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Ausgabe:

Januar/2003

Spalte:

44–46

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Broer, Ingo

Titel/Untertitel:

Einleitung in das Neue Testament. II: Die Briefliteratur, die Offenbarung des Johannes und die Bildung des Kanons.

Verlag:

Würzburg: Echter 2001. VI, S. 291-730 gr.8 = Die Neue Echter Bibel, Ergänzungsband zum Neuen Testament, 2/II. Kart. ¬ 34,80. ISBN 3-429-02316-5.

Rezensent:

Traugott Holtz

Der zweite und abschließende Teil der "Einleitung in das Neue Testament", die der Siegener Neutestamentler Ingo Broer erarbeitet hat, enstpricht sowohl formal als auch sachlich genau dem ersten (s. dazu ThLZ 124, 1999, 1118-1120), was dadurch, dass beide Bände fortlaufend durchpaginiert sind, auch bewusst gemacht wird. Der zweite Band teilt die Vorzüge des ersten: Die Darlegungen sind durchsichtig, die Diskussion der Probleme ausführlich und ausgewogen, das Urteil vorsichtig, aber klar, auch in den nicht wenigen Fällen, in denen - nach meist berechtigter Meinung des Vf.s - eine eindeutige Entscheidung nicht erreichbar ist. Denn es dient durchaus der Klarheit, wenn eine Unklarheit als solche klar benannt wird. Und auch die Literaturhinweise am Ende jedes Paragraphen sind wieder hilfreich und in ihrer Auswahl überlegt; natürlich kann man hier Fragen stellen, doch ist das nicht zu umgehen. Ohnehin ist jede aktuelle Literaturauswahl alsbald auf dem Wege zu veralten (allerdings sollte A. Deißmann, LvO, statt, wie S. 318, mit der 2. von 1909 mit der "völlig neubearbeiteten" 4. Aufl., 1923, genannt werden). Andererseits ist freilich auch dieser Teil reichlich umfangreich geraten. Man ist versucht zu vermuten, dass eine Differenz über den intendierten Leserkreis zwischen dem Verlag (und dem - ungenannten - Herausgeber der Reihe) und dem Autor nicht völlig ausgeglichen werden konnte.

Behandelt werden "die Briefliteratur, die Offenbarung des Johannes und die Bildung des Kanons". Freilich sind die drei Johannesbriefe bereits im ersten Band zusammen mit dem JohEv in einem gemeinsamen Hauptteil "Das johanneische Schrifttum" bearbeitet worden. Die zu Recht davon getrennt erst jetzt im 2. Band in den Blick gefasste JohOffb beansprucht einen eigenen 6. Teil: "Apokalyptische Literatur im Neuen Testament". Dass das, obwohl es sich auf eine eingebürgerte Tradition berufen kann, nicht unproblematisch ist, kann schon der Tatbestand signalisieren, dass allein diese eine Schrift hier erscheint. Sich selbst präsentiert die Offb denn ja auch als Brief, 1,4, durch den Schluss 22,21 deutlicher als solcher markiert als Jak, Jud, 2Petr. Zutreffend bemerkt B., dass die JohOffb der Gattung "Apokalypse" den Namen gegeben hat (660); doch muss sie nicht schon deshalb zu einer so genannten Gattung gehören, da der Name der Gattung ebenso wie diese selbst erst ein gelehrtes Produkt einer späteren Zeit ist.

Es bleibt gewiss für die Forschung eine lohnende Aufgabe, dem Ursprung, der Bedeutung und der Geschichte der realen oder fiktiven Briefform nachzugehen, in der die unterschiedlichen Texte im Neuen Testament begegnen. B. gibt eine informative Einführung in die gleichsam klassische Briefform der Antike mit besonderem Blick auf die Paulus-Briefe, bereichert um einen Exkurs über "die Fähigkeit zum Lesen und Schreiben und das Postwesen in der Antike" sowie einen Anhang, der sechs Briefe sehr verschiedener Provenienz aus neutestamentlicher Zeit in deutscher Übersetzung (s. auch 405) und mit kurzen, instruktiven Erläuterungen bietet. Das ist hilfreich für das Verständnis, auch dadurch, dass die sehr differenzierte Eigenart derjenigen neutestamentlichen Texte, die sich der Briefform bedienen - einschließlich der echten Paulusbriefe! -, deutlich sichtbar wird. Nur verstärkt sich dadurch die Frage, warum sie sich alle als Briefe präsentieren wollen.

