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Ausgabe:

Januar/2003

Spalte:

109–112

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Rieske-Braun, Uwe [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Konsensdruck ohne Perspektiven? Der ökumenische Weg nach "Dominus Iesus".

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2001. 142 S. 8. Kart. ¬ 13,80. ISBN 3-374-01926-9.

Rezensent:

Martin Ohst

In den vielstimmigen Jubel über die Unterzeichnung der GOF zur GER am 31. Oktober 1999 in Augsburg hinein erscholl am 6.8.2000 aus der vatikanischen Glaubenskongregation ein dissonanter Ton: Das Papier "Dominus Iesus", versehen mit unmissverständlicher, noch mehrfach bekräftigter Billigung des Papstes. Die schrille Kakophonie durchdrang auch das Klappern der Formelkompromisse und Kompromissformeln, das monotone Arbeitsgeräusch der Gremien des weithin selbstreferentiellen Konsensökumene-Betriebs. Es kam zu einer noch immer fortgehenden Reihe von längst überfälligen Diskursen über die Methoden, Zielvorstellungen und Erfolgsaussichten ökumenischer Verständigungsarbeit. In diesen Kontext gehört auch der vorliegende Band. Er dokumentiert die Referate, die auf einer von der Luthergesellschaft und der Bischöflichen Akademie des Bistums Aachen veranstalteten Tagung vom 11.-13. Mai 2001 gehalten wurden.

Das weitverbreitete ratlose Schwanken zwischen Desillusionierung und trotzigem Willen zum Weitermachen dokumentiert exemplarisch der Herausgeber in seiner Einleitung. Einerseits gibt er zu bedenken, "die oft bemühte Formel von der versöhnten Verschiedenheit" verdecke "lediglich die Divergenz von Positionen, die entweder das Modell einer guten Nachbarschaft favorisieren oder aber substantielle Fortschritte und eine weitergehende Annäherung der Konfessionen fordern"; anderseits hält er dann doch unverdrossen "die versöhnte Verschiedenheit als Ziel" fest und hält nach Kräften den Konsensdruck konstant: "Die ökumenische Annäherung ist nicht in unser Belieben gestellt, sondern entspricht unmißverständlich dem biblischen Auftrag" (10) - als Beleg folgt allerdings nicht, wie man befürchten könnte, ein weiteres Glied in der Kette der stereotypen Missbräuche von Joh 17,21, sondern 1Kor 1,9.

Die Einzelbeiträge reflektieren je auf ihre Weise die in der Situation liegenden Fragen. Drei plädieren dafür, den bisherigen Kurs unbeirrbar weiter zu verfolgen. P. Neuner ("Perspektiven für das Gespräch der Konfessionen. Der Dialog mit den evangelischen Kirchen aus römisch-katholischer Sicht", 55-74) will "Dominus Iesus" geradezu als produktiven Anschub für weitere Verständigungsbemühungen, als willkommene Steigerung des Konsensdrucks deuten: "Die Betonung der Einheit und Einzigkeit der Kirche, die das Dokument vorträgt, macht damit die ökumenische Verpflichtung neu bewußt. Es wird offenkundig, dass wir uns mit dem Status quo ... nicht zufriedengeben und an ihn gewöhnen dürfen" (56). Damit befindet er sich ganz im Einklang mit den Grundsätzen römisch-katholischen Ökumenismus, zu dessen innersten Triebkräften ja das Leiden daran gehört, dass der eigene Anspruch auf Katholizität durch die schiere Existenz von anderen Kirchentümern konterkariert wird (vgl. UR 4). Und Neuners eigenes Vorgehen ist denn auch exakt entsprechend gestaltet: Gemäß der Maxime, dass "der katholische Glaube tiefer und richtiger ausgedrückt werden muß auf eine Weise und in einer Sprache, die auch von den getrennten Brüdern wirklich verstanden werden kann" (UR 11), entfaltet er in historischer Perspektive die katholische Lehre vom kirchlichen Amt. Damit verfolgt er eine doppelte Zielsetzung: Einmal soll der evangelischen Seite in unermüdlicher Überzeugungsarbeit klar werden, dass hier die eigentlich vollständige Lehrform vorliegt, in der, recht verstanden, ihre eigenen Anliegen immer schon vollgültig aufgehoben sind. Zum andern soll den Leitungsinstanzen der katholischen Seite verdeutlicht werden, dass der defectus ordinis in den evangelischen Kirchen so gravierend doch gar nicht ist. Symptomatisch ist, dass die katholische Position von Anfang bis zum Ende als gültiger Maßstab vorausgesetzt und entfaltet wird, während protestantische Institutionen und Theorieansätze lediglich als Objekte der Beurteilung in Betracht kommen.

