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Ausgabe:

Januar/2003

Spalte:

70–72

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Batlogg, Andreas R.

Titel/Untertitel:

Die Mysterien des Lebens Jesu bei Karl Rahner. Zugang zum Christusglauben.

Verlag:

Innsbruck-Wien: Tyrolia 2001. 480 S. 8 = Innsbrucker theologische Studien, 58. Kart. ¬ 42,00. ISBN 3-7022-2373-8.

Rezensent:

Barbara Hallensleben

Zwei Anliegen verschränken sich in dieser Dissertation, die in Innsbruck unter Leitung von Karl Neufeld SJ angefertigt wurde: Für die Rahnerforschung versucht Batlogg den bekannten Vorwurf zu widerlegen, Rahner habe spekulative Dogmatik betrieben, ohne auf den "historischen Jesus" Rücksicht zu nehmen. Damit verbindet sich ein mystagogisches Anliegen: der Blick auf das Leben Jesu soll den "garstig breiten Graben" zwischen "zufälligen Geschichtswahrheiten" und "notwendigen Vernunftwahrheiten" überbrücken. Der Vf. sucht bei Rahner nach einem "Weg, im Schauen auf das Leben Jesu zum Glauben an Jesus den Christus zu kommen" (5). Spontan melden sich erste Bedenken: Hat nicht der Blick auf das geschichtliche Leben Jesu den Graben allererst erzeugt oder doch zum Bewusstsein gebracht? Gibt es eine homöopathische Kur, um die Wunde durch das Mittel zu heilen, das sie hervorgerufen hat? B.s Position entspricht der Forschungsrichtung, die in der Exerzitienspiritualität den Schlüssel zum theologischen Werk Rahners sieht. Nicht alle teilen diese Ansicht: Für Miggelbrink "wäre der enorme theologisch-metaphysische Aufwand, den Rahner mit seiner Theologie treibt", bei einer "Reduktion" auf jesuitische Spiritualität "nicht verständlich" (zit. 92). Aus der Perspektive der Letztbegründung heißt es: "Eine solche Relativierung philosophisch-theologischer Begründungspflichten steht doch in der Gefahr, einer Depotenzierung der wissenschaftstheoretischen Valenz und Brisanz Rahnerscher Theologie Vorschub zu leisten" (zit. 93). Der Streit dieser Stimmen ist nur erneut ein Zeugnis für den Graben zwischen Glaube und Vernunft. Im "Schauen auf das Leben Jesu" scheiden sich die Geister: die einen kommen zum Glauben, die anderen wenden sich ab, wie das Evangelium zeigt.

Die Arbeit bestätigt biographisch durchaus Rahners Selbsteinschätzung, die ignatianische Spiritualität sei für ihn "wohl bedeutsamer gewesen als alle gelehrte Philosophie und Theologie innerhalb und außerhalb des Ordens" (zit. 20). Fraglos lässt sich auch Rahners Absicht aufweisen, die "Mysterien des Lebens Jesu" stärker in die Theologie einzubinden, sehr deutlich in dem "Aufriß zur Theologie", den er zunächst gemeinsam mit Hans Urs von Balthasar entwarf, später jedoch eigenständig weiterentwickelte (Schriften zur Theologie I; vgl. 385-396). Ist es jedoch ein Zufall, dass der Autor eingestehen muss: "Karl Rahners Theologie des Lebens Jesu liegt weder als Traktat noch in einem Guß als Artikel oder Buch vor" (264)? Die Materialsammlung der Arbeit ist sicher verdienstlich: Wir lernen - häufig unter Bezug zur Ordensgeschichte - Rahners Exerzitienerfahrung kennen (Teil 1: 15-121), die mannigfachen Prägungen seiner Ordensexistenz, seine Suche nach einer "Jesuitentheologie", die dem Ordensgründer Ignatius besser gerecht wird. Teil 2 (123-261) klärt die Begriffe "Leben Jesu" und "Mysterien": War der Blick auf das Leben Jesu zu Rahners Zeit besetzt durch das Scheitern der liberalen Leben-Jesu-Forschung, so die Rede von den "Mysterien" durch die Kontroverse um die Mysterientheologie Odo Casels. In diese Kontroverse griff Rahner ein, indem er gegen Casels Neigung, das Mysterium als Gegensatz zur theologischen Rationalität zu verstehen, das scholastische Denken verteidigte. Teil 3 der Arbeit (263-406) bemüht sich um die "retrospektive Konstruktion" einer Theologie der "Mysterien des Lebens Jesu" aus diversen Ansätzen in Rahners Werk. Neben Rahners bekannter Symboltheorie hebt die Arbeit seine "Typenlehre" hervor; mit ihr könne ein "Zusammenhang der Lebensereignisse Jesu in ihrer historischen Einmaligkeit und Kontingenz mit dem Leben aller Menschen post Christum natum aufgewiesen und somit die Frage geklärt werden, wie vergangene Geschichte auch heute noch gültig und relevant sein kann" (294). "Typus" ist für Rahner "das, was durch eine Ähnlichkeit oder verhältnismäßige Übereinstimmung auf etwas Zukünftiges hinweist" (zit. 298). Doch worin liegt diese "Ähnlichkeit" zwischen dem Leben Jesu und unserem Leben? Weshalb kommt dem historischen Leben Jesu eine normativ-typische Bedeutung zu, die selbst nicht wiederum auf andere "Typen" zurückgeführt werden kann? Was unterscheidet den Typus des Lebens Christi vom "bloß veranschaulichenden Einzelfall" (vgl. 288) und macht ihn zum "produktiven Vorbild" (vgl. 366)? An dieser und anderen Stellen überdeckt die Materialfülle den Mangel an argumentativer Stringenz der Arbeit in Bezug auf ihre theologische Grundfrage. Vor allem fehlt die "Gegenprobe", ob und wie Rahners spekulative Ansätze konstitutiv durch seine Spiritualität geprägt sind.

