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Ausgabe:

Januar/2003

Spalte:

113 f

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Rigl, Thomas

Titel/Untertitel:

Die Gnade wirken lassen. Methodistische Soteriologie im ökumenischen Dialog.

Verlag:

Paderborn: Bonifatius 2001. 194 S. gr.8 = Konfessionskundliche und kontroverstheologische Studien, 73. Lw. ¬ 29,90. ISBN 3-89710-174-2.

Rezensent:

Gunther Wenz

Wegen ihres methodistisch geordneten Frömmigkeitslebens wurden die Mitglieder jenes "Heiligen Clubs" im englischen Oxford, denen die Gebrüder John (1703-1791) und Charles (1707- 1788) Wesley als Studenten angehörten, von spöttischen Zeitgenossen gerne Methodisten genannt. Anfangs kein eigenständiges Kirchentum, sondern eine Erweckungsbewegung innerhalb bestehender Denominationen, stellt der Methodismus heute eine der bedeutendsten protestantischen Kirchenfamilien der Weltchristenheit dar. Seine stärkste Verbreitung hat er in den Vereinigten Staaten von Amerika gefunden; aber auch auf dem übrigen amerikanischen Kontinent sowie in Asien, Afrika, Europa und Australien gehören ihm Millionen an.

Die im Wintersemester 2000/2001 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Regensburg angenommene, neben Wolfgang Beinert u. a. durch Geoffrey Wainwright begutachtete Dissertation von R. thematisiert den methodistischen Ökumenismus in der Perspektive der Soteriologie. Nach einleitenden Bemerkungen zu Biographie und Werkgeschichte John Wesleys sowie zum ökumenischen Geist des Methodismus und seines Gründervaters werden wesentliche Aspekte von dessen Heilsbegriff und Grundzüge des wesleyanischen ordo salutis entwickelt. Es gilt die an Hebr 12,14 gemahnende Devise: "Without holiness no man shall see the Lord." "Die Verbreitung schriftgemäßer Heiligkeit unter den Menschen hielt Wesley für die große Aufgabe, die Gott den Methodisten übertragen hat. Ihr widmete er permanent seine ganze Kraft. Der reformatorische Durchbruch des Jahres 1738 brachte da nur eine kurzzeitige Akzentverschiebung zu Gunsten der Rechtfertigung allein aus Glauben, um dann der Heiligung erneut das Feld zu überlassen. Was blieb, war das sola fide als Basis nicht nur der Heiligungslehre, sondern der gesamten Soteriologie." (78)

Wie sich der nach Wesley unmittelbar heilsnotwendige Rechtfertigungsglaube präzise zu den Werken der Heiligung verhält, die mittelbar für das endgültige Heil nötig seien, wird in Bezug auf die Gnadenlehre, näherhin auf den differenzierten Zusammenhang von göttlicher Gnade und menschlicher Mitwirkung analysiert mit dem konfessionstypologischen Ergebnis, die wesleyanische Soteriologie könne als eine Spielart der anglikanischen "via media" gelten. Dass die Anhänger Wesleys sich bald nach dessen Tod endgültig von der Mutterkirche trennten bzw. aus ihr hinausgedrängt wurden, sei im Wesentlichen praktisch und aus Gründen der Kirchenordnung veranlasst gewesen. "Theologisch gesehen hätte dazu sicher keine Notwendigkeit bestanden. Die wesleyanische Soteriologie lag durchaus im Rahmen dessen, was im damaligen Anglikanismus üblich und möglich war." (89)

Auf der Basis dieses theologiegeschichtlichen Resultats untersucht R. die Rezeption der wesleyanischen Soteriologie im Methodismus der Gegenwart. In Betracht kommen insbesondere solche methodistischen Autoren, die Wesley nicht nur als historischen Gründer ihrer Kirche würdigen, sondern ihn als deren theologischen Mentor wiederzuentdecken suchen. Die United Methodist Church der USA ist in der Autorenauswahl durch Albert C. Outler, William R. Cannon und Thomas A. Langford vertreten, Lateinamerika, wohin der Methodismus erstmals zu Beginn des 19. Jh.s durch britische Einwanderer gelangte, durch José Míguez Bonino, Großbritannien durch E. Gordon Rupp, Rupert E. Davies und Geoffrey Wainwright, Deutschland schließlich durch Bischof Walter Klaiber und den Direktor des Reutlinger Theologischen Seminars der Evangelisch-Methodistischen Kirche, Manfred Marquardt. Hervorgehoben wird, "dass fast alle Theologen den Begriff Synergismus verwenden, um Wesleys Überzeugung zu beschreiben, that no man can be saved without his own endeavours. Nicht die Verdienstlichkeit menschlichen Handelns ist damit behauptet, sondern die Tatsache, daß das Geschenk des Glaubens in einem Akt freier Zustimmung empfangen und durch ein Leben in der Liebe bewahrt werden will." (131)

