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Ausgabe:

Januar/2003

Spalte:

72–74

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Benner, Thomas

Titel/Untertitel:

Gottes Namen anrufen im Gebet. Studien zur Acclamatio Nominis Dei und zur Konstituierung religiöser Subjektivität.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2001. 359 S. gr.8 = Paderborner Theologische Studien, 26. Kart. ¬ 51,60. ISBN 3-506-76276-1.

Rezensent:

Karl-Heinrich Ostmeyer

Der Titel wirkt sperrig, doch er trifft. Nicht der Akt, sondern das Prozessuale des Anrufens ist Thema der 1997 von der katholischen Fakultät Paderborn angenommenen und durch J. Meyer zu Schlochtern betreuten Dissertation Thomas Benners.

B. beschreibt die Anrufung des oder der Namen Gottes als Teil eines dialogischen Geschehens (19.205). Der Mensch reagiert mit seiner Anrufung Gottes auf den vorausgegangenen Anruf durch Gott (95), an den er sich wenden kann, weil der ihm zuvor seinen Namen offenbart hat (221). Der Eintritt in einen Dialog mit Gott bedeutet die Konstituierung des Betenden als Subjekt (19).

Wiederholt zitiert der Autor F. Ebner: "Gott ist bewiesen, indem man ihn anruft" (9.81). Auf diesem "dialogischen Gottesbeweis" basieren die weiteren Ausführungen. Wer von B.s Studien zur Acclamatio Nominis Dei profitieren will, wird sich darauf einzulassen haben.

B.s Grundgedanken haben Vorbilder. Inspiriert wurde die Arbeit durch die Werke R. Schaefflers (18.201-216). Neu sind die für die katholische Fundamentaltheologie gezogenen Konsequenzen: Wenn Gott dem Menschen, der seinen Namen anruft, unmittelbar begegnet, dann handelt es sich um ein Offenbarungsgeschehen. Wenn zugleich gilt, dass ein "Locus Theologicus" eine Quelle der Offenbarung ist ("Principium est id, a quo aliquid procedit", 334), dann ist, so der Vf., zu erwägen, ob das Gebet nicht den klassischen zehn katholischen Loci Theologici als elfter hinzugefügt werden sollte (22 f.). Auch wenn sich nicht-katholische Leserinnen und Leser durch diese Frage nicht unmittelbar berührt sehen, dürfte deren Diskussion auch für sie ihren Reiz haben.

"Die Gliederung der Arbeit spiegelt in gewisser Weise die Ordnung der Sachgebiete der klassischen fundamentaltheologischen Traktate der demonstratio religiosa [30-216], demonstratio christiana [217-265] und der demonstratio catholica [266-336]" (24).

Im ersten der drei Hauptteile ("Menschennamen, Götternamen") nähert sich B. der Namensproblematik von unterschiedlichen Seiten: U. a. werden Alltagserfahrungen mit Namen, religionsgeschichtliche und linguistische Aspekte behandelt. Der Vf. möchte durch eine Fülle unterschiedlicher Beispiele aus Literatur und Tagesgeschehen (z. B. die Debatten um das Holocaust-Denkmal [47 f.] und "herrenlose Vermögen auf Schweizer Nummernkonten" [98]) seine Argumentation anschaulich gestalten. Durch eine Beschränkung auf wenige besonders aussagekräftige Beispiele und deren vertiefte Behandlung hätte seine Gedankenführung an Stringenz gewonnen.

Zu den stärksten Passagen des Buches zählen für mich B.s Erwägungen zum Namensverständnis Paul Celans und seine daraus gezogenen Schlüsse für das Sprechen von und zu Gott (96-118). Hier argumentiert B. eigenständig und kreativ. - Die biblischen Texte als Gegenstand des zweiten Hauptteils ("Die Offenbarung des Namens Gottes") werden weniger ausführlich behandelt. Den 22 Seiten, die der Vf. der Lyrik Celans widmet, stehen 18 Seiten für das Neue Testament gegenüber (247-265).

In dem der Bibel gewidmeten Kapitel behandelt B. schwerpunktmäßig Ex 3,1-17 und Joh 17,26. Der Vf. beruft sich für seine Ausführungen zu Ex 3 auf W. H. Schmidt (Exodus, BKAT II/2, 1977) und P. Weimar (Untersuchungen zur Redaktionsgeschichte des Pentateuch, BZAW 146, 1977). "Abweichende Auffassungen, die die Einheitlichkeit des Kapitels annehmen (z. B. Mowinkel, Buber) können unberücksichtigt bleiben". Eine überzeugende Begründung der Auswahl und eigene Exegesen am Text, die über B.s Gewährsmänner hinausführen, fehlen.

