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Ausgabe:

Februar/2003

Spalte:

140–141

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Andersen, Francis I.

Titel/Untertitel:

Habakkuk. A New Translation with Introduction and Commentary.

Verlag:

New York-London-Toronto-Sydney-Auckland: Doubleday 2001. XII, 387 S. m. zahlr. Tab. gr.8 = The Anchor Bible, 25. Lw. US$ 45,00. ISBN 0-385-08396-3.

Rezensent:

Heinz-Dieter Neef

Entsprechend dem Ziel der Reihe "Anchor Bible" versteht sich dieser Kommentar zum Habakuk-Buch sowohl dem wissenschaftlichen Leser als auch dem interessierten Laien verpflichtet. F. I. Andersen deutet das Habakukbuch als Buch und als "an artistic creation" (XIII). Bei der Auslegung sind für ihn drei Kontexte des Buches leitend: der philologische, historische und kulturelle Kontext. Das Habakukbuch ist nach A. "an intensely personal testament" (11). Es verdanke seine Entstehung dem Ringen eines Einzelnen mit Gott. Gott und Welt seien scheinbar unversöhnliche Pole. Das Buch dokumentiere das Ringen Habakuks zwischen den beiden Polen Gott und Welt.

Der Vf. unterteilt das Buch in zwei Abschnitte: 1,1-2,20: öffentliche Verkündigung; 3,1-19: Gebet. Der erste Teil wird von ihm folgendermaßen untergliedert: 1,1-2,6a: Dialog zwischen Habakuk und Gott; 2,6b-20: Weherufe mit Refrain.

Formgeschichtlich warnt der Vf. vor der Festlegung des Buches auf eine einzige Gattung. "Habakkuk's prayers were individual, but, since he was a prophet, they were not private." (20) Er möchte den Propheten deshalb auch nicht in irgendeiner Weise als Kultprophet, königlichen Gesandten oder Hofpriester festlegen. Die Argumente für die Festlegung in eine dieser Richtungen seien sehr schwach. Mit der Fixierung auf eine einzige Funktion werde der Prophet zudem zu sehr eingeschränkt und reduziert. Der Vf. plädiert deshalb für einen offenen Zugang zum Buch. Methodisch heißt dies für ihn, dass alle relevanten Elemente zu beachten seien: Komposition, Redaktion, Inhalt, Botschaft des Propheten.

Die Deutung des Namens "Habakuk" lässt der Vf. offen, da sie nicht lösbar sei. "It is surprising, at least to us, that no further personal details are given about Habakkuk." (91) Er datiert das Buch auf Grund von 1,6 in die neubabylonische Periode, d. h. in die Zeit zwischen 605 und 575 v. Chr.

Der Hauptteil des Buches ist der Auslegung der drei Kapitel gewidmet (87-355). Hier verfährt der Vf. immer in gleicher Weise. Er bietet eine Übersetzung des Abschnittes mitsamt einer Skizze zu dessen Aufbau. Es folgt eine "Introduction" in den Text, daran schließt sich eine Wort-für-Wort-Exegese an, die gelegentlich durch Exkurse unterbrochen wird. Abschließend folgt der Abschnitt "Comment", der die Einzelergebnisse zusammenfasst.

Habakuks erstes Gebet in 1,2-4 (97-134) deutet der Vf. als "the passionate prayer of a desperate man. From the form-critical point of view, it combines features of accusation and complaint." (123) Er stellt Habakuks Erfahrungen denen von Hiob und Jeremia an die Seite. Hier wie dort gehe es um den leidenden Gerechten. Sehr detailliert vergleicht er Jahwes erste Antwort 1,5-11 mit Habakuks erstem Gebet, wobei er zu der Erkenntnis kommt, dass 1,5-11 keineswegs eine direkte Antwort auf 1,2-4 sei. Bezüglich der textkritisch umstrittenen Stelle 1,6 verteidigt der Vf. mit insgesamt neun Argumenten die Lesart "die Chaldäer". Er datiert den Abschnitt in die Zeit um 605 v. Chr., also noch vor der Zerstörung Jerusalems. Im Duktus der Auslegung der folgenden Abschnitte 1,12-17 (Habakuks zweites Gebet), 2,1 (Habakuks Antwort) und Jahwes zweite Antwort (2,2-5) kommt der Vf. immer wieder auf 1,2-4 vergleichend zurück. Sehr ausführlich geht er dabei auf den wirkungsgeschichtlich so bedeutsamen Abschnitt 2,4b ein, den er in folgender Weise übersetzt: "[The] righteous [person] [is] [the one who ...] lives by means of the reliability of the oracular vision." (215) Der Vf. will den Abschnitt 1,2-2,6a als "the report of verbal exchanges (they can hardly be called dialogue) between the prophet and Jahweh, Habakkuk's prayers answered with oracular messages" (224) verstehen.