Ein gewisses Problem stellt die Einordnung des Hebräerbriefs bei B. unter die "unechten Paulusbriefe" dar. Das hängt wohl mit dem konfessionellen Kontext des Buches zusammen; denn auch hier entspricht das - wie durchgehend - ausgewogene Urteil des Vf.s dem, was der kritische Konsens der Forschung (mit dem auch der Kommentator des Textes in der Reihe, C.-P. März, übereinstimmt) wahrscheinlich gemacht hat: Bei dem unbekannten Autor des Hebr "dürfte es sich um einen Judenchristen aus der Diaspora handeln, der sich möglicherweise dem Stand der urchristlichen Lehrer zugerechnet hat" (577), jedenfalls nicht den Anspruch erhebt, Paulus zu sein.

Zu den unechten Paulusbriefen wird neben Eph und Past auch 2Thess und Kol gerechnet. Auch das entspricht dem kritischen Konsens der Gegenwart, wenn auch für die beiden letztgenannten Texte in jüngerer Zeit wieder vermehrt Möglichkeiten zur Diskussion gestellt werden, sie als von Paulus selbst verantwortet zu verstehen. Natürlich verweist B. auf diesbezügliche Diskussionen, entscheidet sich aber gegen sie. Dabei dürfte das Urteil, im Kol begegne nicht nur eine Weiterentwicklung paulinischer Gedanken, sondern auch eine neue theologische Konzeption (497), jedenfalls etwas zu weit gehen. Andererseits steht B. den zeitweise so gut wie gesichert geltenden Teilungshypothesen bezüglich der echten Paulusbriefe zurückhaltend gegenüber. Völlig zu Recht ist dabei für ihn offenbar die Frage entscheidend, warum nur ein der Abfassungszeit noch naher Redaktor, nicht aber Paulus selbst die vorliegenden Brieftexte als Einheiten verstanden haben kann (s. 383 f. [zu Phil]; 414 ff, [zu 2Kor]). B. behandelt alle Briefe des NT als einheitliche, in sich geschlossene Texte - und das nicht nur, weil sie in solcher Form kanonisch wirksam geworden sind.

Im Zusammenhang der Past befasst sich B. ausführlicher mit dem Problem der Pseudepigraphie. Er geht dabei auch - unter aufschlussreicher Zitation antiker Texte (in deutscher Übersetzung) - auf den Umgang mit ihr in der Antike ein; dadurch hilft er wesentlich zum sachlichen Verständnis dieses komplexen Phänomens, das häufig auf Grund wissenschaftlicher Routine in seiner Problematik unzureichend wahrgenommen wird. Das diesen Abschnitt abschließende Zitat von Martin Dibelius (567), in dem die antike Pseudepigraphie moralisch auf eine Stufe mit modernen literarischen Fiktionen gestellt wird, entschärft indessen das zuvor zutreffend herausgearbeitete Problem doch wohl etwas unangemessen.

Ein das Gesamtwerk abschließender 7. Teil behandelt "die Entwicklung der neutestamentlichen Schriften zum Kanon Heiliger Schrift". Er ist nur kurz (685-702) und auf die historische Entwicklung des Kanons konzentriert, freilich unter Einbeziehung von Erörterungen über den Weg hin zum neutestamentlichen Kanon, der vom Kanon des AT zur Zeit Jesu und der werdenden christlichen Gemeinde über die Autorität des Kyrios Jesus und die der Apostel hin zum mehr oder weniger im Umfang geschlossenen Neuen Testament führt.

Wie schon Band I so schließt auch Band II mit Registern (zu Stellen und zu [antiken biblischen] Personen, Sachen und Orten) und einem "Glossar"; zumal angesichts der durchgehenden Seitenzählung hätte man es begrüßt, wenn in die Register hier die des 1. Teils eingearbeitet wären. - Wie der erste Band hätte auch dieser besser lektoriert werden sollen; so fällt sogleich im Inhaltsverzeichnis die fehlende Seitenangabe bei 13 (316) auf!

B. hat ein gutes Werk zum Abschluss gebracht. Dafür ist ihm zu danken. Die besonnene Art des Urteils und der Darstellung, die kritischen Fragen nicht ausweicht, ihnen aber auch nicht verfällt, verdient uneingeschränkte Anerkennung.