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Ausgabe:

Januar/2003

Spalte:

78–80

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

González de Cardedal, Olegario

Titel/Untertitel:

Cristología.

Verlag:

Madrid: Biblioteca de Autores Cristiano 2001. XIII, 601 S. 8 = Sapientia Fidei. Serie de Manuales de Teología. ISBN 84-7914-563-3.

Rezensent:

Michael Schulz

Der spanische, in Salamanca dozierende Systematiker Olegario González de Cardedal legt in der theologischen Handbuchreihe Bibliothek christlicher Autoren den zentralen Band zur Christologie vor. Von dem Autor, der über die Grenzen Spaniens hinaus als ein Denker bekannt ist, der das Christentum in einen umfassenden Dialog mit den geistigen Herausforderungen der Moderne bringt (vgl. La entraña del cristianismo, 32000), darf man ein anspruchsvolles Durchdenken der Christologie im geistesgeschichtlichen Problemhorizont der Gegenwart erwarten.

Im Vorwort erläutert G., sich dieser Aufgabe stellen zu wollen. Die Christologie habe sich mit dem historischen Bewusstsein auseinander zu setzen, das sich in der Bedeutung der historisch-kritischen Exegese widerspiegle; die Christologie müsse zudem auf philosophische Fragekomplexe eingehen: z. B. auf Lessings These, nach der das Absolute nicht in der Geschichte zu finden sei, womit bereits die Möglichkeit einer authentischen Christologie untergraben werde; ihr Thema sei schließlich im Kontext des weltanschaulichen Pluralismus zu verantworten, d. h. in einer Gesellschaft, die durch das verstärkte Zusammentreffen der Religionen und Kulturen geprägt werde. Vor diesem Hintergrund möchte der Vf. nicht nur ein Lehrbuch präsentieren; er beabsichtigt geradezu ein "Denkbuch" anzubieten.

In der Einleitung entfaltet G. den systematischen Begriff der Christologie als eines systematisch-dogmatischen Traktats: dessen Ziel sei es zunächst, das Bewusstsein Jesu zu erschließen, von da aus gelange man zur Entfaltung der Trinitätslehre und der Soteriologie. Kriteriologischer Bezugspunkt aller Christologie sei das Glaubenszeugnis der Kirche. Jede christliche Christologie habe deshalb einen ekklesialen Ort. Solle sie sich nicht in Archäologie und Textanalyse erschöpfen, müsse der sich in der Kirche vergegenwärtigende Christus als das Subjekt der Christologie verstanden werden. Dieser ekklesiale Ansatz von G. bevormundet die Christologie nicht, sondern definiert sie als theologische Wissenschaft: als einen unentbehrlichen Aspekt des Glaubens der Kirche, der sich über sich selbst aufklärt zu Gunsten des Zeugnisses vor anderen, die nach dem Grund dieses Glaubens fragen.

Ausgangspunkt jeder Christologie bilde die Beziehung Jesu zu dem Gott Israels, den Jesus seinen Abba-Vater nennt; in dieser Beziehung verkündige und vergegenwärtige Jesus die Königsherrschaft Gottes. Folglich entfaltet G. im ersten Teil eine biblische Christologie (35-174). Danach schließt die soteriologische Wirklichkeit des Reiches Gottes Jesus, seine Worte, seine Wunderzeichen, sein Geschick, aber auch die Kirche in sich ein und geht doch nicht in diesen "Gegenwartsweisen" auf; das Reich sei zugleich eine futurische Größe, die Jesus als den Menschensohn und die Vollendung der Kirche mit umfasse. Mit Origenes bezeichnet G. Jesus als die Autobasileia; Jesus sei die unüberbietbare, vergebende und heilswirksame Nähe Gottes in Person in Aktions- und Seinseinheit mit Gott dem Vater, was die Auferstehung bestätige. Hier setzen die neutestamentlichen Titelchristologien und die weitere dogmatische Entwicklung an. Die soteriologische Bedeutung der Passion Jesu entnimmt G. der soteriologischen Bedeutung des Lebens Christi für die befreiende, vergebende Königsherrschaft Jahwes. Diese Herrschaft trage Jesus in den Machtbereich von Tod und Sünde hinein und entmachte sie dadurch. Den Antisemitismus, der sich auf die von den Juden initiierte Verurteilung Jesu stützt, weist G. als Fehldeutung des NT zurück. Protagonisten des Todes Jesu seien die Sünde der Menschen und die sich in Jesu Pro-Existenz "auslebende" Liebe Gottes. Obgleich Jesus die Agonie der Gottlosigkeit der sündigen Menschheit am Kreuz durchschreite, möchte G. den Verlassenheitsschrei Jesu am Kreuz (Ps 22,2) als Ausdruck der im Gebet sich artikulierenden Verbundenheit mit dem Vater verstanden wissen, nicht primär als absolute Gottverlassenheit Jesu. Die Auferstehung entfaltet G. als Geisttat des Vaters an Jesu leiblich-seelischer Pro-nobis-Existenz (leeres Grab), als Vollendung der Trinitätsoffenbarung und Ausgangspunkt einer oft vernachlässigten Geistchristologie. Höllenabstieg, Himmelfahrt und Wiederkunft begreift der Vf. als topographische und chronologische Explikation der Universalität des Christusereignisses.

