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Ausgabe:

Januar/2003

Spalte:

99–102

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Petry, Bernhard

Titel/Untertitel:

Leiten in der Ortsgemeinde. Allgemeines Priestertum und kirchliches Amt - Bausteine einer Theologie der Zusammenarbeit.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 2001. 300 S. 8 = Lenken, Leiten, Gestalten, 9. Kart. ¬ 29,95. ISBN 3-579-05301-9.

Rezensent:

Herbert Lindner

Ehrenamtliche Tätigkeit wird zur Schlüsselfrage evangelischer Kirchen der kommenden Jahre werden. Nur in diesem Bereich können diese Kirchen wachsen ohne ständig an ihre finanziellen Grenzen zu stoßen. Mehr noch: Zur Identität dieser Kirchen gehört es, der verantwortlichen Mitwirkung "von unten" Raum zu geben. Bernhard Petrys Buch - ursprünglich eine Erlanger Dissertation - greift dieses wichtige Thema auf. Gerade wegen seiner zentralen Stellung sind die Verknüpfungen zu vielen anderen Themen der praktischen Theologie zahlreich. Das macht es nicht einfach, für die Bearbeitung einen klaren Fokus zu finden.

P. entscheidet sich dafür, auf der theologischen Theorieebene das Verhältnis von haupt- und ehrenamtlicher Arbeit in der Kirche zu klären (19). Als "Basiskategorie" dient die reformatorische Verhältnisbestimmung von allgemeinem Priestertum und kirchlichem Amt. So kann gleichzeitig mit Hilfe eines organisationstheoretischen Ansatzes die Wirksamkeit von Glaubensüberzeugungen auf die Kirchenpraxis untersucht werden. Die Frage nach der Leitung spielt dabei naturgemäß eine große Rolle. In der Tat: "Ein weites Feld" (25).

Im ersten Teil werden die theologischen Grundlagen erarbeitet. Als Konsens lässt sich festhalten: "Alle Christinnen und Christen bleiben gleichermaßen zur Bezeugung des Evangeliums verpflichtet und berechtigt; lediglich die Funktion der öffentlichen Bezeugung geht an das kirchliche Amt über." (31)

Die Kirchenwirklichkeit hat sich anders entwickelt. Das Amt "inmitten" ist zum Amt "im Gegenüber" zur Gemeinde geworden. Damit ist die von der Reformation intendierte Gleichgewichtigkeit zu Gunsten eines Brennpunkts der Ellipse aufgelöst. Anstelle einer Kirche des allgemeinen Priestertums ist eine "pastorale Betreuungskirche" entstanden.

Die Alternative, die P. hier (31 f.35) konstatiert und die seine weitere Analyse entscheidend bestimmt, leuchtet auf den ersten Blick ein. Sie ist jedoch eine nicht unproblematische Gegenüberstellung, die im weiteren Verlauf der Arbeit differenzierte Wahrnehmungen eher erschwert. "Teilrealisierungen" des Konzepts des allgemeinen Priestertums kommen so nicht in den Blick, denn "Pfarrerzentrierung" muss nicht einhergehen mit "Betreuungskirche", sie kann auch zu einer hohen Beteiligung von Gemeindegliedern führen. Das zeigt sich vor allem bei der Würdigung der Konzepte von Dahm und Herbst, die eine starke Stellung des Pfarrers mit - unterschiedlich ausgerichteten - Aktivierungsversuchen der Mitglieder verbinden.

Organisationstheoretische Überlegungen (38 ff.) zeigen die konzeptionelle Ebene als die entscheidende Mittelebene zwischen der prinzipiellen und der materiellen Zielebene. Das führt den Vf. dazu, konzeptionelle Entwürfe aus der Pastoraltheologie und der Gemeindeaufbaudiskussion daraufhin zu befragen, ob sie die Vorgaben der prinzipiellen Ebene nach einer Gleichgewichtigkeit der beiden Pole so umsetzen, dass damit eine entsprechende Praxis möglich wird (50 ff.). Zusätzlich wird die Arbeit der Landessynode der Evang.-Luth. Kirche in Bayern zum Thema Ehrenamt herangezogen.

Nach einer kurzen historischen Verortung werden im pastoraltheologischen Teil II Karl-Wilhelm Dahm ("Pastoraltheologie als Empirie"), Manfred Josuttis ("Pastoraltheologie der Andersartigkeit"), A. Bernd Busch ("Pastoraltheologie der Betroffenen"), Brigitte Enzner-Probst ("Pastoraltheologie in frauenspezifischer Perspektive") und schließlich nochmals Manfred Josuttis ("Pastoraltheologie als Mystagogie") befragt.

Eine deutliche Ablehnung erfahren die beiden Konzeptionen von Josuttis. Die im Bild des Propheten implizierte Gegenüberstellung von Pfarrer und Gemeinde lässt ein fruchtbares und gleichgewichtiges Verhältnis nicht zu. Die Vorstellung des "Führers in das Heilige" erscheint durch die Konzentration auf den Amtsträger als eine ekklesiologische Engführung (52).

Am ehesten sieht P. bei A. Busch im Bild des beratenden und helfenden Wegbegleiters eine Offenheit für gleichgewichtige Verhältnisbestimmung (130).

