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Ausgabe:

Januar/2003

Spalte:

58–60

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Neander, Joachim

Titel/Untertitel:

Einfältige Bundeslieder und Dankpsalmen. Hrsg. von R. Mohr.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2002. 192 S. 8 = Kleine Texte des Pietismus, 4. Kart. ¬ 12,00. ISBN 3-374-01789-4.

Rezensent:

Andreas Deppermann

Mit den "Einfältigen Bundesliedern und Dankpsalmen" Joachim Neanders liegt nun der vierte Band der Reihe "Kleine Texte des Pietismus" (KTP) vor. Die Herausgeber dieser Reihe haben sich zum Ziel gesetzt, "textlich zuverlässige" und "gemeinverständlich erschlossene" (189) Werke aus der Tradition des Pietismus zugänglich zu machen. Die exemplarischen Textzeugnisse aus den unterschiedlichen Strömungen und Epochen des Pietismus sollen die ganze Breite des pietistischen Einflusses auf Theologie, Philosophie, Literatur, Musik und bildende Kunst, Medizingeschichte und Diakonie dokumentieren. Nach Johann Friedrich Rocks Autobiographischen Schriften (KTP 1), August Hermann Franckes Lebensläufen (KTP 2) und Texten von Johann Wolfgang von Goethe (KTP 3) wird mit dem Liederdichter Joachim Neander (1650-1680) eine zentrale Gestalt des älteren reformierten Pietismus vorgestellt.

Der Band enthält ungekürzt die 57 Lieder der ersten, noch zu Lebzeiten des Vf.s 1680 gedruckten Ausgabe der "Bundeslieder". Der umfangreiche Kommentar des Herausgebers Rudolf Mohr gibt zuverlässig und kundig Auskunft zum sprachlichen und theologischen Hintergrund der Texte und weist minutiös die zahlreichen biblischen Zitate und Anspielungen nach, die in N.s Dichtung in fast jedem Vers zu finden sind. Eine kurze editorische Notiz informiert über die weiteren Ausgaben der "Bundeslieder", als deren Herausgeber im 18. Jahrhundert auch Gerhard Tersteegen hervorgetreten ist. Abgerundet wird der Band durch ein Nachwort, ein Literaturverzeichnis in Auswahl und ein Register der Liedanfänge.

Der spärlich bekannte Lebensweg N.s gibt nur wenige Anhaltspunkte zum Verstehen seiner Dichtung. Nach seiner Bekehrung durch Theodor Undereyck in seiner Heimatstadt Bremen ging er als Informator und Theologiestudent nach Frankfurt am Main und Heidelberg. Seine erste Anstellung fand er 1674 als Schulrektor in Düsseldorf, wo er wegen privater Versammlungen und labadistischer Neigungen Schwierigkeiten bekam. Schon 1680 verstarb er, knapp ein Jahr nach seiner Berufung als Frühprediger in Bremen an St. Martini. Die "Bundeslieder" sind geprägt von einem intensiven persönlich-subjektiven religiösen Erleben. Zum Ausdruck kommen ein nachhaltiges Sündenbewusstsein, das demütige Empfinden der eigenen Niedrigkeit und der Entschluss zur Weltabkehr ebenso wie das Loben Gottes (häufig verbunden mit eindrücklichen Naturbildern) und die Sehnsucht nach Gemeinschaft mit Christus, dem Erlöser. In seinem Nachwort hebt Mohr einige in den Liedern erkennbare Grundlagen der Dichtung und Theologie N.s hervor. An erster Stelle steht hier die Bibel. In der Regel verwendet N. die Übersetzung Martin Luthers, die er aber an einigen Stellen vom hebräischen und griechischen Urtext her korrigiert. Als weitere Quellen nennt Mohr den Heidelberger Katechismus, die Bundes- und Föderaltheologie des Johannes Coccejus und Elemente der (deutschen) Mystik. Ergänzend sollte zum Verständnis N.s m. E. auch sein Kontakt zum frühen Frankfurter Pietismus herangezogen werden. Diese Verbindung macht die enge Anlehnung an die Bibel und die Nähe zur Mystik plausibel, aber auch die Konflikte des jungen Schulrektors N. (vgl. hierzu jetzt A. Deppermann, Johann Jakob Schütz und die Anfänge des Pietismus [BHTh 119], Tübingen 2002).

N. wollte seine Lieder als Aufmunterung zur Glaubenspraxis verstanden wissen, eine "Glaub= und Liebes=übung", "zu lesen und zu singen auff Reisen/zu Hauß oder bey Christen=Ergetzungen im Grünen" (5). Zurecht macht Mohr (184) aber auch auf einen anderen Zusammenhang aufmerksam. Das den Liedern vorangestellte "Auffmunterungs=Madrigal" bringt mit dem Stichwort "Teutsch=gesinneter Zuneigung" (12) ein weiteres Motiv des Dichters ins Spiel: Die Förderung der deutschen Sprache. Die häufige Verwendung des Partizips in den Liedüberschriften N.s (z. B. "Der Lobende") erinnert wohl nicht zufällig an die Namensgebung der Mitglieder der "Fruchtbringenden Gesellschaft", der wichtigsten Sprachgesellschaft des 17. Jh.s.

Die "Bundeslieder" N.s blieben das einzige Werk des früh verstorbenen Dichters. Sie waren von großer Wirkung und haben u. a. "auch im Reformiertentum die Tür geöffnet für ein breiteres Liedgut als ausschließlich Nachdichtungen von Psalmen" (181). Immerhin drei der Lieder N.s sind noch heute im Stammteil des Evangelischen Gesangbuches enthalten, ein Beleg für den bis in die Gegenwart reichenden Einfluss des reformierten Dichters. Der Intention der Herausgeber nach sind die "Kleinen Texte des Pietismus" nicht nur für Fachgelehrte konzipiert, sondern auch für die kirchliche Leserschaft und alle an unserer kulturellen und literarischen Tradition Interessierten. Eine solche breite Aufnahme kann man diesem preiswerten, ebenso lesbaren wie wissenschaftlich soliden Büchlein durchaus wünschen.