auflistungen der Befunde versorgt, die den Hintergrund der Thesen durchsichtig machen sollen. Hier und da wünscht man sich eine Entlastung des Textes von derartigen Materialsammlungen, etwa indem die Listen in einen Anhang genommen oder summarisch angesprochen würden. Der beabsichtigte Charme der jetzigen Präsentation besteht darin, dass quasi ab ovo für den Textbereich Gestalt und Inhalt nachgezeichnet wird. Die Ergebnisse werden in kurzen Zusammenfassungen festgehalten und bestätigen teilweise ähnliche Beobachtungen in der Literatur. So entspricht der Fülle der angesprochenen Phänomene in Hi 38 eine große sprachliche und syntaktische Variationsbreite. Leitworte wie [dy sowie t[ und ra markieren das Erkenntnisinteresse und die Bereiche von Zeit und Raum, auf die es sich richtet. Charakteristisch ist weiterhin ein häufiger Wechsel zwischen der Gegenwart der Sprechsituation und der "Vergangenheit der Erdgründungszeit" (81) bzw. derjenigen der Lebenszeit Hiobs. Die Vfn. legt besonders darauf Wert, Textverflechtungen zwischen der Rede und der vorangehenden Dichtung aufzuweisen. Dieser Befund wird immer wieder zur Abwehr literarkritischer Ausscheidungen aus Hi 38 f. genutzt, auch wenn diese, auch nach Aussage der Vfn., in der Literatur eher selten und nur mit Blick auf wenige Verse vertreten werden.

Diese Linie wird auch in der inhaltlichen Untersuchung fortgeführt. Mit Hilfe einer "Komponentenanalyse" nach J. Hjelmslev und A. J. Greimas werden "Isotopien oder Sinnlinien" (261) erhoben, welche die Gottesrede als komplementäre Fortführung zu den vorangehenden Dialogen und als eine in sich kohärente Größe aufweisen wollen. Damit wird eine in der Literatur der Vergangenheit häufigere, heute noch gelegentlich für die zweite Gottesrede vorgebrachte Trennung von ursprünglichem Dialogteil und Gottesrede(n) erneut abgewiesen. Der inhaltliche Ertrag verbindet Banales mit Weiterführendem. So erscheint es auch schon nach bisherigem Vorgehen kaum überraschend, wenn Hiob "als die Hauptperson des Textes anzusehen" ist (136), was sich nun durch die häufigste Nennung seiner Person als einzelnes semantisches Subjekt untermauern lässt. Aufschlussreich ist hingegen, dass Phänomene der Welt in Hiobreden primär als Begleiterscheinungen Hiobs und seines Lebens auftauchen, während sie in der Gottesrede um ihrer selbst willen und in Beschreibung eines eigenen, selbständigen Daseins zu finden sind. "Die Phänomene der Welt werden unabhängig von ihrer Wertung als gut oder böse und unabhängig von ihrer Nützlichkeit ... in bezug auf den Menschen ... vor Augen geführt." (262)

Mit "Pragmatische[n] Notizen zu Ironie und rhetorischen Sprachelementen" (Teil 3, 263-277) beschließt die Vfn. ihre Untersuchung. Sie geht damit auf ein in der deutschsprachigen Literatur immer wieder einmal am Rande berührtes, in angelsächsischen Untersuchungen breiter durchgeführtes Thema ein. Mit Bußmann (Ironie als "Verstellung im Reden" - 264) und Lapp (Ironie als "Simulation der Unaufrichtigkeit" - 265) bemüht sie sich um eine sprachwissenschaftliche Grundlegung zur Diskussion um Ironie in den Gottesreden. "Die Ironie zeigt, daß Gott Ijob wegen seiner falschen Weltbetrachtung tadelt, indem er Ijobs Erkenntnisfähigkeit bestreitet und ihm gleichzeitig beschreibend die Welt in ihrer Vielfältigkeit, Geordnet- und Rätselhaftigkeit vor Augen führt." (276) "Die Ironie zeigt sich als künstlerisches Mittel, welches die Hinwendung Gottes zu Ijob aufrechterhält und ihm eindringlich seine falsche Weltauffassung zeigt." (277)

Abschließend markiert die Vfn. ihr Gesamtverständnis der ersten Rede Gottes. In Kenntnis der vorangehenden Dialoge beende Gott sein Schweigen und trete "mit Worten mit konkreten Inhalten" (279) dem ebenfalls verbal und inhaltlich agierenden Hiob entgegen. Die Gottesrede lasse sich demnach nicht auf den Begegnungsaspekt verengen. Thematisch werde die Welterkenntnis verhandelt, welche die Gottesrede erneut von der Selbsterkenntnis Hiobs als eines Leidenden löst und damit eine anthropozentrische Verengung überwindet. Diese neue Sicht auf die Welt soll auch Hiob zu einer neuen Sicht auf sich selbst helfen. In Anspielung auf Gen 2-3 kann die Vfn. formulieren: "dadurch, daß Gott Ijobs Sichtweise zurechtrückt, kann Ijob wieder paradiesisch leben." (283) Dass die Vfn. damit schon der ersten Gottesrede eine konstruktive Bedeutung im Ganzen des Buches zuweist, dürfte deutlich sein. Spätestens an dieser Stelle hätte der Leser sich noch einen Seitenblick auf die Fortsetzung der beiden Kapitel in Gottes zweiter Rede, in den Antworten des Hiob sowie dem abschließenden Prosarahmen gewünscht. Wie überhaupt der Vfn. ihr breiteres theologisches und philosophisches Interesse abzuspüren ist, ohne dass es in der Anlage der Arbeit wirklich zum Zuge kommen kann. So beschließt ein kurzer Anhang nebst Literaturverzeichnis und Bibelstellen- sowie Personenregister diese kleinräumige und materialreiche Studie zu einem exegetisch wie theologisch anspruchsvollen Kapitel des Hiobbuches, über das - auch im Sinn der Gottesrede selbst - Abschließendes nicht gesagt werden kann.