Zielpunkt der Ausführungen zum Alten Testament ist die Gleichsetzung des aus dem Dornbusch geoffenbarten Namens Gottes mit Christus: "Im Neuen Testament verschmilzt der Name Gottes mit dem Namen und der Geschichte Jesu von Nazareth zu einer unauflöslichen Einheit" (245, vgl. 252). Damit ist das Charakteristikum christlicher Gebetsanrufung benannt; die Konsequenzen für die spezifisch christliche Existenz werden jedoch nicht ausführlich thematisiert: Der "Taufe auf den Namen" (245) oder der "Heiligung des Namens" sind keine eigenen Abschnitte gewidmet. Letztere scheint sich (bezogen auf das Vaterunser) in der "Anrufung des Namens" zu erschöpfen (221).

Ein Verweis in der 2001 publizierten Untersuchung auf die umfassende Behandlung des hier Vermissten bei Adelheid Ruck-Schröder, "Der Name Gottes und der Name Jesu" (WMANT 80, 1999), hätte Entlastung schaffen können.

Nach der Behandlung der Namen Gottes legt B. im abschließenden Teil ("Namhaft werden: Subjekt werden im Gebet") das Schwergewicht auf den Menschen. Erst in der Hinwendung zum Du wird der Mensch selber zum Subjekt. Mit seinen in Anlehnung an R. Schaeffler formulierten Ausführungen zu einer "doppelpoligen Namenssehnsucht" (327; vgl. 9.20.22) zieht der Vf. die Folgerungen aus den beiden ersten Teilen: Der Mensch sehne sich, "den Unnennbaren nennen zu können und selber einen unverlierbaren Namen zu haben" (20; vgl. 19.95). Weitergefasst findet sich der Gedanke bei J. B. Metz: "Religion ist kein zusätzliches Phänomen, sondern ist am Aufbau des Subjektseins beteiligt" (305).

Abschließend kommt B. auf seine eingangs formulierte Bewertung des Gebetes als eines Geschehens, in dem sich Gott offenbart, zurück (331). Bleibt man innerhalb der Logik der Argumentation B.s, ist Folgendes zu bedenken: B. versteht Gebet als Dialog mit Gott, in dem zum einen Gott durch die Anrufung bewiesen ist, und sich zum andern das Subjektsein des Menschen konstituiert. Daraus folgt, dass auch das Offenbarungsgeschehen ein doppeltes und nur im Dialog greifbares ist. Der Mensch ist nicht bloßes Medium oder Sprachrohr der Offenbarung Gottes, sondern Dialogpartner. Er offenbart sich zugleich selbst als Subjekt im Gebet. Für die Entscheidung darüber, was in diesem wechselseitigen, dialogischen Offenbarungsgeschehen dem Menschen und was Gott zuzurechnen ist, bedarf es anderer, von außen kommender Maßstäbe. Dadurch wird die Rolle des Gebetes als genuiner Quelle der Offenbarung Gottes zumindest relativiert.

Register und ein mit den Grundlagen des Griechischen vertrauter Lektor (besonders 152-154) hätten dem Buch gut getan. Den Sinn einzelner Sätze konnte ich nur erfühlen: "Celans Psalm erscheint mir hier als doppelter Dialog: Als Dialog verstummenden Schweigens mit dem Sprechen überhaupt und als Dialog eines sprachlichen, die geläufigen Formen poetischen und religiösen Sprechens durchbrechenden Experiments mit der Sprache lebendiger Glaubensüberzeugungen, die auch weiterhin Psalmen erinnert und Psalmen spricht" (116).

Insgesamt bietet B. die bisher am weitesten angelegte Untersuchung zur Acclamatio Nominis Dei. Seine Ausführungen regen an zu einer bewussteren Wahrnehmung der Vielschichtigkeit des Redens zu und von Gott. Ein Urteil in der Frage, wie B.s Vorschlag zu bewerten ist, das Gebet als eigenen Locus Theologicus der katholischen Fundamentaltheologie zu etablieren, steht mir nicht zu; jedenfalls hat B. wichtige Argumente zusammengetragen und stark gemacht.