Im Teil III werden zwei Gemeindeaufbaukonzepte referiert. In der einleitenden Ortsbestimmung werden zwei grundlegende Entscheidungen vorbereitet: Die Gegenüberstellung volkskirchlich/missionarisch als Leitunterscheidung für die Einordnung von Konzepten und der Fokus auf die Leitungsfrage (179). So können auf Grund dieser Einteilung zwei repräsentative Konzepte untersucht werden: die Konzeption von Michael Herbst und die von Günter Breitenbach. Aber auch hier ist zumindest eine der Entscheidungen nicht ohne Folgen: Die Konzentration auf die Leitungsfrage lässt den für die Gemeindepraxis doch so wichtigen Bereich der durchführenden Tätigkeiten eher am Rande erscheinen.

An Herbst wird die heimliche und uneingestandene Pfarrerzentrierung (195.201) kritisiert, die die Mündigkeit im Glauben nicht wirklich ernst nehme. Weiterführend erscheint P. Günter Breitenbachs funktionales Leitungsverständnis, das die Vielzahl der Leitungsformen in konziliarer Pluralität aufeinander zu beziehen vermag. Dadurch sind die Voraussetzungen für ein gleichgewichtiges Zusammenspiel gegeben, wenn P. auch die fehlende Konkretion bemängelt (223 f.).

Als Beitrag zum Thema aus einer anderen Leitungsform von Kirche wird in Teil IV die Diskussion der Landessynode der Evang.-Luth. Kirche in Bayern zum Thema Ehrenamt referiert, die mit der Verabschiedung der "Leitlinien" 1993 einen - vorläufigen - Endpunkt gefunden hat. In diesem Zusammenhang wird auch die sozialwissenschaftliche Diskussion über das Ehrenamt dargestellt, das Erreichte gewürdigt, jedoch seine mangelnde Verbindlichkeit als Leitlinie und vor allem seine Entstehung ohne Mitwirkung von Ehrenamtlichen kritisiert.

P. fasst seine Ergebnisse in 20 knappen Thesen auf zwölf abschließenden Seiten zusammen. Die arbeitsteilige Wechselseitigkeit von Amt und allgemeinem Priestertum wird festgehalten. Leitung ist eine lebenswichtige Systemfunktion von hoher theologischer Bedeutung. Die personale Leitungsfunktion in der Ortsgemeinde wird dem Pfarrberuf zugewiesen. Zielperspektive im Blick auf die Gemeindeglieder ist es, diesen zur Realisierung ihrer Berufung zu verhelfen. Pfarrerinnen und Pfarrer werden nach 2Kor 1,24 zu Helfern zur Freude (277 f.), indem sie vor allem persönlichkeitsentwickelnde Aufgaben wahrnehmen. Damit das Zusammenspiel als Leib Christi gelingt, müssen sie auch gemeindeentwickelnde Aufgaben erfüllen (278). Dies sind ihre beiden zentralen Aufgaben. So dient das kirchliche Amt der Entfaltung des allgemeinen Priestertums (279). Hauptberufliche Tätigkeit wird zur Dienstleistung für alle andere Arbeit in der Gemeinde (281).

Dies sind gewichtige Perspektiven zum Schluss, die durch den Gang der Untersuchung angeregt sind. Sie drängen energisch auf eine klare und partnerschaftliche Zusammenarbeit von Hauptberuflichen und Ehrenamtlichen. Deren Umsetzung würde einen großen Schritt nach vorne bedeuten. Um so bedauerlicher ist die Kürze dieser Thesen. So entsteht die Frage, ob die Gewichte zwischen dem breit angelegten referierend-historischen und dem sehr knappen konstruktiv-aktuellen Teil stimmen. Nimmt man die von P. an andere Konzepte angelegten Maßstäbe ernst, dann entsteht noch eine grundsätzliche Frage. Wegen ihrer "Pfarrerzentrierung" werden vorliegende Konzepte und die synodale Arbeit kritisch beurteilt. Aber auch die abschließenden Thesen argumentieren fast nur aus der Perspektive des Pfarrers, der Pfarrerin, auch wenn dies mit der Begründung geschieht, hier handele es sich um den "Problembrennpunkt" (272). Die Konzeption eines funktionsgegliederten Amtes, die die gleichgewichtige Zusammenarbeit verschiedener Hauptberuflicher ermöglicht, kommt nicht wirklich in den Blick. Der große Raum, den die pastoraltheologische Diskussion einnimmt, engt dann doch die Perspektive empfindlich ein.

Dieser Blickwinkel vom Pfarrer, von der Pfarrerin aus setzt sich auch in der Leitungsfrage fort. Die Mitwirkung von Ehrenamtlichen bei der Leitung (Kirchenvorstand, kirchliche Vereine, Projektgruppen, eigenständige Leitung von Arbeitsbereichen) gewinnt kaum Farbe. Das gilt auch für den weiten Bereich durchführender Tätigkeiten im Bereich von Seelsorge, Bildung und Gottesdienst. Hier gibt es interessante selbstorganisierte und eigenverantwortlich geleitete Bereiche, die aus der Perspektive realisierter Berufung erhellende Beispiele für P.s Konzeption abgeben.

Fazit: Das Buch ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu einem lebendigen Zusammenspiel der verschiedenen Begabungen in der Gemeinde, der sich - auch bedingt durch seine Anlage - noch nicht ganz aus der vorbelasteten Geschichte seines Themas lösen konnte und insofern nahe an der Wirklichkeit bleibt.