Im zweiten Teil (175-349) nimmt G. den Leser mit auf eine spannende Reise entlang der zentralen Wegstationen der historischen Christologie. Die Extension des dogmatischen Verständnisses der Person Christi korrespondiere deren vom Geist getragenen und ekklesial vermittelten soteriologischen Universalität: Christus mache sich zu jeder Zeit Menschen verständlich und führe in seine Wahrheit ein: Das sei der Sinn kirchlicher Traditionsbildung. Didaktisch gelungen sind die prägnanten Kurzreferate der verschiedenen christologischen Positionen sowie der Konzilsaussagen; hilfreich sind dabei tabellarische Zusammenstellungen und Schemata. G. diskutiert ebenso hermeneutische Fragen: z. B. woran die Unwahrheit der arianischen und die Wahrheit der nizänischen Christologie erkannt wurde und wie ein einziger Mittler zwischen Gott und den Menschen überhaupt denkbar ist. Durch derartige fundamentaltheologische und religionsphilosophische Reflexionen hebt sich G.s Darstellung von einer bloßen Reportage über die Lehrentwicklung ab; der Anspruch des Autors, ein "Denkbuch" in die Hand zu geben, wird erfüllt. Ausführlich erörtert G. die Summen-Christologie des Thomas v. Aquin. In Martin Luthers existentiell-soteriologisch ansetzender Christologie sieht er eine Rückkehr zu grundlegenden Erfahrungen christlicher Identität, was die Christologie vor einer Integration in philosophisch-aufklärerische Konzepte bewahrte. Das machen ebenso die Erörterungen der philosophischen Christologien (Leibniz, Kant, Lessing, Hegel u. a.) und der auf sie antwortenden Ansätze von Kierkegaard und Schleiermacher deutlich. Bei einem spanischen Autor dürfen natürlich Hinweise auf das Christusbild der Mystik nicht fehlen. Anmerkungen zum Christusverständnis in der Literaturgeschichte und zu neueren christologischen Entwürfen des 20. Jh.s beschließen den geschichtlichen Teil.

Im dritten Teil entfaltet G. seine systematische Christologie (351-586). Sie nimmt ihren Ausgangspunkt bei der geistgetragenen Identifikation des gekreuzigten Jesus mit dem auferstandenen Christus (Kyrios) im Glauben der apostolischen Kirche. Die erste reflexe Entfaltung der impliziten Christologie und Soteriologie des vorösterlichen Jesus erfolge im NT (göttliche Sohnschaft, Präexistenzaussagen). Ontologische und heilsökonomisch-funktionale Christologie bilden dabei eine richtungsweisende Einheit. G. fügt die Christologie sofort in schöpfungstheologische und eschatologische Kontexte ein. Er diskutiert die Fragen nach der Veränderlichkeit und dem Leiden Gottes, einer innertrinitarischen Urkenose des Vaters als Grund der Kenosis ad extra, gefolgt von Überlegungen zur Konstitution des Menschseins Jesu, das vom Geist aus Maria als Jungfrau gewirkt und vom Logos zur personalen Existenz gebracht wird. Im letzten Abschnitt entwirft G. seine Soteriologie, die u. a. den Stellvertretungsgedanken auslotet und ebenso die Kategorien Opfer, Sühne und Genugtuung auswertet.

Wie schon in seiner Anselm-Deutung erschließt G. diese oft als problematisch betrachteten Kategorien als Ausdruck für die Integration des Menschen in das Werk der exklusiv von Christus gewirkten Erlösung. Gegenüber den Thesen der Pluralistischen Religionstheologie (J. Hick) bedenkt G. die Bezogenheit des in allen Kulturen und Religionen wirksamen Logos auf den inkarnierten Logos. Außerdem sei ein Wissen um die Heilsbedeutung anderer Religionen nur vom konkreten Ereignis des Heils aus gegeben und nicht aus einem allgemeinen Religionsbegriff zu deduzieren. Das Heil in Christus versteht G. als umfassende Größe, die psychologische und soziale Dimensionen einschließt, so dass eine "Cristoterapia" Teil jeder Christologie sein müsse.

Es ist zu hoffen, dass diese (mit durchschnittlichen Spanischkenntnissen) gut lesbare, inhaltlich wie didaktisch rundum gelungene Christologie ins Deutsche übertragen wird. Dadurch könnte der immer noch weitverbreitete "theologische Germanismus", der allenfalls durch die Rezeption englisch- und französischsprachiger Autoren relativiert wird, wieder ein wenig zu Gunsten einer internationalen Denkweise überwunden werden, die bereits die Christologie von G. kennzeichnet.