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Ausgabe:

Januar/2003

Spalte:

66 f

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Schwebel, Horst

Titel/Untertitel:

Die Kunst und das Christentum. Geschichte eines Konflikts.

Verlag:

München: Beck 2002. 250 S. m. 20 Abb. im Text u. 16 Farbtaf. gr.8. Lw. ¬ 29,90. ISBN 3-406-48678-9.

Rezensent:

Wolfgang Erich Müller

Das Verhältnis von Kunst und Religion lässt sich auf vielfache Weise bestimmen. Horst Schwebel, als Praktischer Theologe in Marburg zugleich Direktor des dortigen Instituts für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart, nimmt in seinem neuen Buch eine von gegenwärtiger Kunst bestimmte Perspektive im Hinblick auf das Christentum ein. Dabei fragt er nicht mehr primär "nach christlichen Inhalten und ihrer Umsetzung in der Gegenwartskunst ..., sondern nach der Kunst selbst und nach ihrer Bedeutung für das christliche Selbstverständnis" (14). Damit geht es ihm um die Reflexion der Verbindung zwischen der gegenwärtigen, der autonom gewordenen Kunst und dem Christentum.

Dieser Problematik ist besonders das dritte Kapitel "Postmoderne - Kirche - Religion" (173-224) gewidmet, während die beiden vorangehenden Kapitel historisch ausgerichtet sind. Im ersten wird "Die Bildgeschichte des Christentums" (15-73) von den ersten Bildzeugnissen in der Katakombenmalerei, dem Bilderstreit, der Bildgeschichte des Mittelalters und dem Einschnitt durch die Reformation bis zum Barock dargelegt, den Sch. als Höhepunkt, aber auch als Ende der christlichen Kunst auslegt. Denn nach dem Barock sei durch Aufklärung und Französische Revolution die Einheit von christlicher und hoher Kunst zerbrochen, die christliche Vorstellungs- und Bildwelt wurde fortan nicht mehr als gegeben hingenommen. So musste das Verhältnis von Christentum und Kunst neu begründet werden. Diesen Sachverhalt zeichnet Sch. im zweiten Kapitel "Das Christentum und die Kunst der Moderne" (75-172) nach. Hier schreibt er Caspar David Friedrich zu, mit seinem Bild "Kreuz im Gebirge" (1807/08) einen Paradigmenwechsel hinsichtlich des Verhältnisses von Kunst und Religion vollzogen zu haben: "An die Stelle einer verbindlichen Ikonographie ist die Subjektivität des Künstlers getreten, der sein religiöses Fühlen in dem dafür neuen Medium der Landschaft zum Ausdruck bringt" (77). Die Darstellung der religiösen Thematik beleuchtet Sch. dann an den gegen die Zeit gerichteten Bewegungen der Nazarener, der Prärafaeliten und der Schule von Beuron. Ein Unterkapitel ist dem Christusbild im Expressionismus gewidmet, ein anderes christlichen Themen in der modernen Kunst anhand von Beispielen bei Marc Chagall, Francis Bacon, Herbert Falken, Alfred Hrdlicka, Werner Kaupp, Arnulf Rainer, Joseph Beuys oder Hermann Nitsch. Auf sehr knappem Raum gibt Sch. damit Beispiele für das Verhältnis von Kunst und Christentum, das nach dem Barock in höchst unterschiedlicher Weise neu gestaltet ist, also für die Gegenwart relevant bleibt.

Seiner eigenen Auffassung im dritten Kapitel stellt Sch. im zweiten Kapitel eine Darlegung theologischer Versuche voran, denen es um eine Zuordnung von Kunst und Theologie oder Kirche geht. Aus den Untersuchungen von Hans-Eckehard Bahr, Rainer Volp, Kurt Lüthi, Wieland Schmied, Emil Wachter und Günter Rombold zieht Sch. den Schluss, dass die Kirche die Kunst der Moderne nicht für Zwecke der Verkündigung oder der Lehre mehr in Anspruch nehmen kann. Außerdem "haben die kirchlichen Kreise ebenso Schwierigkeiten im Umgang mit Gegenwartskunst wie die Kunstszene Schwierigkeiten mit einer religiösen Deutung künstlerischer Phänomene hat" (144). Wie aber können Kunst und Theologie resp. Kirche dann Partner sein?

Sch. versucht hierauf eine Antwort, indem er die Kunst der Moderne selbst als Religion deutet und zwar in dreifacher Hinsicht: die zunehmende Abstraktion, so bei Barnett Newman oder Marc Rothko, verweise auf eine Wirklichkeit jenseits der Wirklichkeit, womit ein mystisches Moment gegeben sei: "Eine Kunst des Unsagbaren steht nicht außerhalb des christlichen Glaubensverständnisses, sondern ist, indem sie die Grenze zum Nichtsprachlichen überschreitet, ein Teil davon" (209). Die Durchbruchserfahrung der Kunst, theologisch das Prophetische, erkennt Sch. etwa im Expressionismus oder bei Beuys. Die Transzendenz in der Immanenz aufscheinend, also das Epiphane macht Sch. beispielsweise an Werken von Wolfgang Laib oder Antoni Tàpies fest. Diese dreifache Verbindung von Kunst und Transzendenz führt Sch. allerdings nicht zu der umfassenden Folgerung, alle Kunst habe mit Transzendenz zu tun. Trotz dieses Plädoyers bleibt das Gespräch zwischen Kirche und Gegenwartskunst schwierig, denn: "Das Neue im Gegensatz zur christlichen Bildgeschichte besteht darin, daß die Kirche bereit sein muß, Kunst als Kunst zu bejahen. Dabei ist die Gegenwartskunst in ihrer Autonomie zu respektieren" (223). An dieser Stelle wird deutlich, dass das große Thema Kunst und Religion, das Sch. im letzten Teil seines Buches auf das Verhältnis von Kunst und Kirche verkürzt, solange in einem Zustand des gegenseitigen Nichtverstehens verbleibt, wie die jeweiligen Wege der Welterschließung von Kunst und Religion nicht vermittelt werden.