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Ausgabe:

Januar/2003

Spalte:

103–105

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Baier, Klaus Alois

Titel/Untertitel:

Ökumenisches Lernen als Projekt. Eine Studie zum Lernbegriff in Dokumenten der ökumenischen Weltkonferenzen (1910-1998).

Verlag:

Münster-Hamburg-London: LIT 2001. XVI, 403 S. gr.8 = Hamburger Theologische Studien, 19. ¬ 30,90. ISBN 3-8258-4802-7.

Rezensent:

Martin Bröking-Bortfeldt

Der Autor (Jahrgang 1941), emeritierter Oberkirchenrat, der 1974 in Erlangen seine Dissertation mit dem Titel "Unitas ex auditu - Die Einheit der Kirche im Rahmen der Theologie Karl Barths" vorgelegt hatte, ist mit dieser Arbeit über den ökumenischen Lernbegriff "noch in späten Jahren den Weg zur Habilitation" gegangen, wie er im Vorwort (VII) schreibt, und zwar am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Hamburg.

Baier versteht seine Studie als "eine ideengeschichtliche Rekonstruktion des Lernbegriffs in der modernen ökumenischen Bewegung des 20. Jahrhunderts" (VII), die er vorrangig aus Dokumenten verschiedener ökumenischer Konferenzen von 1910 bis 1998 speist, also ökumenegeschichtlich den weiten Bogen von der Weltmissionskonferenz in Edinburgh bis zur ökumenischen Vollversammlung in Harare schlägt, wo der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) 50 Jahre nach seiner Gründung (1948 in Amsterdam) zusammenkam.

Den einleitenden Auftakt seiner Darstellung (1) bildet Ernst Langes bekanntes Statement aus dem Text "Das ökumenische Unbehagen" von 1970 mit der Forderung: "Das christliche Gewissen muß sich einleben in den größeren Haushalt, ... auf den es von Anfang an orientiert war, den Haushalt der bewohnten Erde. Es muß sich einüben in ein neues, nein, in sein ursprüngliches Zeit- und Weltgefühl. Das ist ein Bildungsproblem im umfassendsten Sinn des Wortes" (zit. 307 in der Edition Ernst Lange Bd. 2; dieser kurze Text enthält bei B. zwei Zitationsfehler). B. schließt seine Darstellung mit dem erneuten Hinweis auf den ökumenischen Lebenszusammenhang, den Ernst Lange Zeit seines Lebens gesehen, reflektiert und lebenspraktisch umzusetzen gesucht hat: "Es geht im ökumenischen Lernen darum, eine Theorie des universellen Zusammenlebens zu entwickeln, ohne die Differenzen durch eine universelle Theorie vereinheitlichen zu wollen. Die Kernaufgabe einer ökumenischen Didaktik ist es, den Anspruch des Heiligen Geistes in den Aufbau von nicht totalitärer, nicht doktrinärer Koexistenz und also spannungsvoll-lebendiger Kohärenz zu übersetzen" (369). Wie B. selbst feststellt, steht dabei weiterhin der "Entwurf einer Didaktik ökumenischen Lernens ... noch aus" (ebd.). Was aber ist dann die Leistung dieser Studie, die mit dem Hinweis auf das "ökumenische Unbehagen" beginnt und mit dem - auch von Lange vor 30 Jahren schon benannten - Desiderat einer ökumenischen Didaktik endet?

B.s 21 Kapitel greifen zum einen den großen ökumenischen Konferenzen des 20. Jh.s entlang zentrale Theologoumena der ökumenischen Theoriebildung auf, bieten also einen weiteren theologiegeschichtlichen "Austellungs-Rundgang" durch die werdende, sich konsolidierende, sich gesellschaftlich einmischende und sich neu konzipierende Ökumene; zum anderen gehen sie auf zentrale ökumenische Lernbegriffe wie eine ebenfalls schon von Lange geforderte "Sozialdidaktik" (Kap. 2), das Lernziel der "Konziliarität" (Kap. 13) und eine nicht nur 1983 in Vancouver geforderte "Kirche als Lerngemeinschaft" (Kap. 17) ein. Aus B.s beiden vorgenannten Darstellungsschwerpunkten seien exemplarisch je ein Kapitel herausgegriffen und kurz referiert: Kapitel 17 "Die Kirche als Lerngemeinschaft - Vancouver 1983" (282-311) und Kapitel 21 "Ökumenisches Lernen - Ein abschließender Essay" (357-369).

"Vancouver 1983 ... als Sternstunde des Ökumenismus und des ökumenischen Lernens" (285) definiert durch den Zusam-menhang von eucharistischer Gemeinschaft, die das Geheimnis feiert, "daß Gott in Jesus Christus in der Welt ist" (289), und der Leidensgemeinschaft großer Teile der Ökumene die ökumenische Lernperspektive neu. B. führt material- und kenntnisreich in die Voraussetzungen und Folgen der ÖRK-Vollversammlung ein und schließt "didaktische Konkretionen" (292- 311) an, die nicht nur die religionspädagogische und ökumenisch-theologische, sondern auch die bildungstheoretisch-pädagogische Diskussion wiedergeben; zu diesen Konkretionen zählen u. a. die Erfahrung der Grenzsituation, gelebte Solidarität in gemeinsamer Praxis, antizipatorisches Lernen und Überwindung des "parochialen Gewissens" (308), was schon Lange mehr als ein Jahrzehnt vorher gefordert hatte.

Im Schlusskapitel 21 arbeitet B. in 20 Teilschritten seine vorangegangene historische und systematisch-phänomenologische Darstellung erneut durch und schreibt einer Didaktik ökumenischen Lernens die Aufgabe zu, "die Integration des Globalen in das Individuelle zu ermöglichen" (358). B. plädiert zu Recht dafür, den "Begriff der Koinonia ... vom Konziliaritätstheorem nicht zu trennen" (364). Das bedeutet für den ökumenischen Lernalltag in Schule, Kirche und Gesellschaft gleichermaßen, die gemeinschaftsfördernden und lebenspraktischen Impulse des ökumenischen Lernens immer neu aufzudecken.

B. gelingt es, ein Jahrhundert ökumenischer Bewegung als Lernbewegung Revue passieren zu lassen. Die Materialfülle - sein Literaturverzeichnis, das die ökumenische Lerndiskussion der letzten Jahrzehnte umfassend wiedergibt, weist mehr als 700 Einzeltitel auf - wirkt bisweilen etwas unübersichtlich. Als Mangel muss das Fehlen eines Sach- und Personen-Registers angemerkt werden, das die Fülle der Einzeldarstellungen erheblich leichter erschließen geholfen hätte. Die Lektüre lohnt sich gleichwohl, insbesondere bei einem Interesse an bestimmten Einzelphasen der ökumenischen Bewegung im 20. Jh.