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Ausgabe:

Januar/2003

Spalte:

56–58

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

1) Kösters, Christoph 2) Kösters, Christoph [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

1) Staatssicherheit und Caritas 1950-1989. Zur politischen Geschichte der katholischen Kirche in der DDR.

2) Caritas in der SBZ/DDR 1945-1989. Erinnerungen, Berichte, Forschungen.

Verlag:

1) Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2001. 225 S. 8 m. Tab. Kart. ¬ 15,80. ISBN 3-506-74792-4.

2) Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2001. 257 S. m. Tab. 8. Kart. ¬ 15,80. ISBN 3-506-74791-6.

Rezensent:

Friedemann Stengel

Nach Bernd Schäfers fundamentaler Untersuchung zur katholischen Kirche in der DDR1 und gleichsam als konfessionelle Parallele zu einem Sammelband über die Geschichte der Diakonie im geteilten Deutschland2 liegen nun erste Studien zur Caritas vor, die bemerkenswerte Schneisen in dieses brisante Thema kirchlicher Zeitgeschichte schlagen. Die Monographie über Staatssicherheit und Caritas beleuchtet deren Verhältnis zueinander in drei zeitlichen Phasen. Die erste Phase der "gewaltsamen Repression" zwischen 1950 und 1961 war - in gewisser Analogie zur evangelischen Kirche - von dem Versuch des SED-Staates und seiner Geheimpolizei gekennzeichnet, die Arbeit der Caritas durch Verbote, Verhaftungen, Auflösungen von Heimen etc. unmöglich zu machen oder wenigstens schwer zu behindern. Den Zeitraum zwischen 1961 und 1968 charakterisiert K. als "pragmatische Koexistenz" einer politisch abstinenten katholischen Kirche mit einem Staat, dem nach dem Mauerbau an innenpolitischer Konsolidierung gelegen war und der auf geheimdiplomatischem Wege sowohl die sozialpolitischen Effekte der Caritasarbeit für sich zu nutzen bestrebt war als auch die Möglichkeit neuer Devisenbeschaffungswege erkannte. Das sogenannte "Kirchengeschäft B" - der Freikauf von politischen Häftlingen, der durch Caritas und Diakonie organisiert wurde, Familienzusammenführungen, die Ausreise von Kindern nach 1961, alles Aktionen, die durch den umstrittenen Unterhändler Wolfgang Vogel vermittelt wurden- beginnt in dieser Zeit. Dem folgte von 1968 bis 1989 eine "partielle Kooperation", die wenigstens zu Beginn mehr kirchenpolitisch als caritativ orientiert war (183) und auf beständigen geheimen Kontakten bischöflich Beauftragter zu verschiedenen Ministerien fußte.

Wendepunkt in den Beziehungen zwischen MfS und Caritas war die Inhaftierung und Verurteilung von vier Jesuitenpatres und zwölf Laienkatholiken 1958. Mit Wissen und im Auftrag seines vorgesetzten Bischofs nahm der - insgesamt sehr stark hervorgehobene - Berliner Prälat Johannes Zinke, Leiter der Hauptvertretung Berlin des Deutschen Caritasverbandes, einen Kontakt zum MfS auf, dessen Gestalt prägend für den speziellen Modus der "Kooperation" zwischen Staatssicherheit und katholischen Geistlichen werden sollte. Die für Kirchenfragen zuständige Abteilung des MfS registrierte Zinke nämlich als Inoffiziellen Mitarbeiter (IM), während er von seinem Vorgesetzten "Gesprächsbeauftragter" gegenüber den Geheimdienstoffizieren und anderen Regierungsstellen blieb - eine Zusammenarbeit mit dem MfS, die wegen der besonderen Eigenart der anscheinend fehlenden Konspiration für den evangelischen Bereich m. W. nicht nachgewiesen werden kann. Zinkes "multilaterale" Gesprächskontakte gingen nach seinem Tod 1968, der für K. auch die Phase der "partiellen Kooperation" einleitete, auf mehrere kirchliche Amtsträger über (127.150), die auf den Strängen zum MfS, den Staatssekretären für Kirchenfragen, dem Ministerium für Außenwirtschaft (Schalck-Golodkowskis berüchtigte "KoKo") und zu Rechtsanwalt Vogel im Geheimen verhandelten. Alle diese Beauftragten wurden auch als IM geführt. Das ist umso auffälliger, als von 137 leitenden Mitarbeitern der Caritas, die für die Studie untersucht wurden, neben diesen nur drei konspirativ arbeitende IM auszumachen waren, die ihre Kontakte ohne Wissen ihrer Vorgesetzten pflegten (53), sieht man davon ab, dass einige Personen wie der spätere Schweriner Bischof Theodor Hubrich noch nach ihrer kircheninternen Beauftragung mit dem MfS zusammenarbeiteten (161 ff.184) und dieser Fakt von K. zumindest als problematisch angesehen wird.