Ob und inwiefern die wesleyanische Soteriologie gelebter Gnade, derzufolge es darauf ankommt - um den programmatischen Buchtitel von R. zu zitieren -, die Gnade wirken zu lassen, in den ökumenischen Gesprächen der vergangenen drei Jahrzehnte ihren Niederschlag gefunden hat, wird abschließend im Hinblick auf das innerprotestantische Gespräch, nämlich hinsichtlich des anglikanisch-methodistischen, methodistisch-reformierten und lutherisch-methodistischen Dialogs, sowie im Hinblick auf das methodistische Gespräch mit der römisch-katholischen Kirche thematisiert. Als Gesamtbilanz ergibt sich: "Die strittigen Punkte im Dialog mit den klassischen reformatorischen Kirchen kreisen um die Frage nach dem Maß menschlicher Heilsvermittlung, d. h. nach dem Anteil der Taten des Einzelnen an seiner Erlösung. Im Dialog mit den Katholiken indes ist die Frage nach der Rolle der Kirche am Heil ihrer Glieder und damit nach dem Maß ekklesialer Heilsvermittlung am stärksten problembehaftet, obwohl die Berichte - vielleicht gerade deshalb - kaum darauf zu sprechen kommen. Die Mitwirkung des Menschen mit Gott im Geheimnis der Erlösung (Denver-Bericht, Nr. 55) halten die Methodisten in Kontinuität zu Wesley für selbstverständlich und notwendig. Rechtfertigung, Wiedergeburt und Heiligung ... geben ihnen daher keinen Anlaß zu theologischen Auseinandersetzungen mit der katholischen Seite. Nicht zur Debatte steht auch die Tatsache, daß die Kirche effektives Zeichen und Werkzeug des Heils ist, doch bleibt offen, wie man sich die kirchliche Heilsinstrumentalität konkret vorzustellen hat. Gemeinsamer Nenner und unaufgebbare Grundlage der von den Methodisten geführten Dialoge ist das sola gratia der Erlösung. Gott ist Ursprung und Quelle allen Heils. Seine Gnade geht dem Menschen stets voran und begleitet ihn, so daß selbst dort, wo menschliches Handeln für Methodisten wie Katholiken Heilsbedeutung erlangt, Gott die Initiative behält." (182)

In einem kurzen Ausblick kommt R. noch einmal auf die soteriologische Mittelstellung des Methodismus und auf die Frage zu sprechen, wie dieser seine theologische Brückenfunktion ökumenisch fruchtbarer machen könne, als bislang geschehen. Die Antwort zielt in Richtung eines nicht lediglich bilateral, sondern multilateral anzustrebenden differenzierten Konsenses, in welchem soteriologische Gegensätze zwischen römischem Katholizismus einerseits und klassischem Protestantismus andererseits im Sinne der anglikanisch geprägten methodistischen Heilslehre Wesleys zu mediatisieren seien. "Etwas vereinfacht gesagt bedeutet das: Gemeinsam ist den drei Traditionen der Glaube an das sola gratia der Erlösung. Während Luther und Calvin das Heil jedoch ausschließlich in der Gnade Gottes gründen, rechnet die römisch-katholische Tradition mit der cooperatio von Mensch und Kirche. Wesley hingegen läßt nur die cooperatio des menschlichen Individuums zu und befindet sich damit genau zwischen diesen beiden Polen." (186) Ob damit ein ökumenisches Konsensprogramm mit hinreichenden Differenzierungspotentialen und realistischen Durchführungschancen in den Blick genommen ist, muss dem Urteil des Lesers überlassen bleiben.