Die Weherufe in 2,6-20 (225-258) unterteilt er folgendermaßen: 2,6a; 2,6b-8; 2,9-11; 2,12-14; 2,15-17; 2,18-19. Ebenso wie im ersten Abschnitt werden diese Textpassagen nach dem bekannten Schema von 1,2-2,6a von ihm ausführlich diskutiert, wobei er ein besonderes Schwergewicht auf formgeschichtliche Beobachtungen legt.

Bezüglich des Habakukpsalms 3,1-19 verteidigt der Vf. engagiert die ursprüngliche Zugehörigkeit zum Buch. "A priori arguments that a psalm is out of place in a prophecy, or in a history for that matter, have no weight whatsoever. Much hymnic material is found in the Hebrew Bible outside the Psalter." (259) Er verweist in diesem Zusammenhang u. a. auf Jona 2. Das Fehlen von Hab 3 in 1QpHab sei kein Argument dafür, den Psalm Habakuk selbst abzusprechen. Er vergleicht Hab 3 mit Hab 1 f. und erkennt in allen drei Kapiteln ein ähnliches Vokabular. "... there are literary structures spanning the whole book." (259) Von daher könne der Psalm keineswegs erst in nachexilischer Zeit in das Habakukbuch eingefügt worden sein.

Der Vf. deutet den Psalm als eines der ältesten Stücke des Alten Testaments. "Very ancient indeed, perhaps it is one of the oldest in the entire Hebrew Bible." (260) Auf Grund der Nähe von Hab 3 zu Dtn 33; Ri 5; Ps 68; 77 sei eine vorstaatliche Entstehung durchaus möglich. "...this poem was composed in the premonarchic era a recitation of the victory of the divine warrior over cosmic and earthly enemies." (260) Die These, dass Hab 3 auf einen nichtisraelitischen Mythos zurückgehe, lehnt der Vf. allerdings ab. Der Psalm lasse durchaus eine eigene israelitische Identität erkennen. Der Vf. schließt jedoch nicht aus, dass dieser vorstaatliche Psalm von Habakuk bei der Aufnahme in seine Verkündigung verändert worden sei.

Der Vf. hat einen überaus anregenden und materialreichen Kommentar vorgelegt. Allein das Literaturverzeichnis listet 69 wissenschaftliche Kommentare sowie ca. 830 Spezialuntersuchungen zum Habakukbuch auf. Er versucht immer wieder, Verbindungslinien zu anderen Teilen des Alten Testaments, aber auch nach Qumran zu ziehen. Auch der außerisraelitische Vergleich sowie die Bezüge zur Septuaginta kommen keineswegs zu kurz. Sehr nützlich sind auch die z. T. sehr ausführlichen Exkurse zu Einzelfragen: vgl. etwa den Exkurs zum Geschlecht des Nomens ruach (160-165). Das Engagement des Autors und seine Liebe zu seinem Gegenstand zeigen auch die vielen nützlichen Abschnitte zur genauen Übersetzung eines einzelnen Wortes oder Satzes. Dem Vf. gelingt es sehr gut, das theologische Profil Habakuks herauszuarbeiten und sein Ringen um Gottes Beistand zu beschreiben.

M. E. bleibt allerdings im vorliegenden Kommentar die Frage nach der Redaktion des Buches unbeantwortet. Die in der aktuellen Prophetenforschung so engagiert diskutierte Frage nach dem Weg vom "Prophetenwort zum Prophetenbuch" wird hier zu einfach beantwortet. Der Vf. geht sehr selbstverständlich von Habakuk als dem Autor des ganzen Habakukbuches aus. Sehe ich recht, so ordnet der Vf. alle Verse Habakuk zu. Er steht damit im Gegensatz zu vielen neueren Auslegungen des Habakukbuches. Es ist ja nicht zu leugnen, dass sich im Buch unterschiedliche Textpassagen finden: prophetische Aussagen (u. a. 1,1.5-11); Hymnen (u. a. 3,1.3-7); Psalmgebet (u. a. 1,2-4). Die Habakukforschung hat dies zum Ausgangspunkt für unterschiedliche Lösungsmodelle genommen, um die Frage nach der Entstehung des Buches zu klären. Es lässt sich bezüglich der psalmartigen Teile nicht leugnen, dass sie in Sprache und Stil den nachexilischen Psalmengattungen nahestehen. Prophetie und Psalmen durchdringen sich im Habakukbuch, was den Reiz, aber auch die Schwierigkeit des Buches ausmacht.

Wie verhält sich beides zueinander? Ist es nicht auch denkbar, dass die psalmistischen Teile später dem Buch hinzugefügt wurden? In neueren deutschsprachigen Kommentaren zum Habakukbuch wird erwogen, ob nicht das Buch in einem Zeitraum von zwei bis drei Jahrhunderten gewachsen ist. Die Diskussion mit diesen Forschungspositionen wird im vorliegenden Kommentar nicht geführt.

Trotz dieser Anfrage hat der Vf. einen überaus nützlichen und mit Gewinn zu lesenden Kommentar zum Habakukbuch verfasst. Dieser Kommentar wird das Verständnis des Propheten Habakuk fördern. Dafür ist dem Autor aufrichtig zu danken.