Der Aufsatz von G. Wenz ("Communio Ecclesiarum. Die theologische Relevanz der ökumenischen Verständigung: Bestimmung und Beleuchtung einer protestantischen Zielperspektive", 75-89) repräsentiert ebenso idealtypisch die evangelische Spielart des Konsensökumenismus. Er ordnet "Dominus Iesus" als eine mögliche Deutung der einschlägigen Vorgaben des II.Vatikanum neben anderen ein und plädiert für die Fortsetzung des Dialogs - in der Hoffnung auf eine weniger restriktive Interpretation dieser Vorgaben. Inhaltlich setzt Wenz nicht einfach, spiegelbildlich zum Vorgehen Neuners, evangelische Ansätze absolut, sondern versucht einen Schritt über die Gegensätze hinaus: Er konstruiert einen trinitarisch fundierten theologischen Begriff von Kirche, der zugleich genuin dogmatisch sein, das heißt, als wissenschaftlich-theoretische Sprachform gelebten christlichen Glaubens gelten will, und doch für beide Konfessionen Plausibilität beansprucht. In der Entfaltung dieses dogmatischen Kirchenbegriffs an den traditionellen, angeblich zwischen den Konfessionen einen Konsens markierenden Attributen der Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität der Kirche entlang eruiert er dann die Verständigungsmöglichkeiten in den unterschiedlichen ekklesiologischen Sachfragen. Die Probe auf die Tragfähigkeit dieses Unternehmens wird durch die klassischen Kontroversthemen gestellt. Hier muss sich zeigen, ob wirklich Integration gelingt, oder ob schlicht das eine konfessionelle Muster über das andere prävaliert. In Wenz' Ausführungen ist der kritische Punkt (spätestens) bei den Ausführungen zur "Apostolizität" der Kirche erreicht; hier gerät der Integrationsversuch zum Einlenken in katholische Prämissen, das innerprotestantisch kaum konsensfähig sein dürfte: "Als Kriterium kirchlicher Apostolizität fungiert dabei die Übereinstimmung mit der apostolischen Lehre, welche in der Hl. Schrift beurkundet und vom Bekenntnis des Glaubens, wie es in den altkirchlichen Symbolen exemplarischen Ausdruck gefunden hat, bezeugt wird" (83 f.):

Bei aller syntaktischen Unklarheit ist soviel deutlich: Die reformatorische Unterstellung des Bibelbuchstabens wie der altkirchlichen Dogmen unter das geist- und personhafte Evangelium von Jesus Christus ist hier zu Gunsten der Anpassung an katholische Selbstverständlichkeiten ebenso preisgegeben wie die kritische Stellung zum altkirchlichen Dogma, die die protestantische Theologie seit der Aufklärung ausgearbeitet hat. Dieselbe strukturelle Aporie dieses Ansatzes tritt noch deutlicher an Wenz' Postulat zu Tage, die Frage nach den notae ecclesiae auf dem Wege einer solchen integrativen Dogmatik zu lösen: "Als ekklesiologisch entscheidend drängt sich die Frage auf, wie es um die Möglichkeitsbedingungen der Erkenntnis der notae ecclesiae bestellt ist" (89). Offenbar heißt das: Es soll ein überkonfessionell plausibles dogmatisches Raster von Kriterien ausgearbeitet werden, das es erlaubt, im interkonfessionellen Konsens Bestimmungen darüber zu treffen, ob in einem Kirchentum die notae ecclesiae vorhanden sind oder nicht. Gemäß herkömmlicher evangelischer Lehre allerdings sind die notae ecclesiae zugleich media salutis, und deshalb ist die Möglichkeitsbedingung ihrer wahren Erkenntnis der Heilsglaube. Die sachgemäße Erkenntnis der notae ecclesiae bleibt damit notwendig auf den Kreis ihrer Heilswirksamkeit restringiert, und die Dogmatik als theoretische Sprachform gelebten christlichen Glaubens wird dieses Thema unter den gegenwärtigen abendländischen Verhältnissen daher immer unter dem Gesichtspunkt eines konfessionell bestimmten Verständnisses von Glaube und Heil traktieren müssen. Das Vorhandensein der notae ecclesiae in anderen konfessionellen Kontexten wird somit Gegenstand von sekundär-extrapolierenden Aussagen bleiben müssen, in denen der Angehörige einer Konfession gemäß seinen konfessionellen Verständnisvorgaben das vermittelt-gebrochene Vorhandensein der notae ecclesiae/media salutis im je anderen Kirchentum anerkennt - wie das ja schon seit Jahrhunderten geschieht.