Wichtige politisch-diplomatische Begegnungsfelder, Handlungsstrukturen und handelnde Personen werden beschrieben, wobei auf (teils spannende) Einzelvorgänge nur selten eingegangen wird, so etwa im Falle der von Zinkes Nachfolger Otto Groß über das MfS vermittelten diplomatischen Anerkennung der DDR durch Algerien als Gegenleistung für die Ermöglichung einer Spende an die dortige Caritas (129 ff.). Auffällig ist nun aber, wie der Kontakt der Caritasfunktionäre zum MfS beleuchtet wird. Hier erfährt man nämlich neben dem bloßen dass, den Erfolgsmeldungen aus der geheimdiplomatischen Arbeit und über die Auskunft hinaus, es habe sich ja fast durchweg um Beauftragungen gehandelt, fast nichts Inhaltliches. Zuweilen wird die Aktenlage verantwortlich sein (vgl. z. B. 184, Anm. 572); welche Gegenleistungen und Zugeständnisse außerhalb des Devisengeschäfts erbracht wurden, welcher Einfluss dem MfS auf die Caritas also wirklich zuzuschreiben ist, wird hingegen kaum beschrieben, es sei denn, man begnügt sich mit der Sichtweise Kardinal Meißners von 1999, er sei sich darüber nicht im Klaren, inwieweit die Caritas das politische System stabilisiert habe. So wird etwa der Frage, ob und inwieweit der organisierte und von Bonn teils misstrauisch beäugte Häftlingsfreikauf die Verurteilungszahlen in die Höhe trieb, ebensowenig nachgegangen wie die Rolle von Rechtsanwalt Vogel bei diesem Geschäft kritisch beleuchtet wird. Nicht nur hier entsteht der Eindruck, dass Existenz und Inhalt der MfS-Unterlagen zwar bekannt waren, sie aber nicht wirklich ausgewertet wurden. Trotz des ungeschmälerten Verdienstes einer ersten Bestandsaufnahme bleiben hier Fragen offen.

Der allgemeiner gehaltene Band "Caritas in der SBZ/DDR" fasst einschließlich eines Extrakts aus K.' auf die Staatssicherheit bezogenem Buch 12 teils erhellende Beiträge einer größtenteils aus Zeitzeugen, vorwiegend ehemals leitenden Caritasfunktionären, bestehenden Tagung vom Mai 1999 zusammen. Der Historiker Hans Günter Hockerts beschreibt die Grundkoordinaten der "Fürsorgediktatur" hinsichtlich der im Vergleich mit dem übrigen Ostblock einmaligen Caritas in der DDR, die sich von manchen traditionell sozialen Ansatzpunkten ausgehend hin zu politischen Bereichen zu orientieren hatte. In diesem Sinne stellt Heinz Dietrich Thiel die Hauptvertretung des Deutschen Caritasverbandes in Berlin als "Umschlagplatz" für Waren und Finanzen aus einer Quellenpalette dar, die von der Bundesregierung bis zum Bonifatiuswerk reichte. Hellmut Puschmann ergänzt dies mit seinem Vortrag über die Arbeit der Zentralstelle Berlin, die von Zinke neben der Hauptvertretung als östliches Standbein gegründet worden war, wobei manche Aufgabenbereiche, gerade "humanitäre" Angelegenheiten wie Ausreisen, Freikäufe und Spezialkontakte etwa zum MfS, in einer Weise benannt werden, die eine Nachbearbeitung erfordern. Unter Hinweis auf die nicht freigegebenen westdeutschen Archive bietet die frühere Bundesministerin für innerdeutsche Beziehungen Dorothee Wilms einen - nicht nur statistischen - Überblick über die materielle und diplomatische Unterstützung der Caritas durch die Bundesregierungen. Reibungsflächen zwischen der DDR-Regierung und der Caritas bei der Gültigkeit in Kraft tretender staatlicher Vorschriften wie Vergütungs-, Ausbildungs- und Finanzierungsregelungen stellt Dieter Stolte instruktiv dar. Entsprechend der oben genannten unkritischen Darstellung seiner Rolle lesen sich Wolfgang Vogels eigene Erinnerungen an seine anwaltlichen Kontakte zwischen beiden deutschen Staaten sowie der DDR-Regierung (+MfS) und den Kirche(n). Demgegenüber bleibt Vogels Wunsch, sich selbst über ein unbelegbares Gespräch mit Johannes Zinke (138) gleichsam in den Kreis der kirchenhierarchisch Gesprächsbeauftragten einzureihen, denkbar unkommentiert.

Eine Übersicht über Strukturen und Alltag der Caritas in der DDR mit einem historischen Abriss und genauen Angaben über die Zahl der Einrichtungen, Mitarbeiter und Ausgebildeten ist bei dem Historiker Josef Pilvousek zu finden. Dieter Grande trägt entsprechendes, vorwiegend statistisches Material speziell für das Bistum Dresden-Meißen aus der ersten Hälfte der achtziger Jahre zusammen, während Peter Willms sich auf die besonderen Probleme der bei der Bevölkerung renommierten katholischen Krankenhäuser in der DDR konzentriert. Auf das Problem der Ausbildung eigenen Personals für den mittleren kirchlich-caritativen Dienst in einem Staat, der das Ausbildungs- und Bildungsmonopol allein beanspruchte, geht Silvia Kroll ein, und Roland Steinke spezifiziert diese Thematik mit einem Erlebnisbericht über das Aus- und Weiterbildungszentrum in Ostberlin. Eine Zusammenfassung der Diskussionsergebnisse beschließt den Band. Beide Bücher geben eine erste Übersicht über die Existenz von Caritas in der DDR, wobei an manchen Stellen, gerade wenn sie das (Geheim-)Diplomatische betreffen und Personen tangieren, weiter Forschungsbedarf besteht.

Fussnoten:

1) Bernd Schäfer: Staat und katholische Kirche in der DDR. Köln 1998 (Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung, 8).

2) Diakonie im geteilten Deutschland: Zur diakonischen Arbeit unter den Bedingungen der DDR und der Teilung Deutschlands. Hrsg. von Ingolf Hübner und Jochen-Christoph Kaiser. Stuttgart u. a. 1999.