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Ausgabe:

Januar/2003

Spalte:

46–48

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Edgar, David Hutchinson

Titel/Untertitel:

Has God Not Chosen the Poor? The Social Setting of the Epistle of James.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 2001. 261 S. gr.8 = Journal for the Study of the New Testament Supplement Series, 206. Lw. £ 45,00. ISBN 1-84127-182-9.

Rezensent:

Matthias Ahrens

Viele neuere Arbeiten zum Jakobusbrief (Jak) haben eins gemeinsam: Sie möchten den Jak in Schutz nehmen. Auch David H. Edgar rahmt die Buchausgabe seiner Dissertation "Has Not God Chosen the Poor? The Social Setting of the Epistle of James" mit Hinweisen auf das Unrecht, das dem Jak angetan worden sei. Mit den Worten "The Epistle of James has suffered more than most NT writings" (11) beginnt das Vorwort; und das Buch endet mit dem Hinweis, der Jak verdiene "far more attention than has usually been the case" (231).

Auf der inhaltlichen Ebene liegt für E. im richtigen Verständnis der Aussagen über die Armen der Ausgangspunkt für das Verständnis der ganzen Epistel, der sozialen Situation ihrer Adressaten wie der Theologie des Autors. Er zeichnet ein durchaus überzeugendes sozialgeschichtliches Bild, indem er drei Forschungsstränge zusammenführt: Mit der sozialgeschichtlichen Exegese deutscher Provenienz (L. Schottroff u. a.) legt E. Wert auf die Feststellung, dass es im Jakobusbrief um real Arme geht und nicht um ein ethisches Ideal (109). Zugleich versteht er die Armen des Jak als "Wanderradikale", wie G. Theißen sie in der "Soziologie der Jesusbewegung" dargestellt hat, als Prediger, die durchs Land zogen und auf die Unterstützung von Sympathisanten und Sympathisantinnen in den Ortsgemeinden (wie die Adressaten des Jak) angewiesen waren (108). Schließlich sieht E. mit den sozialwissenschaftlichen Arbeiten US-amerikanischer Exegeten und Exegetinnen (B. J. Malina u. a.) die antike mediterrane Gesellschaft vor allem durch die Begriffe "Ehre und Scham/Schande" (engl. Honor and Shame) sowie durch Patron-Klienten-Beziehungen geprägt (106).

Mit Malina bezieht er den Begriff ptochos nicht auf "a person of few means who had to labour ceaselessly to maintain a living" (das bedeute penes), sondern auf eine "revolving class of people ... who cannot maintain their inherited status" (106).

Das Verhältnis des Jak zu den Adressaten und den Armen sowie deren Bedeutung in der Theologie wird für E. vor allem in Jak 2,1-7 deutlich. Danach suchen die Adressaten in ihrer Versammlung materielle Absicherung bei reichen Patronen und verachten die Wanderradikalen, die sie nach Jesu Auftrag eigentlich unterstützen müssten. Mit der Epistel will Jak ihnen klarmachen, dass sie sich damit von Gott abwenden. Nicht bei den reichen Patronen, sondern bei Gott, dem "supreme patron" (196), sollen sie um Unterstützung bitten.

Diese durchaus instruktive Darstellung ist allerdings nur in den Verhältnissen vor dem Jüdischen Krieg denkbar und fußt deshalb auf der unsicheren Frühdatierung des Jak (zwischen 62-66). E. ist klar, dass mit den bekannten Argumenten keine klare Aussage möglich ist; deshalb bezeichnet er seine Verständnis als "a plausible socio-historical background against which the text's concerns make sense" (229). Autor des Jak ist für ihn dennoch nicht der Herrenbruder, sondern ein Anonymus mit guter Bildung, "who had lost social standing" (223), ein ptochos also im geschilderten Sinne.

Leider verbirgt der Autor seine interessante Position auf wenigen Seiten mitten im Buch, umgeben von eher konventionellen Darstellungen.

Auf der formalen Ebene vertritt E. die These, der Jak stelle "a coherent and finely crafted composition" (231) dar, und wendet sich damit ausdrücklich gegen Dibelius' Diktum, dem Jak fehle "der gedankliche Zusammenhang". Auch wenn es inzwischen allgemein üblich ist, sich von Dibelius abzugrenzen, bleibt die Frage, ob das nötig ist. Der Wert des Jak, so hatte Dibelius 1921 in seinem Kommentar festgestellt, liegt nicht in den originellen Gedanken des Autors. Der ist "Eklektiker" und "benutzt, ordnet und formt" die Überlieferung so, dass in dem neuen Text "seine Interessen und Absichten (zu) erkennen" sind. Der fehlende Zusammenhang entspricht der paränetischen Form der Epistel; positiv gewendet: "This principle of loose arrangement facilitated the adoption of all kinds of materials and the intermingling of the writer's own creations and traditional sentences" (P. W. v. d. Horst: The Sentences of Pseudo-Phocylides, 1978,80).

Eigentlich unterscheiden sich die Wahrnehmungen gar nicht so sehr: Auch E. betont die Traditionsgebundenheit des Jak; und die Orientierung am (hellenistischen) Epistelformular ist letztlich nur auf der inhaltlichen Ebene zu belegen (210).

Wie in anderen sozialwissenschaftlich orientierten Darstellungen kommt auch bei E. die literarische Dimension etwas zu kurz. So bleiben die Kriterien unklar, nach denen er die Angaben von 2,2 ff. als Reflexion der "real situation of the addressees" (166) versteht, die Anrede in 4,1-10 dagegen als "figurative, rhetorically overstated" (190).

Eine Bewertung, ob die interessanten Impulse im Zentrum der Arbeit die konventionellen Kapitel drumherum aufwiegen, steht jemandem, der sich selbst einmal am gleichen Thema versucht hat, nicht an. Nur eins steht fest: Schutzbedürftig ist der Jak nicht.