Die diese Anerkennungsleistungen ermöglichenden Denkmuster sind ihrerseits konfessionell charakteristisch unterschiedlich: Nach katholischem Verständnis sind es die bei der Kirchentrennung aus der katholischen Kirche mitgenommenen "Elemente der Heiligung und der Wahrheit" (LG 8), um derentwillen es auch außerhalb ihrer trotz aller Defizite christlichen Glauben und christliches Leben gibt; nach evangelischem Verständnis bürgen die Schrift allgemein und die verba institutionis insbesondere für den Glaubenssatz, dass Gott auch in der römisch-katholischen Kirche Menschen durch Wort und Sakramente im Glauben das Heil schenkt. Die- protestantisch gedeuteten - notae ecclesiae werden so dem Glauben zum Hinweis auf die allen geschichtlichen Kirchentümern vor- und übergeordnete Eine, wesentlich unteilbare, unsichtbare Kirche, die congregatio sanctorum et vere credentium (CA VIII).

Auch der Aufsatz von O. H. Pesch ("Hierarchie der Wahrheiten. Ein vergessenes Stichwort des 2. Vatikanischen Konzils und die Zukunft der Ökumene", 119-139) gehört in den Chor der Stimmen, die am bisherigen Kurs der ökumenischen Verhandlungen festhalten wollen: Neben pragmatischen Überlegungen zur Rücksichtnahme auf die Gewohnheiten des Kirchenvolkes enthält der Aufsatz Erinnerungen an die windungsreiche konzi-liare Geschichte des im Titel genannten Begriffs.

Zwei Beiträge des Bandes fordern eine deutliche Intensivierung der historischen und systematischen Grundlagenreflexion ein. J. Haustein ("Retrospektive auf Trient und die Folgen. Eine kirchengeschichtliche Vergewisserung zu interkonfessionellen Konsensbemühungen", 91-117) entfaltet, beginnend mit dem Tridentinum, die Geschichte der Bemühungen um die Beilegung des konfessionellen Zwiespalts im Abendland. Er zeigt, wie diese Bemühungen durch die immer präzisere dogmatische und rechtliche Ausprägung spezifisch römisch-katholischen Exklusivitätsbewusstseins bis hin zu den vatikanischen Konzilien immer schwieriger geworden sind. Zutreffend weist er auf den besonderen systemimmanenten Konsensdruck hin, unter dem die römisch-katholische Kirche steht, und ermutigt die Evangelischen, sich auf ihre spezifischen Vorstellungen von kirchlicher Einheit zu besinnen - das eröffnet die Möglichkeit, gelassen und realistisch abzuwarten, durch welche Faktoren der Kurs der römisch-katholischen Kirche in Zukunft bestimmt sein wird.

