Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2003

Spalte:

93 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Giguère, Paul-André

Titel/Untertitel:

Catéchèse et maturité de la foi.

Verlag:

Bruxelles: Lumen Vitae; Québec: Novalis 2002. 164 S. gr.8 = Théologie pratiques. Kart. ¬ 19,00. ISBN 2-87324-178-0; ISBN 2-89507-345-7.

Rezensent:

Günter R. Schmidt

Giguère geht von der Beobachtung aus, dass als Richtziel katechetischer Tätigkeit häufig "Reife des Glaubens" (maturité de la foi) oder auch "reifer Glaube" (foi mûre) angegeben wird, so besonders im römischen Directorium von 1997. Der Häufigkeit des Gebrauchs steht aber eine merkwürdige Verschwommenheit des Gehalts gegenüber. Bei Fortbildungsveranstaltungen assoziierten Gruppen mit "Reife" eine Fülle von Bildern und Merkmalen. Bei Katecheten stand unter spontan angegebenen Leitzielvorstellungen "Reife" erst an 7. Stelle. Autoren stellen oft eine Fülle von Merkmalen zusammen, lassen jedoch ein "organisierendes Prinzip" vermissen. Die Definitionen von "Glaubensreife" findet G. bei 4 verschiedenen Autoren (Giardini, Allport, Gatti und Zavalloni) wenig konvergent. So setzt er sich das Ziel, in die Diskussion über Glaubensreife mehr Klarheit und logische Kohärenz zu bringen.

Dazu bedient er sich einiger traditioneller und neuerer Unterscheidungen: fides quae- fides qua, Glaube als allgemein menschliches Phänomen - religiöser Glaube - christlicher Glaube, Glaube als "Einstellung" (attitude) mit einer kognitiven, affektiven und aktiven Dimension. Glaube im allgemeinen Sinn ist Daseinsvertrauen und Offenheit für Transzendenz; Glaube im religiösen Sinn ist dann gegeben, wenn der Glaube im allgemeinen Sinn von einer spezifischen religiösen Tradition geprägt ist, christlicher Glaube, wenn diese prägende Tradition die christliche ist. Glaube ist "dynamisch". Zur Erhellung dieser Dynamik werden unterschiedliche Bilder verwendet: "Wachstum", "Reifung", "Entwicklung", "erwachsener Glaube" (foi adulte). G. begründet, warum er "Reifung" bevorzugt. Er will aber, anders als das Bild nahe legt, "Reife" nicht als "absoluten" Endpunkt, sondern "relativ" zur inneren und äußeren Situation des Individuums verstehen. In jedem Lebensabschnitt kann es ein angemessenes Reifeniveau erreicht oder verfehlt haben. Dem entspricht die folgende Begriffsbestimmung: "Der Glaube einer Person ist reif, wenn sie auf befriedigende Weise Sinn herstellen (faire du sens) und stimmig im Innersten ihrer Existenz und ihres Lebens, d. h. indem sie alle Momente ihres Lebens im allgemeinen und der besonderen Situation, in der sie sich befindet, in all ihrer Komplexität berücksichtigt, reagieren kann" (réagir avec cohérence au coeur de son existence et de sa vie). Man könnte auch sagen: Der Glaube ist reif, wenn er genügend angeeignet und integriert ist, um es einer Person zu ermöglichen, auf befriedigende Weise die gegenwärtigen "Sinnherausforderungen (défis de sens) ihrer Existenz in Übereinstimmung (congruence) mit ihm aufzunehmen." (70 f.) Die Glaubensreife des Christen kann nur so beschrieben werden, dass das Wesen des allgemein menschlichen Glaubens (foi anthropologique), das Spezifikum des christlichen Glaubens und die Anforderungen der Moderne gleichzeitig bedacht werden. G. sieht diese Reife dem affektiven Aspekt nach in der Spannung zwischen "Übernahme" der eigenen Lebensaufgabe (prise en charge) und der "Hingabe" (abandon), dem aktiven Aspekt nach zwischen "Stimmigkeit" (cohérence) und "Durchhalten" (persistance) und dem kognitiven Aspekt nach zwischen "Klarheit" (lumière) und "Geheimnis" (mystère). "Glaubensreife" besteht nicht nur in der Ausgewogenheit der drei Dimensionen, sondern auch der genannten spannungsreichen Pole.

Ausgewogenheit schließt nicht aus, dass je nach Person eine Dimension oder ein Pol dominiert. Als weiteres Problem behandelt G. das Verhältnis von Glaubensreife, psychischer Reife und Heiligkeit. Mögliche Positionen sind "Gegensatz", "Unabhängigkeit", "Interaktion" und "Identität". Auch hier ist eine Lösung nur möglich, wenn man unter Reife nicht eine Gesamtheit maximal ausgeprägter Merkmale versteht, sondern "eine befriedigende Art, mit der Wirklichkeit in Beziehung zu treten" (114). Im letzten Kapitel werden die erarbeiteten Einsichten auf konkretere Themen wie Inhalte, Klima, Sozialformen, Orte, Zeiten und Träger der Katechese angewendet.

G.s Analysen sind feinsinnig, theoretisch weiterführend und praktisch hilfreich. Aus religionstheoretischer und psychologischer Sicht ergeben sich kaum kritische Anfragen, wohl aber aus theologischer: Ist der christliche Glaube nur eine spezifische Weise (unter anderen), eine anthropologisch vorgegebene Struktur zu "durchdringen" (imprégner)? Sind hier Sünde und Erlösung angemessen bedacht? Muss nicht theologisch wesentlich deutlicher gewertet werden? - Subjektive Befriedigung kann doch kein ausreichendes Kriterium sein! Die christliche Botschaft nimmt ausgewogene Gemütslagen keinesfalls aus ihrer Kritik an allem Vorfindlichen aus. G. müsste klare Kautelen gegen religiösen und ethischen Relativismus einbauen.