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Ausgabe:

Januar/2003

Spalte:

30 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Quinn-Miscall, Peter D.

Titel/Untertitel:

Reading Isaiah. Poetry and Vision.

Verlag:

Louisville-London-Leiden: Westminster John Knox Press 2001. VIII, 224 S. gr.8. Kart. US$ 20,95. ISBN 0-664-22369-9.

Rezensent:

Peter Höffken

Das Werk des früher als P. Miscall publizierenden Autors stellt eine Einführung in die Lesepraxis des Gesamtbuches dar, das unverkennbar für Studenten der Anfangssemester bzw. Leser ohne Hebräischkenntnisse geschrieben ist, wie die ausführlichen Erörterungen zu verschiedenen englischsprachigen Versionen zeigen (5-10 u. ö., vor allem auch in den Anmerkungen). Das Buch hat also den Charakter einer Einstiegslektüre in ein Prophetenbuch, seine Themen, Bilder und personalen Interaktionen oder Akteure. Dass Q.-M. dabei das Gesamtbuch unter dem Aspekt einer redaktionellen oder eher kompositorischen Einheit aus dem 5. oder 4. Jh. (vgl. 3) betrachtet, ist auf dem Hintergrund seiner früheren Veröffentlichungen nicht verwunderlich. Nach der Einleitung, die vor allem auch die sprachlich-stilistische Seite des Buches beleuchtet (1-21), folgt ein Kapitel (23- 42), das zunächst relativ grobmaschig die im Jesaja-Buch Revue passierende Geschichtsepoche darstellt und dem dann einige Gedanken zur Gliederung des Gesamtbuches nachstellt (26 ff.), die im 1. Buchteil durchaus konventionell ist, im 2. Buchteil aber durchaus auch von der gängigeren Gliederung abweichen kann (z. B., wenn Kap. 55 als Übergangskapitel verstanden wird, 38). Dem locker gefügten Gedankengang entspricht es, wenn Q.-M. keinen stringenten roten Faden oder eine ähnlich formulierbare Ausrichtung des Werkes nachzuweisen unternimmt. Das Buch ist sozusagen ein locker gewebter Stoff.

In den folgenden drei Kapiteln geht Q.-M. auf Konzepte oder Begriffe ein, die im Buch eine Rolle spielen (Kap. 2; 43- 67), dann auf Bilder, die das Buch reichhaltig verwendet (Kap. 3; 69-109) und auf Sprecher und Handlungsträger oder Charaktere im Buche (Kap. 4; 111-167). Diese Trennung ist natürlich problematisch, wie Q.-M. selber sieht, da im Text die drei Sachverhalte miteinander verbunden sind. Insofern dient sie heuristischen Zwecken. Die Behandlung geschieht unter Zitierung einer Vielzahl von Stellen aus dem gesamten Buch (ohne Differenzierung in Jes I, II und III, versteht sich), ohne Anspruch auf Vollständigkeit. So sollen die Texte auch für sich selbst sprechen. Die auswahlhafte Behandlung der Welt der Texte soll die Leser zu eigenem Fragen anregen (z. B. 107). Im letzten Kap. mit dem Titel The Lord's Holy Mountain (Kap. 5; 169-214) verfährt Q.-M. etwas konzentrierender, indem er hier vor allem über im Verlauf der Auslegungsgeschichte des Buches wichtige Buchgestalten (also Immanuel, das "Kind" aus Kap. 9, den Spross Jesses usw.) handelt und auch etwas deutlicher als zuvor auf Literatur eingeht. Dabei orientiert er sich hier auch stärker am sequentiellen Gefälle von 1-39 und 40-66 (vgl. 169). - Weiterführende Literatur (215 f., kommentiert vorgestellt), ein Autoren- (217) und vor allem ein Stellenregister (218-224) schließen das Buch ab.

Die Intention des Werkes erschließt sich vielleicht am besten auf dem Hintergrund der Aussage, dass das Jes-Buch eine Art "enzyklopädischer Qualität" besitzt (vgl. vor allem 66), was dem umfassenden Anspruch des Buches von den Themen Schöpfung bis zur Neuschöpfung Rechnung tragen kann, wie auch der Tatsache, dass im Jes-Buch sehr unterschiedliche Möglichkeiten nebeneinander existieren und insofern auch koexistieren, beispielsweise, wie man das Verhältnis von Israel und der Völkerwelt regulieren kann, oder auch, wie man mit Fragen nach "gut" und "böse" umgehen kann, oder wie gegebenenfalls der Wille Gottes unter dem Anspruch auf "Gerechtigkeit" durch seine "Barmherzigkeit" aufgebrochen werden kann. Das so formulierbare Enzyklopädische am Jes-Buch könnte auch damit zusammenhängen, wie oben schon angedeutet, dass der Autor für das Gesamtwerk keine Intention zu benennen gewillt ist.

Das Buch vermittelt also deutlich einen Eindruck von der Vielfalt der Aussagen und vor allem auch der Bilderwelten in Jes (auch wenn man das in dem Buch von R. Lack, La symbolique du livre d'Isaïe, erheblich vertiefter lesen konnte; vgl. Q.-M. 108, Anm. 20). - An manchen Stellen sehe ich die Gefahr, dass der Autor vorschnell die Textprofile einebnet zu Gunsten von Vorgaben für jedermann oder jede Frau (vgl. z.B. zur Präsentation des Propheten, 128; auch zur Rolle der ungenannten Frau in Jes 54, vgl. 201; aber hat eigentlich jede Frau in vergleichbarer Lage Jahwe als "Ehemann", wie es in Jes 54 formuliert ist? Man vgl. auch die Bemerkung zu Jes 53 f., wo der männliche Knecht und die Frau nebeneinander gestellt sind: "patterns for God's ways with the world and not just with Israel and Israelites", 195 f.). - Anregend empfand ich den Versuch (170 ff.) im Zusammenhang mit der Rede vom Gesalbten, d. h. den oft "messianisch" interpretierten Texten in Jes 7; 9; 11 u. ö., die spezifisch königlich-personalen Elemente herunterzuspielen, sozusagen zu einem demokratischeren "Messianismus ohne Messias" (H. Strauß) zu kommen. Aber vielleicht ist das nur die Konsequenz aus einer Einheitslektüre des Buches, die der Differenz darin wenig Rechnung tragen will oder kann? - Im Lichte von 1,1 (wie von 39,6 f.) erscheint mir die ja auch sonst vertretene Ansicht fragwürdig, die Textfolge in Jes 1-66 ziele (auf der Ebene der Endkomposition oder Endredaktion!) auf die Präsentierung eines Propheten, der durch anonyme Prophetenstimmen weitergeführt wird (129 f.). - Da ich die amerikanische Ausbildungssituation nicht kenne, vermag ich nicht zu beurteilen, ob das ein wirklich hilfreiches Buch ist.