Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2003

Spalte:

105 f

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Hampson, Daphne

Titel/Untertitel:

Christian Contradictions. The Structures of Lutheran and Catholic Thought.

Verlag:

Cambridge: Cambridge University Press 2001. XI, 323 S. gr.8. Geb. £ 40,00. ISBN 0-521-45060-8.

Rezensent:

Wolfgang Beinert

Die Vfn. dieses Werkes ist "Reader in Divinity", tätig nahezu im gesamten englischsprachigen Raum, dazu in Deutschland und in den Niederlanden; sie besitzt akademische Grade in "Europäischer Philosophie" (Continental Philosophy), Moderner Geschichte und Systematischer Theologie. Aber sie legt mehrfach Wert darauf, zwar Theistin, doch keine Christin zu sein. Als ihre Grundeinstellung bezeichnet sie einen postchristlichen Feminismus. Um so erstaunlicher ist das Engagement, mit dem sie gelehrt und in profunden Analysen ein Thema behandelt hat, welches sozusagen christlicher kaum gedacht werden kann - die Strukturen des Denkens der beiden bedeutendsten westlichen Konfessionen des Christentums. Sie mehrt damit die reiche Literatur und die (inzwischen weitgehend, wenn auch vielleicht nur vordergründig zur Ruhe gekommene) unendliche Debatte, ob es zwischen ihnen einen wurzeltiefen Grundkonsens gebe, der eine Einigung letztendlich ermöglicht, oder ganz im Gegenteil eine radikale Grunddifferenz, die sie geradezu zu Antipoden werden lässt - wobei man sich dann ernstlich fragen muss, wieso beide einander trotzdem noch das nomen christianum zuerkennen mögen.

Die Vfn. geht von der Annahme aus, dass von prinzipieller und fundamentaler Bedeutung in einer Religion nicht die offiziellen Lehren, sondern die sie prägenden Strukturen seien. Sie startet beim reformatorischen Erlebnis Luthers und vergleicht es mit der traditionellen katholischen Denkform, festgemacht beide Male an dem unterschiedlichen Verständnis des Adagiums, der Gerechtfertigte sei "simul iustus et peccator". Dies ist die Diskussion der ersten drei Buchkapitel. In den folgenden untersucht sie das Denken von Anders Nygren ("Agape und Eros"), Bultmann und vor allem von Søren Kierkegaard, dessen Konterfei bezeichnenderweise den Schutzumschlag ebenso wie das Bild Martin Luthers vor einem Bild des Konzils von Trient schmückt. Dazwischen würdigt ein eigener Abschnitt die ökumenischen Gespräche, vor allem natürlich die Augsburger Übereinkunft zur Rechtfertigungslehre von 1999.

Das Ergebnis ihrer Untersuchungen ist die entschiedene These, zwischen den beiden Konfessionen existiere ein tiefreichender Unterschied. Er besteht nach ihrer Ansicht darin, dass katholisches Denken "linear" und ganz von Augustinus geprägt, lutherisches dagegen "dialektisch" sei, immer bezogen auf das Verhältnis des Menschen zu Gott. Der Reformator gehe stets von der unlöslichen Relationalität zu Gott aus; des Menschen Verhältnis zu ihm ist also als extrinsisch zu bezeichnen, die Haupttugend des Christenmenschen dementsprechend der Glaube. Auf der anderen Seite entspricht dem, der Spiritualität Augustins folgend, die Liebe als Basisthema des Katholizismus. Man sieht das, H. zufolge, deutlich daran, dass Augustin die Welt verlassen habe, um ins Kloster zu gehen, Luther dagegen das Kloster in Richtung Welt. Daraus erklären sich so ziemlich alle Spezifika der Konfessionen, beim Katholizismus von der Heiligenverehrung bis zur Frauenfeindlichkeit (Frauenliebe beeinträchtigt Gottesliebe). Während das katholische Ideal die imitatio Christi sei, gelte für den Protestantismus die einfache Rückkehr zu ihm.

Gibt es eine Vermittlung zwichen beiden Positionen oder sind sie auf ewiglich voneinander geschieden? Die Vfn. neigt der zweiten Alternative zu, möchte aber die erste nicht unter allen Umständen ausschließen. Nachdem die Problematik kundig und mit großem theologischen Einsatz systematischer wie auch dogmengeschichtlicher Art über beinahe dreihundert Seiten behandelt worden ist, überrascht sie am Schluss Leserin und Leser wie mit einem Wasserschwall: "Das ökumenische Schiff ist stromabwärts abgedriftet in eine andere Landschaft, während es die Leute an Bord kaum bemerkt zu haben scheinen" (292). Nicht die theologischen Debatten seien schädlich, wohl aber, dass sie, wie die Rechtfertigungsdiskussion lehre, immer noch unter den Horizonten des 16. Jh.s geführt würden. Man muss, so verlangt H., bei der Christologie zukünftig ansetzen, soll der Lebenswert des Christentums überhaupt noch plausibel sein.

Die Arbeit hat sicher ihre Eigenheiten und ihre Eigenartigkeit, die in Position und Person der Autorin liegen. Gleichwohl verdient sie die Aufmerksamkeit nicht allein der Ökumeniker, sondern der Theologen aller Richtungen und Sparten, die sich mit der heute immer bedeutsamer werdenden Grundlagendebatte hinsichtlich des Christentums befassen. Gerade dann aber muss es erlaubt sein, die ziemlich strenge und radikale Position des Buches in Frage zu stellen: Sind die beiden "Wege", die unterschiedlichen "Strukturen" des Christlichen - und höchst wichtig wäre es, die Kirchen des christlichen Ostens in die Überlegungen einzubeziehen, aus deren Perspektive sich manches vermittelnde Element ersehen lassen sollte - tatsächlich (beinahe oder ganz) unvereinbar oder nicht doch unterschiedliche Wege zur ahnenden Einsicht in die Größe der Menschenbeziehung Gottes?