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Ausgabe:

Januar/2003

Spalte:

28 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Miller, Patrick D.

Titel/Untertitel:

The Religion of Ancient Israel.

Verlag:

London: SPCK, Louisville: Westminster John Knox Press 2000. XX, 335 S. Geb. US$ 44,95. ISBN 0-664-22145-9.

Rezensent:

Andreas Schüle

Patrick Millers Buch provoziert zunächst durch seinen Titel. Dieser suggeriert, was derzeit von weiten Teilen der religionsgeschichtlichen Forschung äußerst kontrovers diskutiert wird: dass es in der Tat so etwas wie die Religion des alten Israel gegeben habe, die sich hinreichend geschlossen darstellt und als solche auch rekonstruiert werden kann. M.s Arbeitshypothese lautet, dass eine systematisierte Darstellung der Religionsgeschichte Israels möglich ist auf Grund der zentralen Rolle des Glaubens an Jahwe, der in unterschiedlichen Facetten alle Segmente des religiösen Lebens im alten Israel prägt: "The nature and character of this deity, in many respects a profile markedly like that of other Late Bronze/Iron Age gods, is so clearly at the heart of Israelite religion that it provides the starting point for a presentation of that religion" (XVIII). - Zeitlich setzt der betrachtete Ausschnitt ein mit der Frühgeschichte Israels und mündet aus in der Phase der Kanonisierung der schriftlichen Traditionen (208 f.). Die Orientierung an schriftlich kodifizierter, kanonischer Tradition bringt eine Umstellung der religiösen Praxis mit sich, die das spätere Judentum (wie auch das Christentum und den Islam) vom alten Israel unterscheiden.

Die Darstellung der Religion Israels gestaltet sich demnach als Entfaltung des Jahweglaubens in der Vielfalt seiner sozialen, kultischen und politischen Formen. Dem entspricht der Aufbau des Buches in seinen fünf Kapiteln: 1. God and the Gods: Deity and the Divine World in Ancient Israel; 2. Types of Religion in Ancient Israel; 3. Sacrifice and Offering in Ancient Israel; 4. Holiness and Purity; 5. Leadership and Participation in Israelite Religion. Die ersten beiden Kapitel, auf die hier insbesondere eingegangen wird, legen im Wesentlichen die systematische Struktur israelitischer Religion dar, die bei der Interpretation spezifischer Themen wie Kult, Opfer, Prophetie, Priester- und Königtum dann vorausgesetzt wird.

M. referiert im ersten Kapitel drei unterschiedliche Modelle des Verhältnisses Jahwes zu anderen Göttern - 1. Yahweh out of the Gods; 2. The Gods in Yahweh; 3. Yahweh against the Gods - und legt dabei eigens Gewicht auf die Bedeutung der weiblichen Gottheiten des spätbronzezeitlichen Pantheons für die Gestalt Jahwes (bes. 29-45). Anhand dieser Unterscheidung, die das gesamte Spektrum von integrativen Synkretismen bis hin zur polemischen Verteidigung des einen Gottes gegen die Vielheit der Götter einbegreift, stellt M. ältere wie jüngere Positionen zur Monotheismusthematik vor. Deutlich wird daran eine grundsätzliche methodische Entscheidung: Während die Modelle eins und zwei vor allem anhand von archäologischem und epigraphischem Material erschlossen werden, wird zur Darstellung des dritten ausschließlich auf biblischen Textbestand rekurriert. Außerbiblische und biblische Quellen begegnen sich damit auf gleicher Ebene, sie erschließen gleichrangig das Gesamtbild der Religion Israels. Die Theologien der Priesterschrift und des Deuteronomiums kommen damit weniger als (spätere) Be- und Verarbeitungen der Religion Israels in den Blick, sondern sind selbst deren integrale Komponenten. Insofern kann M. auch die deuteronomisch-deuteronomistische Unterscheidung von Orthodoxie und Heterodoxie (57-62) als repräsentativ für den religiösen Diskurs der Zeit betrachten. Das bringt seinen Entwurf in spannungsvollen Kontrast zu der These, dass die kanonischen Texte des Alten Testaments vor allem Interpretamente und Korrektive, nicht aber selbst Zeugen dieses Diskurses sind (dazu stellvertretend für andere E. A. Knauf, Die Umwelt des Alten Testaments, 1994).