Hier führt die Analyse der fundamentaltheologischen Fragestellung der Arbeit weiter, die Rahners eigene theologische Option aufgreift: Die Wahrheit des Glaubens an Christus muss sich nicht nur materialiter an seinem Inhalt, sondern auch formaliter als Wahrheit des Glaubensaktes aufweisen lassen (analysis fidei): "Theologie des religiösen Vorgangs selbst" (zit. 324) - so vermerkt Rahner bereits 1936 im Plan der nie geschriebenen "Dogmatik der Exerzitien". Rahners Christologie will sich im Blick auf den Menschen als "vollendete Anthropologie" erweisen. Seine Theologie steht unter dem Primat der Erkenntnistheorie, insofern das göttliche Handeln am Menschen bewahrheitet werden muss an der menschlichen Erfahrung in der Welt. B. steigert die beiden Aspekte zu einem klischeehaften Gegensatz: "fundamentaltheologisch - vom Menschen her ... dogmatisch - vom Dogma her" (323). "Vom Menschen her" wird das christologische Bekenntnis insofern plausibel, als "alles Menschsein in seiner Einheit von Transzendentalität und Geschichtlichkeit die Potentialität dessen ist, was die Theologie gewöhnlich die hypostatische Union Gottes und seiner ungeminderten und unverkürzten Menschlichkeit nennt" (zit. 331). Wiederholt nennt Rahner unser Leben eine "Fortführung", "Fortsetzung", "prolongatio" des Lebens Jesu (vgl. 83.368.382). Ist das noch das sakramentale Leben "in Christus" in der Differenz der Geschöpflichkeit - oder nicht vielmehr ein Leben wie Christus, ja als Christus? Was wie eine unerhörte Ermächtigung des Menschen klingt, könnte zur Depotenzierung der Schöpfung werden, die ihren Ort verliert, insofern sie eben nicht der Logos ist und an der Einmaligkeit der hypostatischen Union keinen Anteil hat. Viele Spannungen in Rahners Werk, die sich unkommentiert und weitgehend unbemerkt in der Arbeit spiegeln, haben hier ihren Ansatzpunkt: Wie kann B. etwa die "Begegnung mit Gott in geistlicher Sinnlichkeit" (38) bei Rahner hervorheben, während dieser selbst von der ungegenständlichen Gotteserfahrung "auch und vor allem jenseits aller bildhaften Imagination" (zit. 56) und von den Exerzitien als "Schule einer unmittelbaren Gotteserfahrung" (zit. 58) spricht, so dass aus dem ignatianischen "Gott finden in allen Dingen" ein "Gott finden anläßlich der Dinge und jenseits von ihnen" wird? B. selbst kann ein verwundertes "sic!" nicht unterdrücken, dass nach Rahner "ein scheinbar harmloses Verhältnis des unbedingten Vertrauens zu Jesus die klassische Christologie restlos [sic!] implizieren" solle (zit. 347).

Auch der "Epilog" B.s bringt keinen näheren Aufschluss. Nüchtern heißt es hier: "Wer bei Jesus ist, ist noch nicht beim Christus"; dorthin gelangt nur, "wer sich nicht nur akademisch-objektivierend das Leben Jesu vor Augen hält, sondern darin das Geheimnis Gottes aufleuchten sieht" (415) - also: wer glaubt! Wir stehen am Ende dort, wo wir begonnen haben - bei der Frage, wie das Schauen zu einem Weg in den Glauben wird - und müssen feststellen: Das Schauen (auf das Leben Jesu) führt nur insofern zum Glauben, als der Glaube das Schauen der Herrlichkeit der irdischen Gestalt Jesu erschließt. Diesen Zirkel mag die theologische Reflexion erhellen, beseitigen kann sie ihn nicht. Dem Blick auf das Leben Jesu kommt tatsächlich eine Schlüsselrolle in der Theologie Rahners zu, insofern die ignatianische Spiritualität eine produktive Unruhe gerade dort wahrt, wo Rahners theologisch-philosophisches Konzept versagt: an der "Inkongruenz zwischen reflektierender Rationalität der Vorbereitung auf die Entscheidung einerseits und der Absolutheit der Entscheidung selbst" (61), an der Inkongruenz zwischen allgemeiner Vernunft und individueller Freiheit. Vielleicht sollte die Theologie bei Rahner Fragen suchen, nicht aber Antworten erwarten? Dann ist wahrhaftig noch viel Arbeit zu leisten.