Der quantitativ und qualitativ gewichtigste Beitrag des Bandes stammt von R. Brandt ("Der ökumenische Dialog nach der Unterzeichnung der Erklärung zur Rechtfertigungslehre und nach "Dominus Iesus" - Ein Überblick über strittige Aspekte aus lutherischer Sicht", 11-54). Brandt unterzieht zunächst den Textkomplex GER/GOF und die Folgen des Augsburger Festaktes einer nüchternen, kritischen Analyse: Die GOF hat noch einmal deutlich gemacht, dass lutherische Rechtfertigungslehre samt ihren Folgerungen aus römisch-katholischer Sicht allein unter der Bedingung akzeptabel ist, dass sie sich in das Kategoriensystem der einschlägigen tridentinischen Dekrete einfügen lässt. So war Kardinal Lehmann, abzüglich des unerträglich anmaßenden Tones seiner Äußerungen, völlig im Recht, als er solche Befürworter der GER/GOF rüde in die Schranken wies, die sich kritisch zur römisch-katholischen Ablasspraxis äußerten, als diese anläßlich des Jubiläumsjahres 2000 deutlicher als sonst ins Bewusstsein der breiteren Öffentlichkeit trat (19 f.). Weiter weist Brandt nach, dass es um die kirchenrechtliche Verbindlichkeit von GER/GOF sowohl katholischer- wie lutherischerseits bislang schlecht bestellt ist - die römische Kirche hat das Dokument nicht wirklich lehramtlich approbiert, und der LWB als Subjekt der Unterschrift am 31. Oktober 1999 ist keine Kirche. Als wichtig und zukunftsweisend erachtet er die in GER 43 fixierten Aufträge zur Weiterarbeit und fordert ein, dass die Weiterarbeit an einzelnen dogmatischen Themenkomplexen immer im Verbund mit prinzipientheoretischen Reflexionen zu geschehen hat - und die haben, wie Brandt an den einschlägigen Rechtstexten nachweist, durch römisch-katholische Fixierungen der letzten Jahre, die die Gehorsamspflicht gegenüber dem kirchlichen Lehramt erheblich ausgeweitet und präzisiert haben, noch einmal erheblich an Dringlichkeit gewonnen. Im zweiten Hauptteil seines Aufsatzes, der der Situation nach "Dominus Iesus" gewidmet ist, schärft Brandt ein, dass die hier vorliegende Interpretation der Texte des II. Vat. eben genau nicht eine unter vielen anderen ist, sondern gemäß der Rechtsstruktur der römisch-katholischen Kirche eben die authentische und verbindliche (40-43). In der Selbstprädikation dieser Kirche als "Heilsmysterium" in "Dominus Iesus" erblickt Brandt einen unausgleichbaren kontradiktorischen Widerspruch zum evangelisch-kirchlichen Selbstverständnis (43- 48). Insgesamt sieht Brandt in "Dominus Iesus" eine kathartische Chance: Die unverhüllte Kundgabe römisch-katholischen Selbstbewusstseins kann gerade auf evangelischer Seite dazu verhelfen, einen durch naiv-unreflektierte Erwartungen angestauten Konsensdruck abzubauen.

Mitnichten rechtfertigt "Dominus Iesus" ein Nachlassen ökumenischer Bemühungen, sie müssen allerdings zunächst einmal an eine (über)fällige Neuorientierung gewandt werden: "Durch die Rekapitulation der Prinzipien des römisch-katholischen Ökumenismus in "Dominus Iesus" sind die evangelischen Kirchen nun genötigt, ihre eigenen Prinzipien, nach denen sie in den ökumenischen Beziehungen handeln bzw. handeln wollen, zu klären und darüber den Konsens in ihren eigenen Reihen zu suchen" (52). Mittelfristig wird es darum gehen, dass sich beide Partner zunächst einmal offen und ehrlich gegeneinander stellen.

Der Aufsatz von Brandt, aber auch der ganze Band insgesamt zeigt, dass gerade die evangelischen Kirchen hier eine massive Bringschuld haben: Das gewachsene gute Verhältnis der beiden großen Kirchen in Deutschland ist für die Christenheit und für die Gesellschaft als ganze ein viel zu hohes Gut, als dass man es durch den fahrlässig oder schuldhaft aufgebauten Druck überzogener Erwartungen gefährden lassen dürfte. Stattdessen müssen realistische Perspektiven des Zusammenlebens und des Zusammenwirkens erarbeitet werden.