Das führt zu einer weiteren Kernthese, mit der das Buch eröffnet und die in allen seinen Teilen präsent ist: die bundestheologische Prägung der Religion Israels. Es ist die Vorstellung des Bundes als wechselseitiges Verpflichtungs- und Treueverhältnis, die dem Jahwe-Glauben eine inhaltliche Geschlossenheit verleiht, die M. (im Anschluss an R. Albertz' Typisierung) auf der Ebene der Familien- und der Stammesreligion wie auf der Ebene der offiziellen Theologie analysiert. Man kann, um eine generalistische These zu wagen, M.s Interpretation altisraelitischer Religion in wesentlichen Teilen als Entfaltung bundesförmiger (covenantal) Strukturen lesen - und gerade hier wird in besonderer Weise die Expertise des Autors wie auch seine Zuneigung zur deuteronomisch-deuteronomistischen Theologie spürbar.

Die Vorstellung vom Bund Jahwes mit Israel wird dabei nicht als Produkt erst des neuassyrischen Zeitalters gesehen. Tatsächlich war diese Entwicklung, die vor allem das Verhältnis Jahwes zu Israel als seinem Volk ('am) betrifft, bereits anderweitig vorgebaut. Auch die Familienreligion gestaltet sich als Wechselverhältnis von Zugehörigkeit und Protektion, wenngleich hier die massiven Sanktionsandrohungen fehlen, die in deuteronomischer Lesart für das Bundesverhältnis auf nationaler Ebene maßgeblich sind: "It was less vulnerable to the disobedience of the individual or the anger of God than was the relationship between Israel and Yahweh. When trouble came, it more often was seen to reflect the deity's abandonment than the deity's anger and rejection" (75). Für die föderale Struktur des Stämmeverbandes greift M. (F. M. Cross folgend) auf die Idee des Bundeserneuerungsfestes zurück, das in frühstaatlicher Zeit bereits die Erinnerung an Exodus, Sinaibund und Landgabe als Grundlage des Loyalitätsverhältnisses der Stämme gegenüber Jahwe kultisch fixierte. Auch hieran wird der historische Quellenwert erkennbar, den M. dem biblischen Text beimisst. Dass sich der Zugriff auf die geschichtlichen Verhältnisse der vor- und frühstaatlichen Phase durch die verschiedenen Bearbeitungsschichten der Texte hindurch tatsächlich aussichtsreich gestaltet, wird als These freilich nicht unbestritten bleiben.

Wichtig, weil häufig vernachlässigt, sind die Ausführungen zur "Community Religion" (94-102), die darauf hinweisen, dass in frühnachexilischer Zeit Bund - nun explizit als Verpflichtung auf die Tora verstanden - der Selbstprofilierung der Exilsrückkehrer gegenüber den im Lande verbliebenen Judäern diente sowie die Grenze zwischen Israel als Gottesvolk und den Gojim markierte.

Die Kapitel 3-5 bieten eine detailreiche, textsichere und besonders in der Behandlung der Reinheitsthematik (134-148) innovative Präsentation kultischer und politisch-religiöser Praxis. Die ausgewogene und kenntnisreiche Darstellung des ikonographischen, epigraphischen und biblischen Materials machen das Buch insgesamt zu einem vorzüglichen Referenztext für den akademischen Unterricht, seine theologische Programmatik zu einem profilierten Beitrag, der insbesondere in der Diskussion um die Alternative von Religionsgeschichte Israels und Theologie des Alten Testaments Beachtung verdient.