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Ausgabe:

Dezember/2002

Spalte:

1371 f

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Stanley, Brian [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Christian Missions and the Enlightenment.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge-Richmond: Eerdmans/ Curzon 2001. XII, 246 S. gr.8 = Studies in the History of Christian Mission. Geb. US$ 45,00. ISBN 0-8028-3902-9 u. 0-7007-1559-2.

Rezensent:

Andreas Nehring

Vor über 10 Jahren hat David Bosch in seinem inzwischen als klassisch zu bezeichnenden Hauptwerk die These aufgestellt, dass die moderne Missionsbewegung im Wesentlichen ein Kind der Aufklärung sei. Die akademische Auseinandersetzung mit den vielschichtigen Beziehungen der christlichen Mission zur Aufklärung ist, dessen ungeachtet, relativ jung, dafür aber seit den letzten Jahren umso lebendiger. Dass sich dabei weniger die Theologen als vielmehr Historiker, Ethnologen und Religionswissenschaftler diesem Bereich zugewandt haben, ist nicht nur, aber wohl auch Boschs kritischer Haltung zur Aufklärung zuzuschreiben.

Das Verhältnis der christlichen Missionsbewegung zur Moderne ist in den letzten Jahren vor allem in Bezug auf Prozesse der Globalisierung intensiv untersucht worden (Comaroff). Was aber bisher noch weitgehend offen geblieben ist, ist die Frage, in welchem Verhältnis die evangelischen Erweckungsbewegungen, die ja ein zentraler Antriebsmotor der modernen Missionsbewegung waren, zur Moderne und zur Aufklärung stehen. Dieser Frage widmet sich der Band, der von dem Cambridger Missionshistoriker Brian Stanley eingeleitet und herausgegeben ist. Die einzelnen Beiträge gehen in ihrer Untersuchung der Entwicklungen der englischen und schottischen Missionsbewegungen sehr weit ins Detail, so dass der ungeübte Leser manchmal Mühe hat, dem Argumentationsstrang zu folgen. Aber diese Detailtreue hat Methode. Der Band macht nicht nur deutlich, wie vielfältig und vielschichtig die evangelischen Missionsbemühungen im 18. und 19. Jh. waren, er macht auch Ernst damit, monolinearen und transkulturellen Definitionen von "Aufklärung" den Abschied zu geben und damit auch widersprechenden Pauschalurteilen wie, die Aufklärung habe zur Befreiung des Individuums, zur Toleranz und zum kulturellen Austausch beigetragen oder sei andererseits verantwortlich zu machen für Rassismus, Intoleranz, westliches Überheblichkeitsdenken und hegemoniale Ansprüche. Aufklärung, das wird in den vorliegenden Beiträgen deutlich, ist ein Diskurs-Begriff, der weniger die Inhalte beschreibt, die gedacht worden sind, als vielmehr eine Art und Weise zu denken (7). Den Autoren gelingt es so auch, mit der traditionellen, oft in orthodox-konfessionellen Kreisen vertretenen Auffassung zu brechen, die Aufklärung sei verantwortlich zu machen für den Niedergang der Mission, wohingegen die Missionsbewegung des 19. Jh.s antiaufklärerisch-romantisch gewesen sei und zum Kern kirchlicher Lehre zurückgeführt habe.

Es gab nicht eine Aufklärung, sondern im 18. Jh. haben mehrere geistige Strömungen ineinandergespielt. Wenn es auch auf den ersten Blick für den deutschen Leser des Buches enttäuschend erscheinen mag, nur über englische und schottische Missionare und Gesellschaften zu erfahren, so entpuppt sich doch gerade die in mehreren Beiträgen aufgezeigte Beziehung der deutschen Missionare zu englischen Missionsgesellschaften als eines der spannenden Themen dieses Buches. Zeigt sich doch hier, dass gerade die Missionsgeschichte eine Geschichte intensiver deutsch-englischer interkultureller Begegnungen war. Andrew Walls Beitrag über das Erwachen der Missionsbewegung im 18. Jh. (22-44) macht deutlich, dass jetzt auch im englischsprachigen Raum der deutsche Beitrag an dieser Bewegung anerkannt wird.

Die Rolle der Tranquebar-Mission, deren Anfänge in das Jahr 1706 zurückführen, wurde bisher in der englischen Missionsgeschichtsschreibung zu wenig beachtet; auch dass es sich gerade bei den so genannten pietistischen deutschen Missionsbewegungen um christliche Bewegungen handelte, die in ihrer Kritik an kirchlicher Orthodoxie aufklärerische Elemente mit individueller Frömmigkeit verbunden haben. Welche Aspekte der deutschen Aufklärung wurden durch die in englischen Missionsgesellschaften angestellten deutschen Missionare vermittelt? Hier besteht auch für die Zukunft noch Forschungsbedarf.

Besonders deutlich wird in dem Band allerdings auch die eigenständige Rolle der schottischen Mission und ihr Verhältnis zur geistigen Entwicklung in Schottland im 18. und 19. Jh. herausgearbeitet. Vor allem Alexander Duffs herausragende Position in der schottischen Missionsbewegung wird im Lichte der schottischen Aufklärung analysiert. Er steht paradigmatisch für eine der am intensivsten diskutierten Fragen der schottischen Missionstheologie: das Verhältnis von Zivilisierung und Evangelisierung der "Heiden", dem sich Ian Douglass Maxwell mit einem eigenen Beitrag gewidmet hat (123-140).

Insgesamt liegt ein für Missionshistoriker und Interessierte an der Missionsgeschichte ein sehr lesenswertes Buch vor, das allerdings leider kaum über die Analyse europäischer Vorstellungen, Bildungsprojekte und Missionshandlungen hinausgeht.

Penny Carson untersucht das Erwachen evangelischen Missionsbewusstseins im Britischen Raj in Indien (45-70), Jane Samsons Beitrag ist dem spannenden Verhältnis von Ethnologie und Theologie gewidmet, das sie am Beispiel der Mission im Südpazifik untersucht (99-122) und Natasha Erlank analysiert die Schottische Mission unter den Xhosa (141-168). Dennoch erfährt man von den Christen, die in Indien, Melanesien oder Südafrika missioniert worden sind, wenig; wenig auch von indigenen Prozessen, die durch interkulturelle Begegnung mit Missionaren und Aufklärern beeinflusst worden sind; wenig von Widerständen gegen die europäische "civilizing mission". Die Stimme der Einheimischen schweigt.

In einer theologischen abschließenden Reflexion des Buches (198-222) bezeichnet Daniel W. Hardy Missionen als Interwalle, als Räume, die zwischen zwei Situationen entstehen. Der Raum, der zwischen Europa und den Anderen auch durch die Missionen konstruiert wurde, war ein Raum, in dem der/die Andere identifiziert, verstanden, zivilisiert, erzogen, bekehrt werden konnte (215). Es bleibt nach der Lektüre dieses wichtigen Buches die Frage, wie dieser Raum von denjenigen gefüllt wurde und wird, die "die Anderen" im Missionierungsprozess waren.